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Ungleichheit
Kapitalismus

Die Geschichte vom wahren "Herr der Fliegen" und warum du sie kennen solltest

Ein populäres und mehrmals verfilmtes Buch prägt seit Jahrzehnten unser Denken mit. Hier erfährst du die wahre Geschichte hinter "Herr der Fliegen" von William Golding.

 
 

Eine Gruppe von Kindern strandet auf Insel und muss alleine überleben. Was passiert? Viele von uns haben entweder das bekannte Buch „Herr der Fliegen“ gelesen oder seine Verfilmung gesehen und „wissen“: Nach und nach greifen die Kinder zu mehr Gewalt und verlieren jegliches zivilisierte Verhalten. So ist er halt, der Mensch. Grundsätzlich verdorben und der Lack der Zivilisation ist dünn, nicht wahr?

Nein. Auch wenn das ein oft und schon lange erzähltes Vorurteil über das Wesen des Menschen ist, ist es nicht unbedingt wahr. Was Autor William Golding im 1954 erschienenen Buch erzählt, entsprang seinem Kopf. Und was man über den späteren Literatur-Nobelpreisträger oft nicht weiß: er hatte offenbar ein gutes Gespür für eine spannende Geschichte, aber auch seine Probleme und ein sehr negatives Bild vom Menschen. Golding war laut einer Biographie ein „Alkoholiker. Ein Mann, der seine Kinder schlug. Und ein Lehrer, der kranke Experimente mit Kindern anstellte und versucht, sie gegeneinander aufzuhetzen“. 

Mit diesen Worten fasst Autor Rutger Bregman das zusammen. Der hat in einem lesenswerten Text für den englischen Guardian kürzlich recherchiert, was 1965 passiert ist, als eine Gruppe von Kindern wirklich für 15 Monate alleine auf einer Insel überleben mussten.

Falls dir der Text gerade zu lange ist oder dir Englisch nicht so liegt, hier eine kurze Zusammenfassung der wahren Geschichte: Sechs gelangweilten Buben zwischen 13 und 16 Jahren aus Tonga hatten eines Tages keine Lust auf Schule. Sie stibitzten sich unbemerkt ein kleines Segelboot von einem Fischer, schliefen darauf auf hoher See ein und verunglückten in einem Sturm. Da die Suche nach Ihnen erfolglos war, wurden sie schließlich für tot erklärt. Sie strandeten in Wirklichkeit aber acht Tage später auf einer Insel namens „Ata“. Das war ein ziemlich karger Felsen.

 

Erst 15 Monate später fand ein anderer Fischer die Kinder zufällig, als er an „Ata“ vorbeifuhr und einen splitternackten Jungen ins Wasser springen sah.

Was war dazwischen geschehen? Die Kinder hatten keinesfalls angefangen, sich gegenseitig zu massakrieren. Das würden viele solchen unglücklichen Schulschwänzern und Ausreißern wohl nicht zutrauen, aber stattdessen arbeiteten sie zusammen und entwickelten einen Arbeitsplan. Sie bauten sich einen kleinen Garten an, hielten sich Hühner, speicherten Wasser in ausgehöhlten Baumstämmen, schufen sich sich ein kleines Fitnessstudio und einen Badminton-Platz auf und hielten ein entfachtes Feuer über ein Jahr lang durch abwechselnde Verantwortung am Brennen. Um Streitigkeiten nicht zu arg werden zu lassen, entwickelten sie ein System zur Konfliktlösung: man ging einfach einige Zeit auf andere Seiten der Insel. Die Situation war schwierig, fast aussichtslos und bestimmt stressig. Manchmal regnete es dann auch noch über Monate wenig und der Durst wurde groß. Aber die sechs Kinder blieben die ganze Zeit über Freunde. 

 

„Erzählen wir doch auch diese Geschichte“

Der Historiker Bregman weiß: „Das ist nur eine einzelne Geschichte und kein wissenschaftliches Experiment. Aber wenn Millionen SchülerInnen immer noch das erfundene ‚Herr der Fliegen‘ lesen müssen, dann erzählen wir Ihnen doch auch diese wahre Geschichte.“

Tatsächlich dürfte bisher fast niemand die Geschichte von den sechs Jugendlichen aus Tonga kennen. Goldings „Herr der Fliegen“ ist hingegen ziemlich beliebt. In der englischsprachigen Welt gehört es oft sogar zur Pflichtlektüre für SchülerInnen und viele einflussreiche Menschen sollen von seinem negativen Menschenbild inspiriert gewesen sein.

Welche Geschichten wir hören und glauben, das beeinflusst, ob wir die Natur des Menschen für grundsätzlich freundlich, unfreundlich oder auch irgendetwas dazwischen halten. Das wiederum ist nicht egal, denn diese Haltung prägt unser Denken, unser Handeln und unsere Politik und damit unser Zusammenleben.

Bregman hat die Geschichte dieser wahren Begebenheit ursprünglich für sein Buch „Im Grunde gut“ recherchiert. Dort versucht er – als Historiker – genau deshalb, die wahre Geschichte der Menschheit auf eine Weise zu erzählen, die weniger negativ ist, als wir das gewohnt sind.

 

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