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Demokratie

Was passiert gerade im Sudan?

Hunderttausende Menschen gehen im Sudan auf die Straßen, um gegen das Militär und für die Demokratie zu protestieren. Ein Überblick über ein Land in einer unübersichtlichen Situation.

 

Hunderttausende Menschen gehen im Sudan auf die Straßen, um gegen das Militär und für die Demokratie zu protestieren. Ein Überblick über ein Land in einer unübersichtlichen Situation.

Was ist der Sudan?

Der Sudan ist ein Staat im Nordosten von Afrika. Er ist ein armes und in viele ethnische, religiöse und politische Gruppierungen gespaltenes Land. Nach langer Besatzung durch das britische Kolonialreich wurde der Sudan 1956 unabhängig. Wie in vielen Ländern hinterließ die Kolonialzeit auch im Sudan chaotische Zustände. Jahrzehntelange politische Instabilität und langanhaltende Bürgerkriege waren die Folge. Im Westen des Landes tobt mit dem Darfur-Konflikt immer noch ein blutiger Konflikt, der zu Millionen vertriebenen Menschen und hunderttausenden Todesopfern führte. Nach der Abspaltung des Süd-Sudan als eigenständiges Land im Jahr 2011 leben heute geschätzt 44 Millionen Menschen im Land. Seit 2019 ist er auf einem wackeligen Pfad zu einem demokratischen System. Derzeit gilt er aber als gescheiterter Staat mit einem autoritären und korrupten Regime und nicht als freie Gesellschaft. 

Wie kam es zur heutigen Situation im Sudan?

Der Sudan wurde über drei Jahrzehnte vom autoritären, islamistischen Präsidenten Omar al-Bashir regiert. Ihm wird die Verantwortung unter anderem für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vorgeworfen. Al-Bashir könnte deshalb das erste Staatsoberhaupt sein, das sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag verantworten muss. Der Militärgeneral übernahm die Macht 1989 in einem Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Die Unterstützung für Terrorgruppen brachte dem Sudan lange politische Isolation ein. Er beherbergte Anfang der 1990er-Jahre etwa die Terrorgruppe Al Quaida und ihren Führer Osama bin Laden. Das Land selbst erreichte durch vorhandene Rohstoffe zwar wirtschaftliches Wachstum – große Teile der Bevölkerung hatten davon jedoch nichts.  Nach monatelangen Massenprotesten der Bevölkerung  wurde al-Bashir 2019 schließlich selbst durch einen Militärputsch aus dem Amt entfernt und wegen Korruption verurteilt. Die Übergangsregierung hat sich mit dem Internationalen Strafgerichtshof auf eine Auslieferung geeinigt – bisher kam es aber noch nicht dazu. 

Was passierte nach dem Putsch von 2019?

Das Militär übernahm 2019 die Macht im Sudan. Massenproteste der Bevölkerung versuchte das Militär mit Gewalt zu unterdrücken. Es kam zu Massakern, schließlich einigte sich die zivile Opposition aber mit dem Militär auf eine gemeinsame Übergangsregierung. 2023 sollten dann reguläre Wahlen stattfinden und ein demokratisches System in Kraft treten. Diese Übergangsregierung sollte zuerst fast zwei Jahre vom Militär und dann von Zivilisten geführt werden. Dieser Prozess galt immer als wackelig.

Wieso kam es 2021 im Sudan wieder zu Putschversuchen?

Kleinere Putschversuche gab es im Sudan in den vergangenen Jahren immer wieder. Im September 2021 scheiterte ein Putschversuch, der offenbar von Anhängern von Ex-Diktator al-Bashir ausging. Im Militär sind immer noch viele loyal zu ihm. Beobachter:innen denken, dass Teile des Militärs neben dem Machtverlust auch fürchten, dass ihre Verbrechen der Vergangenheit unter einer demokratischen Regierung neu bewertet werden könnten. 

Der September-Putsch hatte zudem auch eine gewisse Unterstützung aus der Bevölkerung. Die schlechte Wirtschaftsleistung und hohe Inflation führt zu Hunger und Armut im Land. Die militärisch-zivile Übergangsregierung wird zumindest von diesen Teilen der Bevölkerung dafür verantwortlich gemacht. Diese Erzählung wird durchaus auch vom Militär gestreut. Die Hoffnung auf einen Aufschwung konnte die Co-Regierung jedenfalls bisher nicht erfüllen.  Eine Rolle dabei spielt, dass Förderungen für Spritpreise gekürzt wurden – das und andere liberale Reformen waren eine Forderung internationaler Gläubiger im Tausch gegen einen Schuldenerlass. Einige dieser Maßnahmen werden deshalb auch von den pro-demokratischen Kräften klar abgelehnt.

Im Oktober 2021 putschte das Militär schließlich kurz vor der geplanten Übergabe der Regierungsführung an die zivilen Teile. Die in der Regierung vertretenen militärischen Kräfte trugen diesen Putsch mit. Die Nicht-Militärs in der Regierung wurden verhaftet. Erneut kam es zu massiven Protesten der Bevölkerung. Später einigte man sich, wieder auf einen Pfad zur Demokratie zurückzukehren. Der zivile Premierminister Abdallah Hamdok wurde im November wieder eingesetzt. 
 

Warum wird dann jetzt immer noch protestiert?

Das Militär hatte unter dem neuen Abkommen immer noch die Aufsicht über die Regierung. Auch wenn es immer noch davon spricht, 2023 Wahlen abhalten zu wollen, ist das Vertrauen, dass das Militär die Macht wirklich abgeben würde, bei Teilen der Opposition immer geringer. Schließlich hatte es auch oftmals das Feuer auf die Bevölkerung eröffnet. Pro-demokratische Gruppierungen und Gewerkschaften lehnen nach dem neuesten Putsch nun endgültig ab, das Militär weiter mit an der Macht zu lassen. Sie fürchten, die Revolution von 2019 könnte gestohlen werden.

Deshalb kommt es weiter zu Groß-Protesten für einen konsequenten Übergang zur Demokratie. Hunderttausende oder mehr Menschen gehen Berichten zufolge seit Wochen im ganzen Land dafür auf die Straße, obwohl Kommunikationsmittel wie das Internet immer wieder abgedreht werden. Auch bei diesen Protesten kam es zu Todesopfern, weil das Militär immer wieder das Feuer eröffnete. 

 

Warum ist Premier Abdullah Hamdok zurückgetreten und was bedeutet das?

Wegen der hohen Zahl der Todesopfer und einem offenbar mangelnden Vertrauen in den Übergangsprozess trat Premier Hamdok Anfang Jänner schließlich von selbst zurück. In seiner Rücktrittsrede bedankte er sich per Video bei den Demonstrant:innen für ihren Einsatz für die Demokratie. Ihr „revolutionärer Eifer“ werde in eine bessere Zukunft führen.

Wie es weitergeht, ist unklar. Hamdoks Rücktritt lässt einerseits das Militär volle Kontrolle und droht alle kleinen Schritte Richtung Demokratie wieder auszuradieren. Andererseits nimmt es dem Militär aber auch den Anschein einer von den Protestierenden allerdings ohnehin nicht mehr akzeptierten Kompromisslösung.

 

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