Wie eine fragwürdige Wiener Organisation Gewalt gegen Christ:innen in Europa in Medien bringt

Die sogenannte “Dokumentationsstelle für Intoleranz und Diskriminierung gegen Christinnen und Christen in Europa” (OIDAC Europe) hat kürzlich ihren Jahresbericht für 2024 veröffentlicht. 2.211 antichristliche Hassdelikte habe es letztes Jahr in Europa gegeben, heißt es darin. "Hinter der Zahl stehen konkrete Fälle von Kirchenvandalismus, Brandstiftung und körperlicher Gewalt", zitiert der ORF die Direktorin Anja Tang und greift die Schlussfolgerung des Reports auf, wonach Christ:innen zu den am stärksten von religiöser Intoleranz betroffenen Gruppen Europas zählen sollen.
Was ist OIDAC Europe?
Die Organisation wird vom ORF nur neutral als "Beobachtungsstelle" bezeichnet. Gar so neutral ist die in Wien ansässige Organisation allerdings nicht. Über wessen Spenden sie finanziert wird, gibt sie nicht bekannt.
Die Hinterleute der Organisation sind Vertreter:innen eines fundamentalistischen, politischen Christentums. Präsident der Vereinigung ist etwa Martin Kugler, ehemaliger Sprecher des erzkonservativen katholischen Bundes “Opus Dei”. Er kam vor wenigen Jahren in die Medien, weil er laut Wikileaks-Dokumenten für ein fundamentalistisches Netzwerk in Europa eine Plattform aufbauen sollte. Er ist zudem auch der Ehemann von Gudrun Kugler – einer ÖVP-Parlamentsabgeordneten. Beide sind wichtige Figuren in Netzwerken fundamentalistischer Christ:innen in Europa und treten oft im Zusammenhang mit Angriffen auf Frauen- und LGBTIQ-Rechte und als Abtreibungsgegner:innen auf.
Neben dem Bericht auf ORF.at wird die Organisation “OIDAC Europe” gerne in streng religiösen und konservativen bis rechten Medien zitiert. In der konservativen “Presse” durfte man den eigenen Jahresbericht kürzlich sogar gleich selbst in einem Gastkommentar vorstellen. Im rechten, deutschen Axel-Springer-Medium “Welt” wurde man dazu zum Interview geladen.
2.211 antichristliche Hassdelikte?
Die Jahresberichte basieren laut Website auf polizeilichen Statistiken, Meldungen der OSZE und auf Fällen, die Nutzer:innen selbst bei der NGO einreichen können. Eine genaue Auflistung der Vorfälle gibt es nicht. Wie zuverlässig die Zahlen sind, kann man also nur stichprobenartig erahnen.
Im Presse-Gastkommentar und auf der OIDAC-Webseite werden etwa augenscheinlich drastische Fälle hervorgehoben: “In Spanien wurde ein Mönch ermordet, in Istanbul erschoss ein IS-Anhänger während der Sonntagsmesse einen Kirchenbesucher, im nordfranzösischen Saint-Omer wurde eine Kirche bei einem Brandanschlag fast völlig zerstört”, heißt es.
Der Angriff in Istanbul scheint eindeutig. Dass die anderen beiden Fälle als besonders bemerkenswerte Fälle von Gewalt mit antireligösem Motiv herausgehoben werden, ist aber erstaunlich. Denn über den Schaden lässt sich nicht diskutieren, über die klare Einordnung zwei dieser schwerwiegenden Taten als “christenfeindlich" aber durchaus. Die Opfer dieser Taten waren zwar eindeutig Christen und Kirchen. Der Anschlag in Saint-Omer wurde aber etwa einem Mann zur Last gelegt, der davor verschiedene andere Brandstiftungen begangen hat und Geld stehlen wollte. Und jener Täter, der einen 76-jährigen spanischen Mönch brutal ermordet hat, soll vor allem schwere psychische Probleme gehabt haben und bei seiner Tat "Ich bin Jesus Christus" gebrüllt haben. Die Quellenlage zu diesen Vorfällen ist nach den ersten Berichten aber dünn und keiner der Fälle lässt sich hier endgültig klären.
Es gibt auch keinen Grund zu leugnen, dass es mit Sicherheit Vorfälle mit Gewalt und Hass gegen Christen gibt. Das muss man allerdings auch nicht, um den OIDAC-Bericht und dessen Behauptung über die angebliche Größenordnung christenfeindlicher Taten in Europa kritisch zu sehen.
Zahlen mit Vorsicht zu genießen
Und was genau bei den behaupteten 2.211 Fällen passiert ist, ist bei vielen nicht ersichtlich. OIDAC habe laut Bericht 516 selbst gesammelt. "Wenn man Diebställe und Einbrüche in religiöse Stätten dazu rechnet, steigt diese Zahl auf 1,503 Vorfälle", steht im Bericht. Warum man das pauschal tun sollte, ist unklar. Ein religionsfeindliches Motiv ist bei einem Diebstahl oder Einbruch in eine Kirche noch lange nicht klar.
In der Hassverbrechen-Datenbank der OSZE (auf die OIDAC im Bericht selbst verweist) wurden 2024 insgesamt 759 antichristliche Hassverbrechen vermerkt (das beschränkt sich nicht nur auf europäische Staaten). Davon fanden 26 in Österreich statt. Die meisten wurden von den Zeugen Jehovas oder OIDAC selbst gemeldet. Zu diesen Taten sind in der Datenbank oberflächliche Angaben verfügbar, die oft Medienberichte auffindbar machen.
Darunter fallen durchaus ernste und jedenfalls dem Anschein nach antireligiös motivierte Vorfälle, wie eine Serie an Sprengstoffanschläge auf Zeugen Jehovas. Auch ein Mann mit vermuteter schwerer psychischer Störung, der mit dem Lastwagen in eine Freikirche gefahren ist, die "sein Leben zerstört" habe kommt vor (sein sonstiges Verhältnis zur Religion bleibt in den Berichten unklar). Aber man findet auch den Vorfall rund um zwei 12-jährige Kinder, die Geld aus einem Altar einer serbisch-orthodoxen Kirche gestohlen und ihn dann angezündet haben.
Auch solche Taten verursachen Schaden und können gefährlich sein. Aber ein Zusammenhang zu einem strukturellen Problem von Christenfeindlichkeit ist teils nur schwer zu erkennen. Genannt wird etwa auch die Entwendung eines Plakats aus einer Kirche als Protest gegen die Haltung der Kirche zu Abtreibungen.
Während die Gesamtzahlen nur auf reiner Vertrauensbasis verbreitet werden können, hält OIDAC sie noch für zu niedrig, weil viele Vorfälle nie gemeldet würden. Diese Probleme haben allerdings auch andere Meldestellen und Berichte im Bereich von Diskriminierung.
Unterdrückung für Christ:innen?
Ein anderer zentraler Schwerpunkt des Reports betrifft angebliche rechtliche Einschränkungen für Christ:innen. Gemeint sind damit unter anderem Fälle, in denen Personen Konsequenzen erfahren, weil sie queerfeindliche Aussagen tätigen oder gezielt vor Kliniken auftreten, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.
Damit werden Fälle, in denen radikale Christ:innen andere Menschen beleidigen, belästigen und in manchen Fällen vielleicht sogar bedrohen, als Diskriminierung gegen diese selbst gewertet. Für OIDAC werden Schutzzonen für Patientinnen zur „Einschränkungen der Religionsfreiheit“.
Was heißt das jetzt?
Fälle von Gewalt und Hassverbrechen muss man natürlich in allen Fällen ernst nehmen. Auch Christ:innen sind als größte Weltreligion davon betroffen - allerdings vor allem in Europa bei weitem nicht so oft, wie andere Gruppen.
Christ:innen unterschiedlicher Konfessionen stellen in Europa mit zwei Drittel der Bevölkerung die klare Mehrheit. Die meisten haben mit radikalen Gruppierungen und Netzwerken allerdings nichts zu tun - und wollen auch nicht von ihnen vereinnahmt werden.
Wenn Medien über solche Reports berichten, sollten sie deren Inhalte nicht einfach ungefragt übernehmen und auch die Quelle auf jeden Fall zumindest kritisch einordnen.







