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Kapitalismus

Wien Energie braucht staatliche Hilfe: Die 6 wichtigsten Fragen und Antworten dazu

Wien Energie braucht Unterstützung vom Staat. Einzelne Boulevardmedien schrieben anfangs panisch von Zahlungsunfähigkeit des größten Stromanbieters von Wien. Dabei zeigte ein genauerer Blick schnell: Es geht vor allem um Sicherheiten für den Börsenhandel mit Strom und Gas. Andere Staaten sind schon länger auf dieses Situation vorbereitet. Wir haben die Ökonom:innen des Momentum Instituts gefragt: Was ist da los?

Anmerkung: Die Lage ist durch neue Informationen immer wieder neu zu bewerten. Wir bemühen uns, hier den aktuellsten Stand der Dinge abzubilden und zu erklären.

Wien Energie braucht Geld vom Staat: Was ist da los? 

Zunächst muss man sagen, dass die Faktenlage noch recht unübersichtlich ist und ständig neue Informationen kommen. Bisher sieht es so aus, dass Wien Energie Geld braucht, weil es mehr Sicherheiten für den Energiehandel braucht. Wie für Energieunternehmen üblich, kauft und verkauft Wien Energie über unterschiedliche Wege Strom und Gas. Üblicherweise wird dabei ein großer Teil des benötigten Stroms über langfristige Verträge gehandelt. Dabei wird etwa vereinbart, dass über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel das Jahr 2023, konstant Strom geliefert wird, und zwar zu einem fix vorgesehenen Preis.

Um so einen Vertrag abschließen zu können, muss Wien Energie allerdings finanzielle Sicherheiten beim Börsenhändler hinterlegen – sogenannte „Margins“, in Form von Geld oder kurzfristigen Staatsanleihen. Man kann sich das vereinfacht vorstellen als eine „Anzahlung“ auf die spätere Lieferung, etwa zehn Prozent. Aber Vorsicht: Die Anzahlung wird nicht einmal bezahlt und bleibt dann gleich, wie man das vermuten würde. Tagesaktuell überprüfen die Börsenhändler stattdessen, ob angesichts laufend anderer Börsenpreise die „Anzahlung“ noch ausreicht. Tut sie das im Hinblick auf den bei Vertragsende zu zahlenden Preis nicht, verlangen die Händler, dass man Geld nachschießt, damit die Höhe der Sicherheit wieder stimmt.

Nachdem nun die Strompreise in den letzten Tagen stark gestiegen sind, sind auch die Erfordernisse für die Sicherheiten gestiegen. Schwanken die den Geschäften zugrunde liegenden Börsenpreise so extrem wie zuletzt, können diese „Margin Calls“ – dass Börsenhändler zusätzliche Sicherheiten verlangen – schnell in den Millionen- und Milliardenbeträge gehen. Es geht dem Stromversorger damit so wie allen Stromkonzernen, die nicht über private Verträge, sondern an der Börse ihre Energiegeschäfte abwickeln. Wien Energie muss jetzt zusätzliche Sicherheiten hinterlegen und braucht dafür Unterstützung. 

Konnte man das vorhersehen? 

Den Krieg in der Ukraine konnten Energiefirmen nicht wirklich vorhersagen. Auf den Strommärkten gibt es schon seit Monaten extreme Preissteigerungen, was vor allem daran liegt, dass Gas immer teurer wird – weil Russland Lieferungen drosselt und einstellt und Angst davor herrscht, dass das russische Gas künftig noch stärker fehlen könnte.

Nachdem dieses Gas aber für die Stromproduktion benötigt wird, steigen auch die Strompreise. Immer wieder sind die Preissteigerungen dabei überraschend hoch. Ein Beispiel: Pro Megawattstunde Strom zahlte man an der Börse Mitte Juli noch um die 360 Euro. Letzten Freitag waren es schon mehr als doppelt so viel. Alleine vergangene Woche stieg der Preis weiter, von 700 auf 1000 Euro.

Das zeigt: Eine Börse funktioniert nur gut, wenn es halbwegs Sicherheit über die Zukunft gibt. Sobald ein überschaubares Risiko zur fundamentalen Unsicherheit wird, spielt der Finanzmarkt verrückt. Der Markt trocknet aus, weniger Firmen handeln, dafür sind die Preisschwankungen dann extrem.

Stromversorger, die langfristige Verträge mit Stromerzeugern abgeschlossen haben, ohne dass die Börse beteiligt ist, haben diese Probleme nicht. „Margin Calls“ gibt’s es in diesen Verträgen nicht. Darum wäre empfehlenswert, wenn sich Wien Energie künftig stärker um langfristige private Lieferverträge mit Stromerzeugern bemüht.

Hat Wien Energie spekuliert? Oder ist es Opfer von Spekulationen geworden?

Langfristige Verträge, deren „Lieferung“ erst in der Zukunft erfolgt, bedeuten für beide Vertragsparteien ein Risiko. Ändert sich der Preis zwischenzeitlich, gibt es zwangsläufig einen Gewinner und einen Verlierer. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass man wie im Casino spekuliert. Nachdem Strom rund um die Uhr benötigt wird, müssen Energieversorger bis zu einem gewissen Grad vorsorgen und eben Verträge über zukünftige Lieferungen abschließen. Natürlich ist dafür aber ein gutes Risikomanagement notwendig. Ob dieses versagt hat, muss noch geklärt werden. 

Grundsätzlich ist Wien Energie ein Netto-Einkäufer von Strom. Sie haben viel mehr Kunden, an die sie Strom liefern müssen, als sie selbst produzieren. Hätte Wien Energie vor Kriegsausbruch genügend Strom für eine spätere Lieferung gekauft, stünden sie heute eigentlich als Gewinner da: Denn der Strompreis ist gestiegen, sie erhalten aber im Vergleich dazu den „günstigen“ Strompreis von vor dem Krieg. 

Doch sie dürften einen Teil ihrer eigenen Erzeugung verkauft haben, und nicht für die eigenen Kunden eingesetzt haben. Das kann Sinn machen, wenn der Strom nicht zum genauen Zeitpunkt gebraucht wird, wann er erzeugt werden kann. Jedenfalls sind solche Börsengeschäfte aktuell deutlich im (hypothetischen) Minus. Hat Wien Energie vor einigen Monaten einen Vertrag geschlossen, dass es künftig Strom liefern wird, ist das aus jetziger Sicht ein Verlustgeschäft. Denn heute könnte man einen besseren, höheren Preis dafür erzielen. 

Die Ratingagentur Fitch weist etwa darauf hin, dass das Unternehmen zwar bilanzmäßig Gewinne schreibt, aber 2022 im laufenden Betrieb aufgrund von Investitionen nicht viel Geld da ist. Der Verschuldungsgrad hingegen ist im Vergleich zu den geringen laufenden Einnahmen hoch. Er ist von 0,3 auf 2,8 gestiegen. Das bedeutet ein Risiko für Wien Energie, dass neue Zahlungsverpflichtungen nicht einfach so aus dem Geld am „Bankkonto“ bestritten werden können. Und genau dieser Fall ist jetzt eingetreten. Nun muss die Stadt bzw. die Republik staatliches Geld zuschießen und diesen Engpass an Geld (Liquidität) zu überbrücken.
 

Werden auch andere Anbieter Hilfe brauchen?

Ob es auch andere Anbieter trifft, lässt sich heute noch nicht genau sagen. Aber es ist durchaus möglich, dass das noch passieren könnte. Aus diesem Grund hat etwa die deutsche Bundesregierung schon vor ein paar Monaten für Energieunternehmen die Möglichkeit geschaffen, sich Unterstützung für zu hinterlegende Sicherheiten zu holen. In Österreich fehlt so ein Instrument bisher.

Kann man so eine Situation für die Zukunft verhindern? 

Zunächst muss geklärt werden, was genau passiert ist, und ob es ein Managementversagen gegeben hat beziehungsweise, ob die Wien Energie nicht eine andere Einkaufsstrategie für ihren Strom wählen hätte sollen. Abgesehen davon ist die aktuelle Situation aber auch Teil der Energiepreiskrise. Und die lässt sich vor allem dadurch eindämmen, dass man die Abhängigkeit von Gas reduziert und mehr Strom mit erneuerbaren Energien erzeugt. Außerdem sollte der Strompreis stärker vom Gaspreis entkoppelt werden, wie das etwa schon andere Länder wie Spanien tun. 

Was bedeutet das Problem bei Wien Energie für mich?

Für Dich persönlich bedeutet das vorerst einmal gar nichts. Die Stromversorgung dürfte zu jederzeit gewährleistet sein, es geht ja um Verträge für zukünftige Stromlieferungen. Außerdem hat Wien Energie rund 2 Millionen Kund:innen, die Land und Bund haben Hilfe zugesagt, um Wien Energie in der aktuellen Situation zu helfen. 

Der Vorfall zeigt aber, dass die Börsen-Strompreise weiter steigen. Damit könnten auch die Strompreise für die Haushalte weiter steigen – allerdings mit einer gewissen Verzögerung. Deshalb wäre es wichtig, dass nun Maßnahmen ergriffen werden, die Strompreise von den Gaspreisen entkoppeln und dafür sorgen, dass Strom leistbar bleibt.

Langfristig wird sich die Preisproblematik nur lösen lassen, wenn wir die erneuerbare Stromproduktion jetzt schleunigst ausbauen.

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