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Kapitalismus

Wie ich mein letztes Hobby an die Armut verloren habe

Daniela Brodesser und ihre neue Kolumne: Armutprobe. Das Cover zeigt Brodessers skizziertes Porträt.

Daniela Brodesser war leidenschaftliche Fotografin - bis ihr die Armut ihre Kamera nahm. In der neuen Folge der Kolumne "Armutprobe" schreibt sie darüber, was ihr das Fotografieren bedeutet hat und wieso ein Hobby kein Luxus sein sollte.

Während all der Jahre in der Armut hatte ich immer eine Sache, die mir geholfen hat, die schwere Zeit durchzustehen: meine Kamera. Kein Profi-Gerät, aber gut genug für mich. Wie heißt es so schön? Eine Kamera ist nur so gut wie der Mensch, der sie bedient.

Mein Lieblingsfoto ist das eines Sonnenuntergangs nicht weit von unserem Haus am Feldweg. Meine Kinder und ich sind dort täglich spazieren gegangen. An dem Tag, als das Foto entstand, hat meine Tochter zum ersten Mal selbst die Kamera in die Hand genommen. Das sind Momente, an die ich mich gern zurückerinnere. Das Fotografieren, Bearbeiten und Präsentieren meiner Arbeiten hat mir Selbstbewusstsein gegeben.

Kamera oder Strom

Vor etwa zwei Jahren war es dann aber so weit. Ich musste mich entscheiden: Behalte ich die Kamera oder bezahle ich die Stromrechnung? Die letzten Möglichkeiten auch nur irgendwie Geld zu beschaffen waren längst ausgeschöpft. Also verscherbelte ich meine geliebte Kamera für 120 Euro im Internet und bezahlte die Stromrechnung.

Mein Lichtblick, meine Ablenkung, mein Weg, das Leben in Armut ein wenig besser zu machen war damit schlagartig weg. Gestern habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit darüber nachgedacht. Ich habe mit meinem Mann über Hobbys gesprochen. Die muss man sich leisten können. Mitgliedschaften in Vereinen, die Gebühr für Sportkurse oder einfach das Material fürs Malen – all das kostet Geld. Ein Hobby, das ist in den Augen vieler Luxus. Auch ich dachte lange, dass mir ein Hobby nicht zusteht. Wieso sollte ich Geld in eine Freizeitaktivität stecken, während ich meine Familie kaum über die Runden bringen kann?

Hobby ist Luxus? Nein

Dabei sind Dinge, die uns guttun, so wichtig. Vor allem im Alltag in Armut, der von Existenzängsten geprägt ist und sonst nur wenige Lichtblicke bietet. Weil Hobbys Gemeinsamkeiten und erfüllende Momente mit der Familie schaffen kann. Solche Momente hatte ich bei den Spaziergängen mit meinen Kindern und der Kamera.

Zum ersten Mal denke ich darüber nach, mir wieder eine Kamera anzuschaffen. Aber der Gedanke alleine macht mir Angst, dass wieder der Moment kommt, in dem ich mich entscheiden muss. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal ertragen könnte.

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