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Kapitalismus

Wie Marie Kondo den Minimalismus verkauft – EsKallertion mit Nunu Kaller

Marie Kondo hat einen Minimalismus Trend ausgelöst. Aber was ist das Problem mit Marie Kondo? Ist ihr Minimalismus nur eine Marketingstrategie? Autorin Nunu Kaller spricht über Minimalismus, unsere Konsumwelt und was damit nicht stimmt.
 

Minimalismus?! 

Hallo bei der EsKallertion. Ich bin Nunu Kaller und wir sprechen hier einmal im Monat über Nachhaltigkeit, unsere Konsumwelt und was damit nicht stimmt. Heute reden wir über den Minimalismus und Marie Kondo.

Nunette: Herrlich. Ich hab ausgemistet. Alles weg. Platz im Bücherregal, Platz in den Schreibtischladen, nichts steht mehr unnötig herum. es fühlt sich herrlich an! 

Nunu: Gratuliere und danke! Jetzt hab ich Platz, mir neue Bücher zu kaufen, juhu! Voll die Ausrede lieferst du mir da, ich bin dann mal im Buchladen.

Ausmisten: Währenddessen hasst man es. Man fühlt sich schrecklich, weil man es schon wieder so weit hat kommen lassen, so viel Krempel zu haben, und noch dazu so unsortiert. Man denkt, dass man nie fertig wird. Man wundert sich darüber, wie es der mit sechzehn im Stammlokal des großen Bruders gestohlene Aschenbecher durch die letzten drei Ausmistaktionen geschafft hat. Ich rauche übrigens seit vielen Jahren nicht mehr.

Aber wenn man fertig ist, fühlt sich das gut an. Alles aufgeräumt. Alles hat seinen Platz. Die Bücher sind nach Farbe, die Taschen nach Größe sortiert. Es gibt keine dieser Laden mehr, in die man halt mal schnell alles reinstopft, was verschwinden muss. Im Regal sind freie Flächen. Man überblickt das eigene Reich, seufzt zufrieden und denkt sich, dass man jetzt endlich wieder die Kontrolle und den Überblick hat. Über den eigenen Besitz, ach was, über das eigene Leben. Eine, die riesengroßen Erfolg damit hatte, genau diesen Vorgang und dieses Gefühl danach Menschen näherzubringen, ist Marie Kondo.

Nunette: Ja genau! Toll! Die Japanerin hat drei Bücher über die „Kunst des Aufräumens“ geschrieben – in 27 Sprachen übersetzt – über sieben Millionen Mal verkauft. 

Marie Kondo: gib deinen Sachen einen Wert

Nunu: Ihr Konzept: Gib deinen Sachen einen Wert. Sie alle haben Bedeutung für dich, und das sollte wertgeschätzt werden. Nimm jedes Teil in die Hand und überlege (oder spüre in dich rein), ob du diesen Gegenstand in deinen Händen eigentlich noch brauchst, ob er dir Mehrwert gibt und ob er – um bei ihren Worten zu bleiben, “joy sparkt”, also einen Funken der Freude in dir auslöst. Wenn nicht: Weg damit. Und der Rest muss gut sortiert, am besten alles thematisch in verschiedene Kisten eingeteilt werden.

Als ihre Serie auf Netflix veröffentlicht wurde, ging ihre Popularität durch die Decke. Marie Kondo, eine kleine, zierliche Japanerin, besuchte typische US-amerikanische Familien und erklärte ihnen, wie man ausmistet. Gut, die eine oder andere Szene darin war etwas befremdlich. Beispielsweise als sie meinte, man müsse Bücher „aufwecken“, indem man auf Bücherstapel klopft. So gut ich all die Ausmisterei und Sortiererei nachvollziehen kann – bei der Aussage, dass man nur 30 Bücher im Regal braucht, bin ich raus. Sorry, aber: Nein, sicher nicht.

Aber ja, Marie Kondo und ihr Erfolg zeigen sehr gut: Minimalismus macht mehr mit uns als unsere Regale zu leeren. Es gibt einen Zusammenhang zwischen persönlichem Freiheitsgefühl und Besitz, vor allem dem Besitz, von dem wir uns definieren lassen. Kaum war die Serie draußen, gingen die Second-Hand-Läden weltweit vor Spenden über. Die Menschen standen am Wochenende sogar Schlange, um ihre alten Möbel, Haushaltsgegenstände, Kleidungsstücke oder Bücher abzugeben.

Nunette: Ja aber das ist doch toll, dass die Leute draufkommen, was sie alles nicht brauchen! Darum geht’s doch, Reduktion!

Nunu: Ja aber: Wohin kam das ganze Zeug? Viele glaubten, mit der Spende täten sie etwas Gutes. Das Gegenteil stimmt: Vor allem die Lager für Kleidung platzten aus allen Nähten. Da durch die schlechte Qualität von Fast Fashion vieles nicht mehr verkaufbar ist, liegt es nun in der Verantwortung der Kleidersammler, die Kleidung zu entsorgen. Das heißt, die haben sogar Extra-Kosten damit!

Nunette: Ja aber das ändert doch nichts daran, dass es gut ist, wenn wir weniger besitzen! Irgendwann gibt’s dann halt nimmer so viel zum Ausmisten in den Haushalten!

Minimalismus ist modern

Nunu: Weit gefehlt. Marie Kondo steht zwar für Minimalismus, Ausmisten und die Frage, was uns eigentlich wirklich glücklich macht. Und das isr ja auch leiwand, aber: Sie hat einen Trend ausgelöst. Trends zeichnen sich dadurch aus, in einem schnellen Hype von irre vielen Leuten umgesetzt zu werden und dann relativ zügig wieder an Relevanz zu verlieren. 

Wenn es blöd hergeht, dreht sich der Trend sogar noch ins Gegenteil um. Sicher, es gab sehr wahrscheinlich ein paar Leute, die von dem Moment an, als sie die Marie-Kondo-Methode ausprobierten, von da an für immer so lebten. Reduziert, minimalistisch, sortiert. Aber ich trau mich wetten: Der Großteil der Leser:innen ihrer Bücher und ZuschauerInnen der Serie hat aus diesem Lebensstil keine dauerhafte Gewohnheit gemacht. 

Es ist halt einfach so: Unser Wunsch nach Ressourcenansammlung ist biologisch begründet. Und damit dreht sich das Konsumrad dann doch munter weiter. So, und weißt du, wann ich dann wirklich sauer auf die gute Marie Kondo wurde?

Nunette: Ich fürcht, ich weiß es.

Wie Marie Kondo den Minimalismus verkauft

Nunu: Genau die Personen, die nach Anleitung von Marie Kondo ausgemistet hatten und nun eben viel Platz hatten, bekamen die Möglichkeit, diesen Platz wieder anzufüllen – von Marie Kondo höchstpersönlich selbst. In ihrem Webshop gab es  nicht nur ihre Bücher und viele verschiedene Kisten zu kaufen gab, sondern auch eine Auswahl an Produkten, von denen ich vorher wirklich keine Ahnung gehabt hatte, dass ich sie brauche: zum Beispiel, unterschiedliche Kristalle, jeweils mit einer kleinen Stimmgabel mit der man an die Kristalleschlagen kann. In anderen Worten: Zwei Dinge, die wirklich einfach nur zum Herumliegen gedacht sind. Und so nebenbei 75 US-Dollar kosten. 

Mein besonderer Favorit: die „Flower Bouquet Tote“. Eine stinknormale Einkaufstasche aus Baumwolle. Mit der man romantisch zum Markt geht und dort einen Blumenstrauß kauft, den man dann in der Baumwolltasche heimträgt. Der Killerangebotspreis 42 US-Dollar. Warum das ganze? Weil es extra Joy sparkt? 

Nunette: Zuckt mit den Schultern. Hat kein Argument mehr. 

Nunu: Wie absurd ist dieser Onlineshop eigentlich: Mein Verdacht, dass der Trend zum Ausmisten nur weiteren Konsum anheizt, bestätigt sich nicht nur, sondern wird sogar noch von der “Königin des Ausmistens” angefeuert. Oder ist irgendjemand hier der Meinung, für echtes minimalistisches Leben braucht es einen kleinen Messingspiegel um 150 US-Dollar? 

Nunette: Schaut sich in einem kleinen Handspiegel an. 

Nunu Kaller ist Aktivistin und Autorin aus Wien. Ihr neuestes Buch „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ ist im März bei Kremayr & Scheriau erscheinen und im gut sortierten Buchhandel erhältlich.

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