Weihnachtsfrauen im Burn-out

Kurz vor Weihnachten 1974 reichte es den Frauen endgültig. All die Arbeit in der „schönsten Zeit des Jahres“ brachte sie an den Rand der Erschöpfung. Das wollten sich manche Isländerinnen nicht länger gefallen lassen. Sie bastelten eine lebensgroße Hausfrauen-Puppe und kreuzigten sie an einem Christbaum. Die Protestaktion sorgte in Island landesweit für Entrüstung, den Frauen wurden Prügel angedroht und geharnischte Drohschreiben zugeschickt. Die mutige Aktion half aber auch dabei, einen entscheidenden Tag in die Welt zu bringen: Den Frauenstreik von Island wenige Monate später.
Ohne weibliche Mehrarbeit keine magische Weihnachtszeit
50 Jahre später hat sich an der grundsätzlichen Arbeitsteilung rund um die Weihnachtszeit erstaunlich wenig verändert. Den Weihnachtsmann gibt es immer noch nicht, vielmehr stemmt eine Armee an Frauen in der magischen Weihnachtszeit eine Extraportion Arbeit. Und das unbezahlt, unbedankt und unsichtbar. Das warme Licht, das gute Essen, das harmonische Zusammensein, die leuchtenden Kinderaugen, der schön geschmückte Baum: Die Weihnachtsmagie fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis von Arbeit. Sicher, Haushaltsarbeit gibt es das ganze Jahr über zu tun. Doch rund um die Feiertage wird sie zusätzlich verstärkt, verdichtet und normativ aufgeladen.
Der strukturelle Ausgangspunkt ist bekannt, aber nach wie vor wirksam. Obwohl Frauen heute ebenso selbstverständlich einer bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen wie Männer, tragen sie weiterhin den überwältigenden Anteil der unbezahlten Arbeit. Hausarbeit, Sorgearbeit, Organisationsarbeit, Beziehungsarbeit, all das ist weiterhin weiblich codiert. Die gesellschaftliche Ordnung trennt nach wie vor zwischen einer öffentlichen, bezahlten Sphäre und einer privaten, unbezahlten. Letztere gilt implizit als weiblich. Diese Trennung wird selten offen ausgesprochen, sie wirkt über Erwartungen. Die „gute Frau“ ist jene, bei der zuhause alles läuft und die Wohnung ebenso gepflegt ist wie die sozialen Beziehungen. Zu Weihnachten wird aus dieser Erwartung eine Pflichtübung, ausgestattet mit einer harten Deadline.
Frauen leisten zu Weihnachten um 60 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer
Schon Wochen vor dem eigentlichen Fest beginnt die zusätzliche Arbeit. Adventkalender müssen befüllt werden, nicht irgendwie, sondern liebevoll, abwechslungsreich, altersgerecht. Es braucht Ideen, Einkäufe, Planung. Der Adventskranz wird organisiert, aufgestellt, dekoriert, Kerzen müssen rechtzeitig ersetzt werden. Es wird darüber nachgedacht, ob gemeinsam gesungen wird, welche Lieder passen, ob Texte oder Noten vorhanden sind. Der Christbaum muss ausgesucht, aufgestellt und geschmückt werden. Das Festtagsmenü muss geplant werden, oft über Tage hinweg, inklusive Sonderwünschen, Allergien und familiären Traditionen. Geschenke müssen überlegt, finanziell koordiniert, gekauft, versteckt, verpackt und rechtzeitig verteilt werden. Häufig nicht nur für die eigenen Kinder, sondern auch für Partner:innen, Eltern, Schwiegereltern, Großeltern, Patenkinder, Lehrpersonen oder Nachbar:innen. Das alles braucht Denk-, Planungs-, Organisations- und Ausführungsarbeit. Und diese Mehrarbeit ersetzt keine andere Alltagsarbeit, sie kommt obendrauf.
Eine Analyse des Momentum Instituts zeigt, dass Frauen rund um Weihnachten um 60 Prozent mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Besonders stark steigt der Zeitaufwand fürs Kochen, Putzen sowie die Vor- und Nachbereitung von Familienfeiern an.
Warum diese Arbeit so selbstverständlich bei Frauen landet? Studien zeigen, dass Frauen stärker an ihrem Haushalt gemessen werden als Männer. Unordnung, mangelnde Sauberkeit oder organisatorische Defizite werden gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben, selbst dann, wenn beide Partner:innen gleich viel außer Haus arbeiten. Männer erfahren deutlich weniger soziale Sanktionen für einen „schlecht geführten“ Haushalt. Dieser Bewertungsdruck wirkt dauerhaft, aber er verschärft sich massiv, wenn Besuch kommt.
Weihnachten als gut dokumentierte Performance
Weihnachten ist so ein Moment kollektiver Sichtbarkeit. Das Zuhause wird zur Bühne, die Familie zur Darstellungseinheit. Frauen reagieren auf diesen Druck durchaus rational: Sie putzen mehr, dekorieren mehr, bereiten mehr vor. Und das nicht aus persönlicher Eitelkeit, sondern weil sie wissen, dass Abweichungen von der erwarteten Norm sanktioniert werden. Wie wir dekorieren, was wir kochen, wie wir uns kleiden, welche Bilder wir teilen, all das signalisiert soziale Zugehörigkeit. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat gezeigt, dass Geschmack, Ästhetik und Lebensstil zentrale Marker sozialer Position sind und aktiv hergestellt werden müssen. Diese Statusarbeit ist zeitaufwendig und überwiegend weiblich. Social Media hat sie weiter intensiviert: Weihnachtsästhetik wird heute nicht nur produziert, sondern dokumentiert, kuratiert und öffentlich bewertet. Wie der Baum aussieht, wie die Kinder angezogen sind, wie der Tisch gedeckt ist: Alles ist heute eine genau dokumentierte Performance.
Neben der physischen Arbeit fällt – ganzjährig, aber zu Weihnachten besonders – emotionale Arbeit an. Emotionale Arbeit bedeutet, die eigenen Gefühle so zu regulieren, dass sich andere wohlfühlen. Frauen sorgen dafür, dass die Stimmung nicht kippt, dass Konflikte entschärft werden, dass Kinder sich auch für ungeliebte Geschenke bedanken, dass heikle Themen gar nicht erst aufkommen. Sie achten darauf, dass sich alle einbringen können, schlichten Streitigkeiten, binden ältere Familienmitglieder aktiv ins Gespräch ein.
Emotionale Minenfelder und Beziehungsarbeit
Zu Weihnachten häufen sich emotionale Minenfelder: Wer besucht wen? Wie lange bleibt man? Wer wird eingeladen, wer nicht? Wie teilt man Feiertage auf, ohne jemanden zu verletzen? Auch diese emotionale Navigationsarbeit übernehmen überwiegend Frauen, und sie werden am Gelingen der Bemühungen auch eher gemessen, wie Studien zeigen.
Eng damit verbunden ist Beziehungsmanagement-Arbeit. Sie umfasst all jene Tätigkeiten, die dafür sorgen, dass Beziehungen als liebevoll, aufmerksam und intakt wahrgenommen werden. Das Erinnern an Geburtstage, das Anstoßen von Gesprächen über die Beziehung, das Planen von gemeinsamer Zeit, das Wahrnehmen von Bedürfnissen, all das passiert nicht zufällig. Frauen übernehmen diese Arbeit im Alltag, und zu Weihnachten eskaliert sie.
Paradox ist dabei, dass jene, die für alle anderen sorgen, selbst oft übersehen werden. Frauen besorgen ihre Geschenke früher und machen sich mehr Gedanken darüber als Männer. In vielen Familien dürften also die Mütter diejenigen sein, die das am wenigsten liebevoll ausgesuchte Geschenk bekommen.Das hat weniger mit individuellem Versagen des Partners oder der Kinder zu tun als mit den unterschiedlichen Erwartungen der Gesellschaft an Männer und Frauen.
Auch Arbeit, die Freude macht, ist Arbeit
Emotionale Arbeit und Beziehungsarbeit existieren das ganze Jahr über. Zu Weihnachten wird sie in wenigen Tagen noch einmal verdichtet. Wer genau hinsieht, bemerkt heuer unter dem Weihnachtsbaum vielleicht, wie sehr das Funktionieren der Familie, emotionale Harmonie und festliche Magie auf systematischer weiblicher Mehrarbeit beruhen.
Selbstverständlich macht vielen Frauen die Arbeit rund um die Festtage auch viel Freude – aber sie bleibt dennoch Arbeit. Erst wenn diese notwendige gesellschaftliche Arbeit als solche anerkannt wird, wird auch verhandelbar, wer sie leistet, wie viel davon anfällt und wer davon profitiert. Erst dann werden wir sie nicht mehr stillschweigend auf den Frauen abladen können.







