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Ungleichheit

Wenn der Gerichtsvollzieher klopft

Eine Person steht in einer leeren Wohnung mit einem Karton über ihrem Kopf.
Wenn GerichtsvollzieherInnen klopfen, würde man sich gerne verstecken. Denn sie wollen Geld. Foto: cottonbro von Pexels
Schulden können jeden treffen. Aber klingelt erst einmal der Gerichtsvollzieher, wird es ungemütlich. GerichtsvollzieherInnen versuchen mit Druck das Geld für GläubigerInnen einzusammeln. Und: Der Besuch kostet.
Klaus hatte nicht immer den Job, den er gebraucht hätte. Er ist einer von vielen, den Schulden sein Leben lang begleiten. Nachdem sein Geschäft als junger Erwachsener eingegangen ist, konnte er sich zwar mit seinen GläubigerInnen auf Vergleiche einigen. Trotzdem sind viele offene Rechnungen übrig geblieben. Heute, rund 35 Jahre später, hat er sie ganz gut im Griff, aber Schulden sind immer noch ein Thema in seinem Leben. Manchmal kommt dann auch immer noch der Gerichtsvollzieher.

Einer davon ist Erich Grabner. Auch er hat mit Schulden zu tun, seit er jung ist: Seit den 1980ern läutet er unangemeldet an fremde Türen, um Geld einzutreiben. Das macht er im Auftrag von Gerichten. GläubigerInnen müssen dort einen Antrag stellen. Geht er durch, arbeitet der Gerichtsvollzieher die Anträge dann nach der Reihe ab. Vier Monate dürfen sie höchstens liegenbleiben.

Als MOMENT ihn besucht liegt auf seinem Tisch im Bezirksgericht Liesing ein handbreiter Papierstapel. Den hat Grabner bereits am Vormittag abgearbeitet. Können oder wollen die Personen nicht sofort alles zahlen, kann der Gerichtsvollzieher eine Ratenzahlung vereinbaren. Oder er schaut sich in der Wohnung um. Findet er Gegenstände, die etwas wert sind, kann er sie pfänden. Doch ein Fernseher zum Beispiel ist heute nicht mehr viel wert. Aufgeteilt auf mehrere Unternehmen und Banken, bei denen die die meisten Schulden haben, zahle sich der Verkauf dann nicht wirklich aus.

“Bei den meisten ist nichts mehr zu holen”

Die Erfahrung deckt sich auch mit den Berichten der Schuldnerberatung Wien: “Bei den meisten unserer Klienten ist nichts mehr durch den Gerichtsvollzieher zu holen”. Die Pfändungen seien laut Berater Bernhard Sell ein Mittel, um noch mehr Druck auszuüben.

2019 gab es laut dem Justizministerium 729.200 Pfändungen von Gegenständen und Bargeld. Nur 3.661 davon wurden auch tatsächlich zwangsversteigert. Das passiert dann meistens direkt vor Ort: Das Auto am Parkplatz, der Antiquitätenschrank in der Wohnung. Der Erlös wird dann auf die GläubigerInnen aufgeteilt. Vieles wird von den Menschen jedoch vor der Versteigerung wieder ausgelöst. Das heißt, sie zahlen einen Teil zurück, bevor die Gegenstände verkauft wurden. Auch Klaus hat das bisher noch jedes Mal geschafft.

Es kann alle treffen

Über 1400 SchuldnerInnen-Kontakte hat Grabner in seinem Handy eingespeichert: Von AnwältInnen, über ÄrztInnen bis zu Drogenabhängigen, es sind alle dabei. Und: “Sehr viele Arbeitslose in der heutigen Zeit”. Sein Ziel ist bei allen gleich: Sie sollen schlussendlich ihre Schulden zahlen. Deshalb vereinbart er auch gerne Ratenzahlungen.

Viele Menschen machen einen Blödsinn, wenn sie jung sind, sagt er. Später würden sie merken, dass es dumm war und ihre Schulden begleichen wollen. “Die, die zahlen wollen, unterstütze ich.” Viele seiner Parteien kennt er schon über die Jahre, es würden aber auch immer wieder neue dazukommen. Auch auch wenn er viele SchuldnerInnen verstehen kann: Erich Grabner sieht sich auf der Seite derer, deren Rechnungen nicht bezahlt wurden. Das ist sein Job. Es sei wichtig, dass GläubigerInnen zu ihrem Geld kommen.

Der GläubigerInnenschutz sei in Österreich sogar besonders gut, sagt Bernhard Sell von der Schuldnerberatung. Das Existenzminimum bis zu dem zum Beispiel das Gehalt gepfändet werde, sei viel tiefer als beispielsweise in Deutschland. Dabei sind die Lebenshaltungskosten vergleichbar hoch.

 
Gerichtsvollzieher Erich Grabner in seinem Büro.

Gerichtsvollzieher Erich Grabner neben seinen Akten. Aktuell hat er 810 Fälle.

Schuldnerberatung erwartet einen Anstieg

Klaus ist heute kurz vor der Pensionierung und lebt in Oberösterreich. Erich Grabner treibt in Wien Schulden ein. Doch egal wo in Österreich: Arbeitslosigkeit ist ein Hauptgrund, warum Menschen schlussendlich vor einem Schuldenberg stehen. Und die steigt mit der Corona-Krise. Das Momentum Institut warnt vor einer Rekordarbeitslosigkeit von 500.000 Arbeitslosen im Jänner.

Eine höhere Arbeitslosigkeit bedeutet auch mehr Menschen mit Schulden. Rund acht Prozent der Arbeitslosen in Wien waren in den letzten 20 Jahren bei der Schuldnerberatung. Steigt die Zahl der Arbeitslosen in der Stadt um 50.000, würde sie auf 4.000 neue KlientInnen kommen. Das wären dann 40 Prozent mehr als im Jahr davor.

In Österreich sind viele Haushalte mit Krediten verschuldet. Kommt es dann zu einem nicht bedachten Ereignis, kann es schwer sein, die Raten weiterzuzahlen. Verliert man zu Beispiel seinen Job, hat eine Scheidung oder einen Unfall, wird das schnell zum Verhängnis. Das seien neben einer Bürgschaft die Hauptgründe für Schulden, sagt Sell von der Schuldnerberatung.

Aber auch Onlinebestellungen und bargeldloses Zahlen können zum Problem werden. Ab 16 bis 20 Euro Schulden von einer unbezahlten Rechnung, kann der Gerichtsvollzieher schon vor der Türe stehen. Zahlen muss man dann weit über 100 Euro.

Summenspiel: Extrakosten

Denn: Egal aus welchem Grund man die eigenen Schulden nicht bezahlen kann, die Zusatzkosten treiben die Summe schnell in die Höhe. So können aus 6.000 Euro, die eine Frau ihrem Handybetreiber schuldet, gleich einmal 8.000 Euro werden. Denn es bleibt nie bei dem ursprünglichen Betrag auf der Rechnung: Mahnungsgebühren, Zinsen und Gerichtskosten summieren sich. Schulden haben eine Eigendynamik. Hohe Zinsen können zum Beispiel dazu führen, dass trotz einer Ratenzahlung der Schuldenberg immer größer wird.

Und: Jeder Besuch vom Gerichtsvollzieher kostet. Als Schuldner hat Klaus trotzdem zu den meisten GerichtsvollzieherInnen ein gutes Verhältnis. Und auch Grabner sagt zwinkernd: “Ich helfe gerne. Meistens den GläubigerInnen, aber manchmal haben auch SchuldnerInnen das Gefühl, dass ich geholfen habe.“ Denn manchmal vermittelt er auch. Und einige Leute freuen sich auch, ihn auf der Straße zu treffen. Sie sind dann vielleicht froh, dass er nicht mehr in ihrer Wohnung steht.


 

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