print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt
Kapitalismus

Teilzeit bestrafen? Das trifft die Falschen – und schwächt die Wirtschaft

Teilzeit bestrafen? Das trifft die Falschen – und schwächt die Wirtschaft
Die Industrie will die Teilzeit bestrafen. Das ist wirtschaftlich dumm, sozial ungerecht und ein rückwärtsgerichtetes Bild von Arbeit. Momentum-Ökonomin Barbara Schuster kommentiert.

Österreich steckt mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Beginn der Zweiten Republik. Die Wirtschaftsleistung schrumpft das dritte Jahr in Folge. Was die Wirtschaft jetzt bräuchte, ist klar: Mehr Kaufkraft, höhere Löhne, stärkere Binnenkonjunktur.

Doch Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, hat einen anderen Vorschlag: nicht die Einkommen erhöhen – sondern Teilzeitkräfte bestrafen. Mit höheren Mindestbeiträgen zur Sozialversicherung sollen jene unter Druck gesetzt werden, die heute schon weniger verdienen, weniger abgesichert sind und trotzdem das Land am Laufen halten: die Frauen.

Mehr als jede zweite erwerbstätige Frau in Österreich arbeitet heute in Teilzeit. Nicht, weil sie das System „ausnützen“ will, wie Helmenstein unterstellt, sondern weil sie Care-Arbeit schultern muss – Kinder betreuen, alte Eltern pflegen, Familie organisieren. Die Strukturen – ganztägige Kinderbetreuung, flächendeckende Pflegeangebote, faire Arbeitszeiten – fehlen. Frauen arbeiten Teilzeit, weil sie müssen. Nicht, weil sie können.

„Teilzeitepidemie“: Aus Strukturmangel wird Vorwurf 

Helmenstein nennt das allen Ernstes eine „Teilzeitepidemie“. In Wahrheit ist es eine Strukturkrise der Vereinbarkeit, die die Industriellenvereinigung politisch nicht gelöst haben will, sondern weiter verschärfen möchte.

Wer Teilzeit mit höheren Abgaben bestraft – und damit teurer macht, trifft nicht diejenigen, die dank exzellentem Einkommen auch mit 35 Stunden wunderbar ihr Leben finanzieren können. Getroffen werden Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Alleinerzieherinnen. Menschen, die ohnehin wenig verdienen, sich kaum absichern können und deren finanzielle Spielräume heute schon auf ein Minimum zusammengeschrumpft sind.

Unwirtschaftlicher Vorschlag

Ökonomisch ist Helmensteins Vorschlag eine Bankrotterklärung. Denn jede zusätzliche Belastung für Niedrigverdiener:innen drückt sofort auf den Konsum – der Bereich, der in einer Krise stabilisierend wirkt. Teilzeitkräfte geben ihr gesamtes Einkommen aus  – und das weitgehend lokal: im Supermarkt, beim Friseur, im Wirtshaus um die Ecke.

Kürzt man ihnen das Einkommen, bricht genau dieser Binnenkonsum ein. Das verschlechtert also nicht nur die Lebensverhältnisse hunderttausender Frauen, sondern schwächt auch tausende lokale Betriebe, die auf stabile Nachfrage angewiesen sind.

Wer Teilzeit verteuert, erzeugt neue Armut, neue Abhängigkeit – und neue Kosten für das Sozialsystem, das dann mit Notstandshilfe und Wohnbeihilfen aushelfen muss. Kurzum: Was als „Entlastung“ der Sozialversicherung verkauft wird, führt de facto zu höheren Sozialausgaben.

Vorbild: Rumänien?

Helmenstein schwärmt vom rumänischen Modell: Dort müssen Teilzeitbeschäftigte Beiträge wie Vollzeitkräfte zahlen. Was er verschweigt: Die Einführung dieser Regelung kann sich extrem negativ auswirken. Wer Teilzeit teuer macht, verdrängt Leute in die Schattenwirtschaft. Das Resultat ist nicht zwingend Vollzeitarbeit – sondern mehr Unsicherheit und weniger soziale Absicherung.

Ein Blick auf Länder mit hohen Teilzeitquoten zeigt, dass Teilzeitarbeit nicht das Problem ist – sondern schlechte Rahmenbedingungen. In den Niederlanden arbeiten rund 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen (und auch viele Männer) Teilzeit, aber das freiwillig und unter guten Bedingungen: Die Einkommen pro Stunde sind hoch, die soziale Absicherung ist stark, Kinderbetreuung ganztägig verfügbar. Teilzeit dort ist kein unfreiwilliges Ausweichen, sondern echte Wahlfreiheit.

Neben der hohen Teilzeitquote verzeichnen die Niederlande aber auch eine der höchsten Beschäftigungsquoten Europas und eine stabile Binnenkonjunktur. Wer mehr Arbeitsstunden erreichen und dafür Teilzeit bekämpfen will, verkennt also: Nicht die Arbeitszeit an sich ist das Problem, sondern die fehlende Möglichkeit, sie selbstbestimmt und abgesichert zu gestalten.

Teilzeit oder Vollzeit? Mehr Wahlfreiheit!

Was Österreich braucht, ist nicht weniger Teilzeit, sondern wirkliche Wahlfreiheit. Eine Wirtschaft, in der Menschen arbeiten können, wie es zu ihrem Leben passt – und nicht wie es die Buchhalter der Industriellenvereinigung wollen. Wer heute Teilzeit bekämpft, betreibt eine Politik auf Kosten der Frauen und der Familien.

Anstatt Teilzeitkräfte zu bestrafen, müsste die Politik endlich die realen Probleme lösen: einen flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung, bessere Pflegeangebote, Arbeitszeitmodelle, die Flexibilität wirklich ermöglichen. Es sei erinnert: Wir arbeiten, um zu leben. Wir leben nicht, um zu arbeiten. Auch wenn das die Industriellenvereinigung gerne hätte.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!