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Arbeitswelt

Arbeiten im Einzelhandel: “Wir sind keine Menschen zweiter Klasse!”

Beleidigungen, Stress, schlechte Arbeitsbedingungen: Wer im Einzelhandel arbeitet, hat es in der Vorweihnachtszeit noch schwerer.
Wenig Personal, viel zu tun und unfreundliche Kund:innen: In der Vorweihnachtszeit spitzt sich die ohnehin schon angespannte Situation der Beschäftigten im Einzelhandel noch weiter zu. Dazu kommen respektlose Angebote der Arbeitgeberseite bei den Verhandlungen zum Kollektivvertrag. Bei uns erzählt Alexandra* über pöbelnde Kunden und fehlende Solidarisierung.

Heute habe ich wieder so einen Punkt erreicht, an dem ich mir gedacht habe: “Das ist mein Beruf? Ich werde von Kundinnen und Kunden schikaniert und beleidigt – muss ich mir das wirklich bieten lassen?” Ich will darüber endlich nicht mehr schweigen.

Ich arbeite an einem Abholschalter in einem Einkaufszentrum. Eigentlich habe ich es sogar besser als viele andere meiner Kolleginnen und Kollegen. Ich habe eine Vollzeitstelle, was sehr selten ist. Das hätten andere sehr gerne. Die meisten müssen trotzdem Teilzeit arbeiten. Wer eine Vollzeitstelle bekommen will, muss sich das hart erkämpfen. Finanziell würde sich das bei mir gar nicht anders ausgehen. 

Mein Arbeitsplatz ist vergleichsweise sehr in Ordnung. Ich muss aber oft aushelfen, speziell an der Kassa. Uns fehlen Leute, niemand will mehr im Handel arbeiten. 

Wie ist es gerade, im Einzelhandel zu arbeiten?

Heute musste ich wieder aushelfen, was mir eigentlich nichts ausmacht. Es war extrem stressig, die Stimmung angespannt. Ein älterer Herr wollte einen Gutschein kaufen, musste dann noch das Motiv auswählen. Ich habe in der Zwischenzeit eine andere Kundin bedient. Er hat sich dann aufgeregt, dass er nicht sofort drankommt. Als er gezahlt hat, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass er die Bankomat-Karte länger an das Lesegerät halten müsse. Er hat dann zu schimpfen begonnen und mich beleidigt. Beim Gehen hat er mir gesagt, dass ich ein blödes Weib bin.

Solche Vorfälle kommen nicht täglich vor, aber sie sind trotzdem normal. Man muss immer damit rechnen. Ich habe eigentlich eine sehr gute Vorgesetzte, die auf meiner Seite ist bei sowas. Sie hat mich gefragt, warum ich sie nicht geholt habe. Aber dafür fehlt einfach die Zeit. Es ist zu viel zu tun.

So anstrengend ist der Einzelhandel

Ich habe oft das Gefühl, dass mich die Kund:innen als einen Menschen zweiter Klasse sehen. Viele denken, dass wir nur hinter der Kassa stehen. Dass wir nichts im Kopf haben und deswegen nichts anderes machen. Dabei steckt natürlich viel mehr Arbeit dahinter, als sie sehen. Und die Zeiten, in denen wir Beleidigungen über uns ergehen lassen müssen, sollten einfach vorbei sein.

Wir sind sehr oft unterbesetzt, deswegen müssen die Kundinnen und Kunden manchmal eben warten. Das verstehen sie nicht, werden ungeduldig und sauer. Es ist ein Teufelskreis. 2021 war der Arbeitskräftemangel wegen Corona besonders schlimm, danach wurde es etwas besser. Aber es ist ein ständiges Auf und Ab. Ich verstehe ehrlich gesagt auch, warum man nicht in dieser Branche arbeiten will.

Nur wenige wollen streiken

Ich habe vor kurzem auch erfahren, dass bei uns kaum jemand streiken will. Manche meiner Kolleg:innen interessiert das einfach nicht – vor allem die älteren, die nur mehr ein paar Jahre zu arbeiten haben. Viele haben aber auch Angst, dass es ein schlechtes Bild auf sie werfen könnte oder sie deswegen kein Geld bekommen. In mir ist da etwas zusammengebrochen, weil ich mir endlich Veränderung erhoffe.

Ich will, dass wir uns gemeinsam solidarisieren! Wir müssen zeigen, dass wir auch etwas erwirtschaften. Wir sind keine Menschen zweiter Klasse. Dass die Verhandlungen des Kollektivvertrags immer von Arbeitgeberseite abgebrochen wurden, zeigt, wie wenig wir ihnen wert sind. Wir sollten zeigen, dass es uns reicht. Dass wir es nicht verdienen, so behandelt zu werden.

Bei meinen Kolleginnen und Kollegen führt das aber kaum zu Aufregung. Es gibt einfach zu viel Resignation. Auch bei mir. Ich weiß nicht, ob ich versagt habe, oder ob es das System ist.

Mehr Gehalt und Respekt

Die Gewerkschaft müsste einfach noch aktiver sein. Sie muss den Menschen viel mehr Angebote machen. Ihnen klarmachen, dass sie sie brauchen. Wir sind nur gemeinsam stark und können Forderungen durchsetzen. Das sieht man ja auch bei anderen Gewerkschaften. Ich bin mit meinem Betriebsrat sehr zufrieden, aber auch da fehlt der Biss. 

So viel verlangen wir ja auch nicht. Natürlich geht es auch um das Gehalt. Auch die Arbeitszeiten sind schwierig und es braucht mehr Vollzeitstellen. Aber es geht auch darum, wie wir von den Unternehmen, den Vorgesetzten und auch von Kundinnen und Kunden behandelt werden. Mehr Geduld und öfter mal ein freundliches Wort würde auch schon einiges besser machen.

Im Handel arbeiten keine Roboter, sondern Menschen

Ich finde gut, dass das Thema durch die Verhandlungen und Streiks in den Medien präsent ist. Es ist sehr wichtig, dass darüber gesprochen wird – immer nur zu schweigen bringt uns nicht weiter. Vielleicht realisieren so auch die Unternehmen, dass sie wertschätzender mit uns umgehen sollten. Natürlich haben manche von ihnen auch finanzielle Probleme. Aber dann bekommt man mit, welche Umsätze sie etwa am Black Friday machen und man selbst erhält gerade mal ein Dankeschön, dass man gearbeitet hat. Das ist einfach zu wenig.

Dass die Menschen wegen möglicher Streiks bei ihren Weihnachtseinkäufen gestört werden, sollte eigentlich kein Problem sein. Es ist ja nicht so, als würde Weihnachten überraschend kommen. Man muss die Geschenke ja nicht unbedingt am Weihnachtssamstag kaufen. Aber ganz grundsätzlich würde ich mir einfach wünschen, dass die Kundinnen und Kunden verstehen, dass im Handel keine Roboter arbeiten, sondern Menschen.

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