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Gesundheit

Wahlärzte: Sollen Krankenkassen die Kosten zur Gänze übernehmen?

Es fehlt landesweit an AllgemeinmedizinerInnen und FachärztInnen mit Kassenvertrag. Immer mehr PatientInnen müssen zu einem Wahlarzt gehen. Die NEOS wollen, dass die Krankenkassen nun die Kosten für den Wahlarzt gänzlich bezahlen sollen. Das ist aber keine gute Idee.
„Landarzt sucht Nachfolge“: Das Tannheimer Tal in Tirol sucht sogar mittels einer eigenen Website eine/n AllgemeinmedizinerIn. In bestem PR-Deutsch wird hier die “schönste Wanderregion Österreichs” und die “herzliche Lebensfreude Tirols” beworben. Doch trotz dieses Aufwandes konnte noch immer kein Doktor gefunden werden.

Viele ländliche Gemeinden sind ähnlich verzweifelt: Sobald der alte Gemeindearzt in Pension geht, gestaltet sich die Nachfolge schwierig. Mitunter werden sogar Gemeindevillen umzugswilligen Weißkitteln angeboten – aber nicht einmal das hilft.

 

Kein echter Ärztemangel

Tatsächlich fehlen bundesweit 95 AllgemeinmedizinerInnen und 63 FachärztInnen. Vor allem in der Kinder- und Jugendheilkunde werden dringend MedizinerInnen gesucht.

 

 

Tatsächlich aber hat Österreich nicht unbedingt einen Ärztemangel. Die Dichte an MedizinerInnen ist sogar ziemlich hoch. Nur: Immer weniger wollen einen Kassenvertrag. Die Zahl der Wahlärzte steigt stetig, bereits 64 Prozent aller Fachärzte mit Ordination haben keinen Kassenvertrag.

Wahlärztinnen und Wahlärzte setzen ihre Honorar selbst fest, sie können für medizinische Behandlungen verlangen, was sie wollen. Nach dem Besuch kann der Patient die Rechnung zwar bei der Krankenkasse einreichen, er bekommt aber nur 80 Prozent des Kassentarifs, der meist viel geringer als das Arzthonorar ist, rückerstattet. Auf diese Weise werden Gesundheitsausgaben de facto schleichend privatisiert.

Kürzere Wartezeiten, mehr Zuwendung durch den Arzt oder die Ärztin? Dafür greifen die Österreicherinnen und Österreicher immer öfter in die Tasche. Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Facharzttermin liegt bei bis zu zwei Monaten.

 

Ärztinnen und Ärzte wollen keine „Drehtürmedizin“

Doch warum will niemand mehr eine Kassenstelle übernehmen? Eine Spitalsärztin, die halbtags arbeitet und manchmal eine Kollegin in deren Kassenordination für Allgemeinmedizin vertritt, erklärt: “Auch wir Ärzte wollen uns ausreichend Zeit für unsere Patienten nehmen! Aber wer heute eine Praxis hat und über die Runden kommen will, braucht rund 1.000 Patienten im Quartal. Und da spreche ich nicht davon, dass ich reich werden will, diese Anzahl ist nötig, um Fixkosten zu decken.”

Pro Krankenschein kann ein Vertragsarzt im Quartal eine Pauschale von 18,74 Euro abrechnen. Erst wenn der Patient ein drittes Mal kommt, bekommt der Arzt etwas mehr Geld von der Krankenkasse. “Wenn der Patient nur Schnupfen hat und eine Krankschreibung braucht und nach fünf Minuten die Ordination wieder verlässt, dann ist dieser Betrag ja halbwegs in Ordnung. Aber für einen komplizierten, zeitaufwendigen Fall ist der Betrag ein Witz.” Sie rechnet vor: Ein Allgemeinmediziner hat im Schnitt 20 Stunden in der Woche für die Patienten geöffnet, da auch viel Zeit für Bürokratisches verwendet werden muss. “Wenn ich also vier Stunden geöffnet habe, sehe ich in dieser Zeit mindestens 35 Patienten,” so die Ärztin. Das sei eine unverantwortliche “Drehtürmedizin”.

Das Einkommen einer Hausärztin mit Kassenvertrag ist in den letzten 15 Jahren um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen. Das liegt aber nicht an höheren Kassentarifen: Pro Behandlung stiegen die Einnahmen im selben Zeitraum inflationsbereinigt um nur zwei Prozent. Das Plus an Einkommen erzielen HausärztInnen, indem sie mehr Patienten behandeln.

Nun fangen die Patienten selbst auf, was die Kassen nicht schaffen: Eine ausreichende Versorgung mit VertragsärztInnen. Um eine bessere Gesundheitsversorgung in Österreich zu gewährleisten, müssen vor allem Kassenstellen wieder attraktiver werden. Honorare von Wahlärzten zu übernehmen hätte hingegen den gegenteiligen Effekt: die viel höheren Honorare würden die Budgetnöte verschärfen und ausreichend finanzierte Kassenstellen noch mehr erschweren. Nur wenn es ausreichend Vertragsärzte gibt, kann eine gute öffentliche Versorgung sichergestellt werden. Sonst müssen die Menschen aus dem Tannheimer Tal bald bis nach Innsbruck zum nächsten Kassenarzt fahren.

 

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