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Kapitalismus
Demokratie

Wie das kleine Ludesch gegen Rauch und Red Bull ins Feld zieht

Im Vorarlberger Ludesch legte sich die Bevölkerung mit Rauch und Red Bull an. Eine Volksabstimmung ging gegen die Unternehmen aus. Nun wurde die Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Das sorgt für viel Unmut und hat weitreichende Konsequenzen.
Beim großen Kruzifix im Ludescher Neugut gabelt sich der Weg – rechts führt er in die Natur, in den Ludescher Au-Wald. Biegt man nach links ab, führt der Schotterweg vorbei an üppigen Ackerflächen, wo man vor ein paar Monaten noch Erdäpfel erntete. Hundert Meter weiter ragt ein imposantes Industrie-Dreieck empor. Eine Jungfamilie nützt den sonnigen Herbsttag und schlendert den Weg mit ihren zwei Hunden entlang. „Wir sind erst letztes Jahr nach Ludesch gezogen“, sagt der Familienvater, „aber im Dorf rumort es ordentlich.“

Keine harmlose Frage

Der Ursprung des Grummelns ist diese Frage: “Sollen die im Ludescher Neugut liegenden Grundstücke Freifläche-Landwirtschaft FL bleiben?” Vergangenes Jahr wurde sie den LudescherInnen im Zuge einer Volksabstimmung gestellt. 

Klingt harmlos? Das steckt dahinter: Österreichs größter Fruchtsafthersteller “Rauch Fruchtsäfte”, der US-Dosenproduzent “Ball” und “Red Bull”, dessen Energydrink hier von Rauch abgefüllt wird, möchten ihr Werk in den umliegenden Grünflächen um 6,5 Hektar ausbauen. Rund 700 Menschen arbeiten hier. Bis zu neun Millionen Dosen rattern jeden Tag über ein massives Fließband und warten auf den Abtransport in alle Welt. Weil das Trio Ball, Red Bull, Rauch an seine Kapazitätsgrenzen stößt, ist der logische Schritt für sie in die Weite.

Eine Volksabstimmung sagt “Nein”

Bloß: 56,1 Prozent der LudescherInnen waren dagegen. Sie möchten die Grün- und Ackerflächen erhalten. Gefragt hat aber nicht die Gemeinde um sich den Rückhalt der Bevölkerung zu sichern. Ins Spiel gebracht wurde sie von der „Initiative Ludesch“, eine Bürgerbewegung, die den Erweiterungsgelüsten des Fruchtsaftriesens einen Riegel vorschieben wollte. In Vorarlberg erlaubte das Gesetz das.

Nun aber gab der Verfassungsgerichtshof einer Klage gegen die Volksabstimmung recht. Die Abstimmung sei nicht rechtens gewesen. Denn eine von Bürgerinnen und Bürgern ausgehende Volksabstimmung verstoße gegen den repräsentativ-demokratischen Grundsatz. Anders gesagt: Nur die gewählten Vertreter, in diesem Fall der Gemeinde, dürfen Volksabstimmungen anordnen. Die Vorarlberger Gesetze seien verfassungswidrig und müssen nun repariert werden. Die 3.854-Seelen-Ortschaft Ludesch ist nun der Ausgangspunkt für große Kontroversen auch in der Landespolitik.
 

 

 
Ein Acker in Ludesch in Vorarlberg. In der Ferne sieht man inmitten des Grünlands das bestehende Werk der Rauch Fruchtsädte, wo auch Red Bull abgefüllt wird.

Rauch füllt für sich und Red Bull in Ludesch ab. Es ist ein Werk inmitten von Äckern und Gründland. Ein Ausbau ist umstritten.

Red Bull gegen Erdäpfel – eine Initiative stellt sich quer

Wie aber kam es überhaupt dazu? Warum stellte sich die Ludescher Bevölkerung einem der größten Arbeitgeber in den Weg? Antworten darauf kann Christoph Aigner geben. Er ist ein Mitbegründer der Initiative Ludesch, jener Bürgerbewegung, die seit zwei Jahren gegen die Betriebserweiterung von Rauch Fruchtsäfte kämpft. “Es kann nicht sein, dass wir die besten Böden für Red Bull opfern.” 
Dazu kam es (noch) nicht. Die Initiative Ludesch formierte sich: Was zunächst als kleine Gruppe begann, fand im Laufe der Zeit viel Zulauf. Sie streifte in ihren Rundbriefen viele heikle Themenfelder: Gratis Grundwasser, das in den Red Bull-Dosen landet; Expansion in rare Grünflächen; die Allmacht der Industrie. 

Als sich abzeichnete, dass die Rauch-Expansion von Gemeinde und dem Land Vorarlberg befürwortet würde, sammelte die Initiative Ludesch Unterschriften. 982, rund ein Drittel der Wahlbeteiligten, kamen zusammen. So konnten sie nach Gemeindegesetz, das der VfGH nun wieder gekippt hat, eine Volksabstimmung herbeiführen. 

Schuss von Rauch und Red Bull ging nach hinten los

Drei Tage vor der Abstimmung stellten die Getränkeriesen Rauch, Ball und Red Bull fünf Millionen Euro in Aussicht, die der Gemeinde in den kommenden Jahren zugutekommen sollen – wenn die Abstimmung zu ihren Gunsten ausfalle. Für Aigner ging das nach hinten los: “Die Millionen haben das Fass zum Überlaufen gebracht”, sagt er. Viele Menschen hätten das Gefühl gehabt, dass man sie damit kaufen wolle. 

Ein knappes Monat später zog nicht Rauch, sondern 15 Privatpersonen, darunter die GrundstücksbesitzerInnen, mit einem Feldkircher Rechtsanwalt zum Verfassungsgerichtshof. Für sie ging es um viel Geld. Denn für einen Quadratmeter Landwirtschaftsfläche kriegen sie zwischen 10 und 15 Euro. Ist das Gebiet einmal umgewidmet, ist ein Industriebetrieb gerne bereit 400 bis 500 pro Quadratmeter zu zahlen. Der Verfassungsgerichtshof gab ihnen letztlich Recht und erklärte die Volksabstimmung für ungültig. Direkte Demokratie ja, aber nicht ohne den Willen der Gemeindevertretung. Alles andere verstoße gegen den Grundsatz der repräsentativen Demokratie. 

Diese Entscheidung löste viel Unmut aus, nicht nur in Ludesch – im ganzen Land. Auch Peter Bußjäger, Verfassungsjurist der Universität Innsbruck, sieht die Entscheidung kritisch: “Inwiefern soll denn eine Volksabstimmung auf Gemeindeebene gegen den repräsentativ-demokratischen Grundsatz verstoßen?”

 
Das Rauch-Werk in Ludesch von oben, hier wird auch Red Bull abgefüllt

Das Rauch-Werk in Ludesch von oben. Foto: Initiative Ludesch

 

Verfechter der geschützten Grünfläche? 

Sorgenfreie Amtsantritte für BürgermeisterInnen, die gibt es. Dem Ludescher Bürgermeister Martin Schanung (Parteifrei) war er angesichts der Umstände nicht vergönnt. Der seit September amtierende Bürgermeister hat nun die Herkulesaufgabe, ein gespaltenes Dorf wieder zu einen. Und er muss entscheiden, ob Rauch Fruchtsäfte die 6,5 Hektar nun kriegt oder eben nicht. Das Unternehmen würde sich weiterhin gern “nachhaltig weiterentwickeln”, wie Geschäftsführer Daniel Wüstner sagt. Man konzentriere sich aber auch auf Projekte außerhalb Vorarlbergs und der Ball liege bei der Gemeinde. Dort will Schanung sich nicht hetzen lassen.„Ich möchte mir die Zeit nehmen mit allen Beteiligten zu reden.“ Eine Möglichkeit von vielen wäre eine neue Volksabstimmung auf Initiative der Gemeinde selbst.

Auch das Land Vorarlberg hat bei der Expansion ein Wort mitzureden. Im Kampf gegen Flächenfraß durch Industrie und Zersiedelung hat man dort bereits 1977 eine Landesverordnung zum Schutz der Grünflächen geschaffen. Eine solche umarmt auch das Gebiet um Rauch – auch das macht das Projekt so brisant. In Bregenz wartet auch Marco Tittler (ÖVP) auf ein Zeichen der Gemeinde. “In die Willensbildung des neuen Bürgermeisters und Gemeindevertretung will ich nicht eingreifen”, sagt der für Raumplanung und Wirtschaft zuständige Landesrat. Man stehe Martin Schanung und der Gemeinde beiseite, und werde den Wunsch von Ludesch – ob Flächenumwidmung oder Erhalt des status quo – respektieren. 

Formal hat der Verfassungsgerichtshof der direkten Demokratie in Vorarlberg einen Schlag verpasst. Realpolitisch kann man sie aber nicht einfach ignorieren. „Rechtlich gesehen ist die Abstimmung nichtig“, sagt Bürgermeister Schanung, „nicht aber auf einer moralischen Ebene“.

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