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Demokratie

„Freiheitspreis der Medien“ für Sebastian Kurz: Warum der Preis am „Ludwig-Erhard-Gipfel“ keine große Sache ist

Sebastian Kurz erhält den "Freiheitspreis der Medien", der vom deutschen "Ludwig-Erhard-Gipfel" vergeben wird. Österreichische Medien bringen die Meldung brav. Wenn du von beiden Dingen noch nie gehört hast, bist du aber sicher nicht allein. Was ist der Ludwig-Erhard-Gipfel und was ist der "Freiheitspreis der Medien"?
 

Was ist der Ludwig-Erhard-Gipfel?

Der Ludwig-Erhard-Gipfel ist ein seit einigen Jahren abgehaltenes jährliches deutsches Event. Es ist nach dem bedeutenden deutschen Nachkriegspolitiker Ludwig Erhard benannt. Veranstaltet wird der Gipfel von einem deutschen Verlag, der „Weimer Media Group“. Der gibt Wirtschaftsmedien wie den „Wirtschaftskurier“ oder die „Börse am Sonntag“ heraus. Gegründet wurde er von VerlegerInnen, die vorher unter anderem weitere konservative Medien geleitet und gegründet haben (Focus, Cicero). Der Chef ist bei ÖVP-Treffen ein offenbar gern gesehener Gast

Der Ludwig-Erhard-Gipfel wird normalerweise in Tegernsee abgehalten, pandemiebedingt diesmal allerdings als Streaming-Event aus München.

Wer war Ludwig Erhard?

Ludwig Erhard war Politiker der konservativen CDU und in den 1960er-Jahren drei Jahre Bundeskanzler der BRD. Er gilt als ein wichtiger Begründer der sozialen Marktwirtschaft. Das kann sehr unterschiedlich ausgelegt werden, ist aber das grundlegende, kapitalistische Wirtschaftsmodell in Ländern wie Deutschland und Österreich. Dafür genießt er von BefürworterInnen bis heute breiten Respekt. Weniger beleuchtet ist seine Rolle in der NS-Zeit, die von HistorikerInnen kontrovers diskutiert wird. Er war wirtschaftspolitischer Berater des Regimes für die annektierten Gebiete unter anderem in Polen und Österreich und gründete ein von der NS-Industrie finanziertes Institut.

Wie ist der Ludwig-Erhard-Gipfel einzuschätzen?

Der Gipfel schmückt sich auf seiner Webseite selbst mit Zitaten aus Medien, die viel über seine Einordnung aussagen. Er erklärt sich in Anspielung an das jährliche elitäre und neoliberale Weltwirtschaftsforum in Davos zum „deutschen Davos“ (Zitat aus der öffentlich-rechtlichen ARD), zum „Stelldichein der Wirtschaft“ (Zitat aus dem konservativen Handelsblatt) sowie zum „Neujahrsempfang des Freigeistes“ (so empfindet es die rechtskonservative Welt). Es ist eine bewusst elitäre Veranstaltung mit großem konservativem und wirtschaftsliberalem Einfluss. Das Grußwort im Vorjahr hielt etwa der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der gerne Kanzlerkandidat der konservativen Union bei der nächsten Bundestagswahl geworden wäre. Dem Event wohnen allerdings auch VertreterInnen anderer politischer Lager bei.

Wer bekommt den „Freiheitspreis der Medien“ so?

Der am Gipfel vergebene „Freiheitspreis der Medien“ klingt wegen seines Namens imposant. Er wurde bisher sechs Mal an durchaus bekannte, aber im Wesentlichen immer mit konservativem Weltbild kompatible Persönlichkeiten vergeben. Vor Sebastian Kurz (2021) erhielt ihn Fürst Albert II. von Monaco (2020), der ebenfalls konservative ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker (2019), der von Angela Merkel eingesetzte Bundesbanker Jens Weidmann (2018), der rechtsliberale FDP-Politiker Christian Lindner (2018), der deutsche Kardinal Reinhard Marx (2017). Der erste Preisträger war der in Deutschland wegen seiner Rolle bei der Wiedervereinigung weithin respektierte, einstige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow (2016).

Ist der Preis bedeutend?

Nicht wirklich. Der Preis ist, anders als sein Name glauben machen will, kein allgemeiner oder bedeutender Preis der breiteren Medienbranche. Ebensowenig wie der auch von der „Weimer Media Group“ ausgelobte „Mittelstandspreis der Medien“, der an Wirtschaftstreibende vergeben wird. Es finden sich auf der offiziellen Seite keine Angaben dazu, wer überhaupt in der Jury sitzt und die Preisträger kürt. Es ist ein inhaltlich bedeutungsloser Preis eines Wirtschafts-Verlags, der an Personen vergeben wird, die sich in den Augen des Verlags „in besonderer Weise für die freie Meinungsäußerung, den politischen Dialog und die Demokratie einsetzen“. Er schafft aber offenbar erfolgreich Aufmerksamkeit für die Veranstaltung. Der „Ludwig-Erhard-Gipfel“ ist ebenso wie der „Freiheitspreis der Medien“ bisher zu unbedeutend, um einen eigenen Wikipedia-Eintrag zu haben.

Warum erhält Sebastian Kurz den Preis?

Abgesehen davon, dass er zum konservativen Weltbild des Events gut dazu passt? Schwer zu sagen. Laut Aussendung, weil Kurz sich „immer wieder als Brückenbauer erwiesen“ habe. Das hat man zu Beginn seiner außenpolitischen Karriere vor mittlerweile 10 Jahren öfter gehört. Das Lob ist in den vergangenen Jahren aber verstummt und oftmals ins Gegenteil umgeschlagen.

Es ist definitiv ein seltsamer Zeitpunkt. Der österreichische Kanzler hat auf europäischer Ebene gerade Brücken abgerissen und viel Ärger verursacht, weil er die österreichischen Versäumnisse bei der Impfstoffbeschaffung zu einem europäischen Konflikt machte. „Er gab den kleineren EU-Staaten insbesondere Ost- und Südosteuropas im europäischen Gestaltungsprozess eine größere Stimme“, heißt es. Deren zusätzliche Lieferungen blockierte Kurz aber solange, bis auch Österreich von der Umverteilung profitierte. Und bei Verhandlungen zum vergangenen EU-Budget reihte er sich in die „Geizigen Vier“ ein, die mehr Solidarität mit wirtschaftlich schwachen Ländern verhinderten.

Gelobt wird auch seine innenpolitische Bereitschaft, verschiedene Koalitionen einzugehen. Auch wenn Kurz die erste mit der SPÖ nach seiner Parteiübernahme der ÖVP sofort vorzeitig sprengte, die zweite mit der dem Preiszweck nicht entsprechenden, EU-feindlichen FPÖ betrieb (und nicht durchhielt) und sich erst zeigen muss, ob die Grünen diese dritte Koalition bis zum Ende aushalten. Zudem war Kurz auch der erste Kanzler, der ein Misstrauensvotum im österreichischen Parlament verlor.

Die Lobrede auf Kurz beim Streaming-Event aus München hält der konservative griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, dessen Land in Kurz einen verlässlichen Gegner bei der Umverteilung von AsylwerberInnen in der EU vorfindet. Vielleicht fällt ihm mehr dazu ein.

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