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Gesundheit
Ungleichheit

Warum bei der Reform des Kindschaftsrechts einige Alarmglocken läuten

Die Ideen hinter der Reform zum Kindschaftsrecht seien nicht so modern, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Kritiker:innen sehen den wachsenden Einfluss der "Väterrechtler"-Bewegung darin.

 
Wenn Eltern sich trennen oder scheiden lassen, haben die Kinder genug zu verarbeiten. Im Scheidungsverfahren sollte das Wohl von betroffenen Kindern deshalb für alle besonders wichtig sein. Die Wahrheit sieht oft anders aus, wie MOMENT.at in Teil 1 unseres Dossiers zum Kindschaftsrecht berichtete. In Teil 2 erfährst du, was die Vorstellungen sind, die dahinter stecken, und wie sie in Gesetze kommen. Und wir fragen: Werden die Mängel bei einer bevorstehenden Reform berichtigt? 

Peter Barth ist für ein heikles Themenfeld ein wichtiger Mann in Österreich. Der Oberstaatsanwalt ist Abteilungsleiter für Familienrecht im Justizministerium. Gesetzesvorschläge in dem Bereich gehen seit Jahren durch seine Hände. Sie entscheiden, wie Scheidungen von Eltern ablaufen, und welche Rechte und Pflichten es für sie und ihre Kinder dabei gibt.

Barth wird als nett und menschenfreundlich bezeichnet. Kritiker:innen meinen gegenüber MOMENT.at jedoch, er habe wenig praktische Erfahrung als Jurist und in Bezug auf Gewaltdynamiken in Beziehungen. “Er entwickelt Konzepte für seinesgleichen – die gut verdienende Mittelschicht”, sagt etwa die bekannte Familienjuristin Helene Klaar.

Ein wichtiger Mann im Familienrecht

Nach dem Studium hatte Barth eine kurze Karriere als Familienrichter am Bezirksgericht Liesing. Davor und danach arbeitete er im Ministerium. 2012 wurde er Abteilungsleiter. In seiner Position ist er auch für die anstehende Reform des Kindschaftsrechts im Justizministerium mitverantwortlich. Das war er schon für ein Gesetz aus dem Jahr 2013, das vieles veränderte (KindNamRÄG). Das Kindschaftsrecht klärt die Rechte von Kindern bei einer Trennung ihrer Eltern – und wie die Verantwortungen zwischen diesen aufgeteilt wird. Das Thema ist emotional und vielschichtig. Wer soll die Obsorge haben? Wie wird das Wohl des Kindes berücksichtigt und gewahrt? Wo soll es in Zukunft wohnen?

Auch Barths Ehefrau ist vom Fach. Judit Barth-Richtarz leitet den Studiengang für “Kinder- und Familienzentrierte Soziale Arbeit” der FH Campus Wien. Die beiden halten gemeinsame Vorträge zum Thema und arbeiten zusammen an seinem Magazin zum Familienrecht (ifamZ). Viele Menschen, die in Österreich mit Familienrecht zu tun haben, lesen das. Psycholog:innen kritisieren, sie kämen dort mit ihren Perspektiven kaum unter.

Einfluss aus der Bildungswissenschaft

Barth-Richtarz selbst ist Erziehungswissenschafterin. Sie hat in Wien am heutigen „Institut für Bildungswissenschaft“ studiert, war früher dort auch Tutorin. Seit den 1990er-Jahren ist wiederum Helmuth Figdor eine einflussreiche Person am Institut. Die beiden haben öfters gemeinsam geforscht, 2008 schrieben sie zusammen ein Buch (“Was bringt die gemeinsame Obsorge?”).

Figdor gilt als anerkannter Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker. Seine Schriften sind Pflichtliteratur am Institut. Menschen aus der Psychoanalytiker:innen-Szene, die anonym bleiben wollen, sagen gegenüber MOMENT.at, er sei „konservativ“. Und seine Thesen seien „nicht unbedingt auf dem neuesten Stand“. „Wer etwas Neues machen wollte, feministisch oder progressiv war, war sofort weg“, erzählt eine Bildungswissenschafterin über seinen Einfluss am Institut. 

Die „Ideengeber“ hinter dem heutigen Kindschaftsrecht

Figdor kann mit diesen Zuschreibungen nichts anfangen. Im Gespräch mit MOMENT.at sagt er: “Ich betreibe Wissenschaft, die empirisch belegbar ist, und setze mich immer für neue und fortschrittliche Ideen ein.“ 

Die Veröffentlichungen von Figdor und Barth-Richartz sind wichtige Grundlagen für die Arbeit der Beschäftigten an der Familiengerichtshilfe. Diese Institution geht wiederum auf das Gesetz aus dem Jahr 2013 zurück. Es wurde vor allem in der Zeit der ab 2011 amtierenden Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) entwickelt. Alle Fäden liefen schon damals bei Oberstaatsanwalt Peter Barth zusammen. Seine Frau und Figdor gelten bei Expert:innen als “Ideengeber:innen” des Gesetzes.

Monopol“ für die Ausbildungen

Figdor habe damals auch eine große Rolle bei den Hearings – wohlgemerkt im Parlament, nicht Ministerium – gespielt. Das erzählt die damalige Grünen-Politikerin Eva Mückstein. Wer dort gehört und geladen wurde, sei für sie “undurchsichtig” gewesen. Klar war: “Figdor war sofort stark im Rennen.” Er hatte als Bildungswissenschafter zum Thema publiziert. Psychologische Expertise habe es hingegen auch in den Hearings wenig gegeben, erzählt die einstige Oppositionspolitikerin Mückstein.

Bei Scheidungsverfahren werden verschiedene Berufe zurate gezogen. Etwa Kinderbeistände, Eltern- und Erziehungsberater:innen. Die Ausbildung dazu findet heute meist bei einer Organisation von Figdor statt. 1997 gründete er den “Arbeitskreis Psychoanalytische Pädagogik” (APP) in Wien. Figdor ist dort heute noch Ehrenpräsident, Judit Barth-Richtarz sitzt im Vorstand. Figdor ist nicht nur in die Ausbildung, sondern auch in die Auswahl der Kinderbeistände-Kandidat:innen involviert. Kritische Stimmen meinen, die APP habe so etwas wie ein Monopol auf gewisse Ausbildungen.  

Viel Erfahrung, gute Verbindungen ins Ministerium

Angesprochen darauf, sagt Figdor: “Das stimmt. Einerseits ist das historisch bedingt. Ich befasse mich schon sehr lange und sehr intensiv mit dem Thema.” Andererseits gebe es in seinen Augen niemanden, der so viel Erfahrung auf dem Gebiet von Scheidungen und Trennungen habe wie der APP.

Schon 2009 trudelte im Parlament eine Stellungnahme zum späteren Kinderbeistands-Gesetz ein. Eine “Marie-Claire Vysloucil” berichtete darin, aufgrund der “offensichtlichen Verbindungen der Akteure” wäre sie verwundert, würde Figdors “APP” nicht zum Zug bei den Ausbildungen kommen.

Die Stellungnahme scheint außerordentlich gut informiert. Wer “Vysloucil” ist, weiß aber offenbar niemand. Es könnte ein falscher Name sein, unter dem jemand aus dem Ministerium seinen “Unmut” über Vorgänge in der Gesetzesentwicklung kundtun wollte, mutmaßt heute die Juristin und Assistenzprofessorin am Wiener Institut für Zivilrecht Barbara Beclin.

Die Ideenwelt hinter den Reformen

Welche Inhalte prägen also so große Teile der Wiener Bildungswissenschaft und der Familiengerichte in Österreich? Helmuth Figdors Veröffentlichungen sind bemerkenswert. “Ohne eine gute Beziehung zu Mutter und Vater ist eine gesunde psychische Entwicklung nicht denkbar”, schreibt Figdor in seinem Buch “Patient: Scheidungsfamilie”. Nicht denkbar? Das ist zumindest eine steile These.

Sonst findet sich im Buch viel Lob für und Fokus auf Väter. Kritiker:innen meinen, Mütter werden oft eher als Problem dargestellt. Würden etwa die Väter in der Erziehung fehlen, verursache das vor allem bei Buben Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsprobleme. Das sei auch so bei Kindern, “die übermäßig lange von der Mutter gestillt wurden”. 

Für Figdor sind Scheidungen und ihre Auswirkungen auf Kinder ein “Herzensprojekt”, wie er sagt. Er erzählt auf Vorträgen von seiner persönlichen Erfahrung mit einer gewalttätigen Mutter, erwähnt im Gespräch “einen tendenziell abwesenden Vater” und spricht “obwohl meine Eltern gar nicht getrennt waren” auch “vom Scheidungskind in mir”. Er nimmt sich oft als Beispiel für seine Thesen her. Die empirischen Belege fehlen in seinen Büchern gelegentlich. Kritiker:innen bezeichnen ihn deshalb als “Märchenerzähler”.

 

Mütter werden von Väterrechtlern oft als bevorzugt gesehen und als manipulativ bezeichnet

Anknüpfungspunkte zu Väterrechtlern

So berichtet er in seinem Buch etwa auch, er kenne viele Mütter, die Männern den Kontakt zu ihren Kinder erschweren. Solche Anekdoten und daraus abgeleitete Thesen kennt man sonst von sogenannten “Väterrechtlern”. Das sind organisierte Gruppen von Männern, die sich selbst in Trennungsverfahren benachteiligt oder schlecht behandelt fühlen und Mütter darin ungerecht bevorzugt sehen.

Figdor meint dazu: “Wer meine Schriften als übertrieben väterfreundlich bezeichnet, hat sie nicht gelesen“. Er berichtet aber im Gespräch mit MOMENT.at, dass er schon in den 90er Jahren in Deutschland mit der Bewegung „Recht des Kindes auf beide Eltern“ in Kontakt gekommen sei. Dieser Slogan ist bis heute eine der wichtigsten Forderungen der Väterrechtler. Die Bewegung habe ihn beeindruckt. Gemeinsam habe man sich dem Thema „Gemeinsame Obsorge als Regelfall“ gewidmet.

Geteilte Elternrechte bei Scheidung?

Daraus hat sich ein weiteres Konzept entwickelt, das Figdor in seiner Arbeit vorantreibt und in die Reform offenbar einfließt. So ist in einem kursierenden Paper von der “geteilten elterlichen Verantwortung” für Kinder getrennter Eltern die Rede. Es ist eine automatische Aufteilung von elterlichen Rechten und Pflichten – dazu zählen auch die finanziellen Lasten. 

Das klingt einerseits wie ein fortschrittliches Konzept. Elternpflichten gleich zu verteilen, orientiert sich auf den ersten Blick immerhin auch an Modellen von nordischen Ländern wie Schweden. Die werden oft als Gleichberechtigungs-Vorbild gesehen. “Barth meint es mit seinen Reformbestrebungen vielleicht sogar gut”, sagt auch die Familienjuristin Klaar. 

Die Fallstricke bei der geteilten Verantwortung

Aber es gibt wichtige Kritik an diesen Ideen. Am offensichtlichsten ist das Problem bei Gewaltbeziehungen. Der Familiengerichtshilfe und den ihren Stellungnahmen folgenden Gerichten wird schon heute oft vorgeworfen, das nicht genug zu berücksichtigen, weil sie sich so auf das Ziel der gemeinsamen Obsorge versteifen.

In der letzten Information zum Gesetz (Gesetzes-Konzept), die Frauenvereine zu Gesicht bekommen haben, steht etwas Beunruhigendes. Die geteilte Verantwortung sollte automatisch in Kraft treten – damit auch bevor Gewalt in der Beziehung überhaupt ausreichend untersucht und geklärt werden könne. “Brandgefährlich” für Betroffene findet das die Psychotherapeutin und gerichtliche Sachverständige Maria Eberstaller.

 

Für eine gute Beziehung zu beiden Elternteilen braucht ein Kind nicht unbedingt zwei Wohnorte und mit beiden gleich viel Zeit, sagen Expert:innen. 

Gemeinsame Obsorge: „Das Beste für Kinder“?

Hierbei werde gerne mit Studien argumentiert, die eine gemeinsame Elternfürsorge als das Beste für Kinder hervorheben. Dies kann aber nur der Fall sein, wenn es sich um psychisch gesunde Erwachsene handelt, die miteinander kooperieren können. “Für diese Eltern braucht es ohnehin keine Gesetze”, so Eberstaller. Auch Rechtsanwältin Klaar meint: „Frauenschutzvereine werden in der Sicherheit gewogen, dass sämtliche Regelungen außer Kraft treten, wenn Gewalt im Spiel ist, aber Herr Barth und seine Mitstreiter haben keine Ahnung davon, wie gut sich Gewalt verbergen kann.”

Klaar hat aber auch andere Einwände: “Gleichberechtigung auf Ebene der Kinderbetreuung” könne nicht erst bei “Getrennten und Geschiedenen” beginnen. Mit dieser Kritik ist sie nicht allein. Viele betonen, dass es dafür breitere Voraussetzungen braucht. Darunter: weniger Ungleichheit bei den Einkommen in der Gesellschaft; gerecht verteilte Erziehungsarbeit zwischen Elternteilen in den Beziehungen; oder ausreichend leistbare Kinderbetreuung. Anders gesagt: Für etwas, das in Schweden funktioniert, könnten in Österreich vielleicht ein paar Voraussetzungen fehlen.

Gesetze für die, die sie nicht brauchen

Diese Voraussetzungen zu übersehen, ist vielleicht auch ein bisschen Privilegienblindheit wohlhabender Entscheidungsträger:innen und Expert:innen. Denn wenn solche Voraussetzungen fehlen, ist eine automatisch geteilte Obsorge nicht nur bei Gewalt, sondern auch für Eltern aus ärmeren gesellschaftlichen Schichten oder mit ungleichen Finanzen schwierig. Ein Beispiel ist der Unterhalt. Im Konzept der Reform wird Geld und Betreuung verschränkt. Es alarmiert Frauenvereine, was dort steht: Je mehr Betreuungspflichten ein Elternteil übernimmt, desto weniger Unterhalt muss er für die Kinder beim anderen leisten. 

Für zwei Gutverdiener:innen mag das funktionieren. Wenn ein Elternteil weniger Einkommen als der andere hat, können verringerte Unterhaltszahlungen aber zum Problem werden. Wer pro Stunde wenig verdient, dem bringen die Mehreinnahmen aus einem zusätzlich möglichen Nachmittag Arbeit eben auch nicht so viel. Betreffen kann fast jedes Problem immer beide Geschlechter, aber Frauen finden sich öfter in der Situation.

Doppelter Wohnsitz: Was das für das Kind bedeutet

Zur automatisch geteilten elterlichen Verantwortung gibt es noch eine andere gewichtige Kritik. Die betrifft vielleicht auch Kinder von Eltern, die sich im Guten trennen. Denn die gleichmäßige Aufteilung von Betreuungspflichten wird gerne als gut für die Kinder dargestellt, belegbar ist das aber nicht. Wenn Kinder zumindest ein Drittel der Zeit bei jedem Elternteil verbringen – etwa 2,5 zu 4,5 Tagen pro Woche – sind das rund neun Wechsel pro Monat. Im Gesetzes-Konzept ist das für Kinder ab drei Jahren vorgesehen.

Der deutsche Psychologe Claus Koch hat mehr als 10 Jahren mit Trennungsfamilien gearbeitet und das Buch „Trennungskinder“ geschrieben hat. Er sagt: „Es gibt bis dato überhaupt keine Langzeitstudien, die belegen würden, dass das Wechselmodell das beste sei. Was wir aber wissen, ist, dass Kinder bis zum Alter von sechs Jahren noch sehr starke Verlustängste haben. Dieses Modell als Leitmodell für diese Altersgruppe umzusetzen, ist daher aus psychologischer Sicht fahrlässig.“

Psychische Probleme bei Scheidungskindern nehmen zu

Die Psychologin und Psychotherapeutin Gertrude Bogyi ist ehemalige Leiterin des Wiener Ambulatoriums „Die Boje“. Über 40 Jahre hat sie Kinder durch Krisensituationen begleitet und sagt: “Fragen Sie einmal bei den Pädagoginnen in den Schulen nach, die täglich mit den Kindern zu tun haben. Die erleben ganz oft, wie belastet die Kinder vom Wechseln sind.“ Beispiele gibt es genug. Denn die Familiengerichtshilfe bevorzugt dieses Modell schon heute. “Mein Eindruck ist, dass es bei Gericht oft darum geht, was die Eltern wollen”, sagt Bogyi.

Die Auswirkungen auf Kinder beobachtet auch der Innsbrucker Psychoanalytiker Joseph Christian Aigner. „Oft habe ich den Eindruck, dass diese Kinder besonders gehetzt oder gestresst sind vom Wechseln-Müssen.“ Er plädiert daher für Differenzierung. Was Kinder bräuchten, sei nicht ein 50:50-Verhältnis, sondern vor allem die Möglichkeit, ein gutes inneres Bild des jeweils abwesenden Elternteils zu behalten. 

 

Väter waren in der Erziehung lange „abwesend“. Das ändert sich zunehmend.

Kontakt des Kindes zu beiden Eltern: Ja, aber …

Soll heißten: Ja, für Kinder ist ein guter Kontakt zu beiden Eltern sicher vorteilhaft. Aber es muss nicht unbedingt gleich viel sein. Sie brauchen einen Ort, an dem sich um alles gekümmert wird. Übersieht Justizministerin Alma Zadić (Grüne) all diese Kritik, wenn sie so einen Reformvorschlag in ihrem Ministerium entstehen lässt? Immerhin kündigte sie kürzlich bei einer Podiumsdiskussion laut KURIER eine “feministische Reform” an, die die Gesetze nach dem Kindeswohl ausrichte: “Ich will, dass Kinderrechte noch stärker im Mittelpunkt der österreichischen Politik stehen.“ 

Die Idee der geteilten elterlichen Verantwortung beider Elternteile ist an sich aus vielen Blickpunkten verständlich. Männer hielten sich in den gängigen Familienmodellen der Vergangenheit aus der Erziehung von Kindern eher fern. Ihnen wurde auch in der Forschung kaum eine Rolle zugesprochen. “Lange Zeit hat die Psychoanalyse den Stellenwert des Vaters für ein Kind fast völlig übersehen”, sagt Aigner. Er hat 2001 das Buch “Der ferne Vater” geschrieben. Aigner vermutet eine gewisse “Gegenbewegung” darin, nun alle Elternteile bei Scheidungen automatisch mit denselben Rechten und Pflichten auszustatten. Trotzdem sagt er auch: “Ich fände es schade, wenn wir bei einem Mother-Blaming gelandet wären.” Betrieben werde das aber auch seiner Beobachtung nach von einer zunehmenden Zahl an “Väterrechtlern”. 

Deutsche Studie zeigt Einfluss der Väterechtler

Im April 2022 erschien eine deutsche Studie. Sie macht deutlich, wie sehr das Lobbying gewisser Gruppen in die deutschen Familiengerichte hineinwirkt. Der Hamburger Soziologe Wolfgang Hammer untersuchte neun Jahre lang mehr als 1000 Fällen und wertete 92 Fälle von Obsorge- und/oder Kontaktrechtsstreitigkeiten im Detail aus, die vor dem Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof anhängig waren. 

In vielen Familien sei dabei psychische und physische Gewalt im Hintergrund gestanden und es sei zu einer Täter-Opfer-Umkehr zulasten der Kinder gekommen. Gerichtlich herbeigeführte Wechselmodelle rissen Kinder aus stabilen Verhältnissen heraus. Begründet wurde dies alles immer ähnlich. Eine zu enge, symbiotische Mutter-Kind-Bindung, der Glaubenssatz, dass nur eine 50:50-Aufteilung ein gesundes Wachstum garantieren könne, sowie Geldgier der Mütter.

Diese Argumentationsmuster seien von immer denselben Gruppen über Jahre in ganz Deutschland gestreut worden. Sie hätten allerorts Einzug genommen in die Helfersysteme und deren Ausbildungsinstitutionen, so der Sukkus der Erhebung. 

Ähnliche Tendenzen in Österreich

Eine solche Studie über Lobbying und vorherrschende Ideen fehle in Österreich wie so oft. “Ähnliche Narrative sind im letzten Jahrzehnt auch in Österreich massiv in Umlauf gebracht worden”, sagt aber Andrea Czak vom Verein der Feministischen Alleinerziehenden (FEMA). Sie ist der Ansicht, dass im aktuellen Gesetzesvorschlag die Forderungen der Väterrechtler über das Kindeswohl gestellt würden. Wie viele andere fürchtet sie, dass die Novelle die Konflikte nur noch mehr anheizen würde. Sie hat daher im Frühjahr gemeinsam mit fünf Frauen- und Gewaltschutzvereinen, darunter die Autonomen Frauenhäuser, die Initiative „Wir für Kinderrechte“ gestartet. 

Wie sich automatisierte Regeln und frauenfeindliche Untertöne auswirken können, wenn die Bedingungen nicht stimmen, davon kann die betroffene Mutter Jana Krischke (Name von der Red. geändert, Anm.) erzählen. Ihr Fall landete vor 8 Jahren vor dem Familiengericht. Krischke hatte den Vater ihrer Tochter verlassen, als diese noch nicht einmal ein Jahr war. Sie schaffte den “Absprung” aus der Gewaltbeziehung nur über das Frauenhaus. 

Das Problem am automatischen Modell

Krischke glaubte, ein neues Leben beginnen zu können. Doch ihr Ex-Mann ging sofort zu Gericht. Er wollte regelmäßigen Kontakt zur Tochter. “Die Familiengerichtshilfe ordnete in einer Stellungnahme sofort Wochenendkontakt mit Übernachtungen an”, erzählt Krischke. Obwohl in ihren Augen davor überhaupt keine Bindung zwischen Vater und Tochter bestand. “Die beiden hatten kaum jemals gemeinsame Zeiten, da ich schon früh die meiste Zeit mit meiner Tochter außer Haus war”, erzählt die Frau. 

Ein 0815-Modell habe man ihr aufs Auge gedrückt. Und ihr dazu vorgeworfen, dass sie den Kontakten nicht zustimme, weil sie Bindungs-intolerant sei. Man hätte es langsam und behutsam angehen müssen, denkt Krischke heute. Vielleicht wären die vielen Jahre vor Gericht gar nicht nötig gewesen, hätte man anstatt einseitig auf das Recht des Vaters auf das Kind mehr auf die Bindung und das tatsächliche Kindeswohl geachtet.

Auch das ist eine Befürchtung von Expert:innen: dass das neue Gesetz die familiären Konflikte eher verschärft, statt sie zu beruhigen. Und dass es nichts gegen die Überlastung der Familiengerichte tue. Die schade der Qualität der Urteile und führe zu langen Verfahren.

Kindschaftsrecht: Reform verschwindet im Hinterzimmer

Was genau für das kommende Gesetz derzeit geplant oder vielleicht auch schon verworfen ist, ist allerdings mittlerweile auch ein gewisses Rätsel. “Es liegt noch kein politisch koordinierter Gesetzesentwurf vor”, heißt es von einer Sprecherin aus dem Ministerium. Das unter Interessierten kursierende Konzept stammt aus dem Herbst 2021. Bis dahin waren auch progressive und feministische Gruppen in den Entstehungsprozess eingebunden. Seither fühlen sie sich ausgeschlossen. Allein sind sie damit nicht. Auch die Richterin Konstanze Thau sagte im Frühling im Rahmen einer PK: “Wir wissen inhaltlich erstaunlich wenig von dem im Raum stehenden Gesetzesvorhaben.” 

MOMENT.at wollte natürlich mit den Entscheidungsträger:innen sprechen. Die Antwort: Es sei “zu früh” dafür. Sowohl Peter Barth als auch die Leiterin der Familiengerichtshilfe Wien entschuldigten sich auf diese Weise. Die Zurückhaltung, mit Medien zu sprechen, ist ein wenig eigenartig. Denn Peter Barth spricht bei Veranstaltungen bereits über die geplanten Gesetzesänderungen. Ende September referierte er an der Akademie für Recht und Steuern (ARS) bei einem Eintrittspreis von über 500 Euro zum aktuellen “Stand des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes”. Fachlichen Input soll das bringen, heißt es aus dem Ministerium. Das sei im Justizministerium so üblich. Gleichzeitig lässt der Austausch mit Jurist:innen viele andere Expert:innen aus. 

Ministerium verspricht noch Einbindung

Das Gesetz trägt in der Veranstaltungs-Ankündigung sogar eine Jahreszahl: 2022. So als ob es noch in diesem Jahr verabschiedet würde. Dabei hat noch nicht einmal eine Begutachtung begonnen. “Eine Einbindung der Teilnehmer:innen der Arbeitsgruppe im Zuge der politischen Verhandlungen ist auch weiterhin geplant”, schreibt die Ministeriumssprecherin. 

Aber Insider:innen fühlen sich alarmiert. Vor allem, weil es sie an die Novelle von 2013 erinnert. Auch da herrschte lange Funkstille, ehe es dann ganz schnell gehen sollte. So musste die Juristin Barbara Beclin damals innerhalb kürzester Zeit zwei Stellungnahmen schreiben. “Ich hatte gerade einmal 10 Tage Zeit, um mich zu äußern. Peter Barth rief mich daraufhin an und meinte, für große Änderungen sei nun wirklich keine Zeit mehr.” Üblich wäre bei größeren Gesetzesvorgaben eine Begutachtungszeit von einigen Monaten. War das damals alles nur zum Schein? Das fragt sich die Juristin, die später Teil der Liste Pilz war, bis heute. 

Könnte Begutachtung umgangen werden?

In der aktuellen Situation hält sie es auch für möglich, dass der Begutachtung ausgewichen werden soll. Das geht, wenn das Gesetz nicht als “Regierungsvorlage” in den Nationalrat eingebracht wird. Es gibt auch die Möglichkeit eines Initiativantrag von mindestens fünf Abgeordneten aus dem Parlament. Beschlossen werden muss er natürlich mit einer Mehrheit.

Dafür fehlen aber die Stimmen aus dem Grünen Klub. Beclin erzählt, dass einige der Abgeordneten dafür von Barth schon jetzt massiv umgarnt würden – und dies “ohne jemals einen konkreten Gesetzesvorschlag zu sehen zu bekommen”. 

 

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