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Arbeitswelt

Arbeitszeitverkürzung und der Untergang des Wirtschaftsstandorts

An der Arbeitszeitverkürzung führt kein Weg mehr vorbei. Sie hat die breite Diskussion voll erreicht. Natascha Strobl analysiert, mit welchen unehrlichen Argumenten dagegen Stimmung gemacht wird.

 

Die Arbeitszeitverkürzung ist in aller Munde. In Österreich und Deutschland werden Vorschläge zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich diskutiert und ausgetauscht. Umfragen ergeben eine überwältigende Mehrheit für eine Arbeitszeitverkürzung

Umso gnadenloser fallen die Gegenspins der Unternehmerseite aus.

Die Vorteile einer Arbeitszeitverkürzung liegen mittlerweile auf der Hand und wurden schon zig mal ausgetauscht und erforscht.

 

 

Die nächste Arbeitszeitverkürzung wurde bereits erarbeitet

Arbeitszeitverkürzung bedeutet einerseits den Arbeitnehmer:innen ein Stück der Produktivitätsgewinne der letzten Jahrzehnte zurück zu geben. Außerdem ist sie gesünder und bedeutet weniger Burnout, weniger Krankenstand und damit mehr Freude am Job. Das wiederum bedeutet, dass weniger Menschen so wichtige Branchen wie Pflege verlassen, weil sie die Arbeit mental wie körperlich nicht aushalten.

Arbeitszeitverkürzung bedeutet auch, dass Menschen im Endeffekt länger in ihren Jobs bleiben können und diesen auch bis zu Pensionsantritt ausüben können. Das macht Jobs, in denen es jetzt schon Fachkräftemangel gibt, deutlich attraktiver und ist so sogar ein Mittel gegen Fachkräftemangel. Zumal Studien deutlich zeigen, dass die Leistung nicht so stark sinkt, wie die Arbeitszeit – in einigen Experimenten sogar gar nicht. 

Arbeitnehmer:innen zahlen sich Arbeitszeitverkürzung derzeit selbst

Außerdem gibt es längst Arbeitszeitverkürzung, freiwillig oder unfreiwillig (vor allem Frauen) – nur zahlen sich diese die Arbeitnehmer:innen selbst mit weniger Gehalt und in Folge weniger Pension. Arbeitsverkürzung würde schlussendlich auch dazu beitragen, dass Sorge- und Hausarbeit von allen wahrgenommen werden könnte und so zu glücklicheren Familien und Beziehungen beiträgt. All das sind die lange und breit vorgebrachten Fakten.

Nun ist die Kapitalseite erwartungsgemäß nicht erfreut. Den Profit hat man zwar mit der Kraft der Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet. Ein Stück davon zurück zu geben, steht aber nicht am Plan. Dementsprechend steigen die Vertreter:innen der Unternehmen und ihrer Eigentümer:innen nicht auf eine rationale Diskussion ein, sondern vernebeln. 

Ich zeige das beispielhaft anhand von zwei aktuellen Statements auf:

1. Falsche Vorannahmen

Die Industriellenvereinigung versucht die Debatte zu entgleisen, indem sie vorrechnet, dass die Arbeitszeitverkürzung der Arbeitnehmer:innen ein Einfamilienhaus kostet.

 

Screenshot: Leadersnet.at, 3.5.2023

Das ist ein Beispiel für absichtliches Missverstehen. Die IV diskutiert hier nämlich kein Modell, das irgendjemand gefordert hat, sondern ein selbst ausgedachtes, das niemand will. 

Das IV-Modell der Arbeitszeitverkürzung würde Arbeitnehmer:innen tatsächlich 350.000€ kosten. Die geforderten Modelle sehen aber einen vollen Lohnausgleich vor. Sie würde also exakt 0€ Verlust für Arbeitnehmer:innen bedeuten. Die IV hat also absichtlich ein anderes, schlechteres Modell als Annahme hergenommen, um Stimmung zu machen. Sie diskutiert nicht den Vorschlag, der am Tisch liegt.

2. Diskussion mit falschen Behauptungen beenden

Die Debatte hat längst auch Deutschland erreicht, so dass sich Justizminister Buschmann von der neoliberalen FDP genötigt sah, sich zu diesem fachfremden Thema zu Wort zu melden: Er twitterte: “Keine Volkswirtschaft der Welt hat je erfolgreich um den Erhalt ihres Wohlstandes gekämpft, indem sie bei stagnierendem Wachstum und Arbeitskräftemangel einfach weniger arbeitet.” 

 

Screenshot: Twitter.com, 3.5.2023

Er versucht, mit einer scheinbar universellen Aussage die Diskussion zu beenden. Nur stimmt es schlicht nicht, was er sagt. Auch ihm geht es nicht um eine Diskussion, er versucht nur mit einer generellen Aussage das Thema zu beenden. Sein Statement ist aber so reduktionistisch, dass man damit Mehr- oder sogar Kinderarbeit rechtfertigen könnte. 

Denn selbstverständlich hat es in den letzten knapp 200 Jahren immer wieder Arbeitszeitverkürzung gegeben, ohne, dass das Abendland untergegangen ist. Das Verbot von Kinderarbeit und das Recht auf Pensions-/Rentenantritt waren Arbeitszeitverkürzung. Das Herabsetzen der Wochenarbeitszeit auf 60, 40 und in manchen Kollektivverträgen auf 38,5 Stunden sind Arbeitsverkürzungen. Ausweitungen von Urlaubsansprüchen und Arbeitsverbot von Schwangeren bzw. das Recht auf Karenz sind – erraten – Arbeitszeitverkürzungen. Es gibt also, im Gegenteil, sehr viele Beispiele, dass Arbeitszeitverkürzungen funktionieren und mit Wohlstandgewinn einhergehen.

Linke setzen erfolgreich ein Thema

Was all das alles aber wohl zeigt, ist wie eine Diskurs-Verschiebung nach links funktionieren kann. Ein linker Vorschlag für einen wichtigen Fortschritt erreicht das breite Publikum. Und plötzlich muss sich einmal die Kapitalseite rechtfertigen. Die Rollen von Defensive und Offensive haben Seite gewechselt.

 

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