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Demokratie

Breiviks politisches Erbe – Zehn Jahre nach Oslo und Utøya

10 Jahre nach den Anschlägen von Oslo ist die Ideologie des Täters weit in die Gesellschaft vorgedrungen. Natascha Strobl analysiert das politische Erbe von Anders Breivik.

Utøya. Eine kleine Insel vor Oslo. Ihr Name hat sich auf ewig ins gesellschaftliche Gedächtnis eingebrannt. Es ist zehn Jahre her, dass auf der Insel und in der norwegischen Hauptstadt 77 Menschen ermordet wurden. Sie wurden von einem Rechtsextremisten ermordet, der mit dieser Tat die Blaupause für zeitgenössische Rechtsterrorist:innen legte. 

Anders Breivik plante seine Tat minutiös. Erst legte er eine Bombe in Oslo, um dann als Polizist verkleidet nach Utøya überzusetzen. Er gab vor, die Sicherheit der vielen jungen Teilnehmer:innen des Sommercamps der Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF), der Jugendorganisation der norwegischen sozialdemokratischen Partei, zu gewährleisten. 

Ein wirres Manifest

Breivik ermordete auf Utøya 69 Menschen. Zuvor schrieb er ein langes und wirr zusammengetragenes „Manifest“, das er an 1003 Empfänger:innen versendete – davon vier aus Österreich. Er hinterließ zudem ein Video, das kurz vor den Anschlägen online ging. Beide Machwerke sind verschwörungsideologisch durchsetzt und eine wirre Ansammlung von Geraune, Mythen, Lügen und aus dem Zusammenhang gerissenen Passagen. 

In der Wirklichkeit, wie Brevik sie sieht, gibt es einen drohenden Entscheidungskampf zwischen Westen und Islam. Der Westen ist geschwächt, weil Linke, „Globalisten“, Feminismus und NGOs ihn zersetzen. Dem müssten sich Konservative, Christ:innen und Patriot:innen gegenüberstellen, wie einst die Kreuzritter oder die Verteidiger:innen Wiens 1683. 

Dabei träumt er explizit von einer „konservativen Revolution“, verweist also auch auf die geistige faschistische Mobilmachung in der Weimarer Republik. Breivik hinterlässt keine stimmige Ideologie. Viel mehr bedient er sich dort, wo und wie es gerade passt. Dieses Prinzip hat sich nur wenige Jahre später auch die Identitäre Bewegung zu Eigen gemacht. 

Blaupause für rechten Terror

Mit seiner ideologischen Setzkastenlogik und dem mitbedachten und inszenierten Nachruhm legte Breivik den Grundstein für die rechtsterroristischen Anschläge, die danach kamen und die ein ums andere Mal nach demselben Prinzip abliefen. Vermeintlicher Einzeltäter, Videoaufnahmen (mittlerweile meist im Livestream), Manifest, Nachruhm in den faschistischen Ecken und Enden der Sozialen Medien. 

Christchurch, Halle, El Paso, München, Hanau – Städtenamen, die wie Utøya ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wurden. Nicht nur die Tat und ihre Verwertung haben sich mit Breivik verändert, auch die Radikalisierungswege der Täter:innen. Diese wurden immer mehr in den Sozialen Medien in globalisierten rechtsextremen, faschistischen und neonazistischen Communities zurückgelegt und nicht mehr in festen hierarchischen, lokalen Kaderorganisationen. Das führt dazu, dass man viel schneller, viel intensiver mit viel mehr Inhalten konfrontiert ist. Ein paar hundert Menschen in einem Online-Subforum reichen, um quasi im Minutentakt Videos, Memes, Artikel und Bilder aus der ganzen Welt geschickt zu bekommen.

Selbsternannte Märtyrer:innen

Dementsprechend diffus sind die Ideologien und Manifeste der Täter (in diesen Fällen waren es immer Männer) auch. Es geht dann eben nicht mehr nur um das eigene Land, sondern auch darum, was tausende Kilometer weit weg (angeblich) geschieht. 

Für diese Diffusität und den international ausgerichteten Blickwinkel des modernen Rechtsextremismus war Breivik ein wichtiger Wegbereiter. Die Taten sollen nicht nur unmittelbar wirken, sondern auch immer neue Nachahmer:innen finden und animieren. Die Täter:innen und die Anschlagsziele sind in den vernetzten Communities schwer vorherzusagen. Sie wollen als Märtyrer:innen in die Geschichte eingehen. Breivik und sein Manifest sind bis heute eine der wichtigsten Bezugsquellen für Rechtsterrorist:innen. Nicht nur als Inspiration, sondern auch inhaltlich.

Der Inhalt drang in konservative Parteien vor

Während dieser Inhalt 2011 noch so schockierend war, dass viele Zeitungen nicht direkt daraus zitierten, so ist mittlerweile vieles daraus offenbar sag- und schreibbar. Die Aussage, dass linke Eliten, die Europa mit Feminismus und menschenwürdiger Asylpolitik zerstören würden, sorgt wohl für kaum mehr als Schulterzucken. Dunkle „globalistische“ Netzwerke, die sich gegen „unsere“ Art zu leben verschworen haben – dieses Denken ist mittlerweile weit bis in konservative Parteien vorgedrungen. 

Breivik hat also nicht nur den modernen Rechtsterrorismus geprägt. Sein politisches Erbe wirkt viel tiefer in die Gesellschaft hinein. Es wäre an der Zeit zu überlegen, wieviel Breivik schon im politischen Mainstream zu finden ist. 

Auch das sind wir den Opfern und ihrem Andenken schuldig.

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