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Ungleichheit
Fortschritt

Owen Hurcum ist non-binary und Bürgermeister:in – “Wir befinden uns in einem Kulturkrieg”

Owen J Hurcum ist Bürgermeister:in der britischen Kleinstadt Bangor im Norden von Wales. Harcum ist mit 23 Jahren nicht nur die jüngste Person, die jemals in Wales, dieses Amt übernommen hat, Owen ist auch die erste non-binary Person in Europa, die eine Stadt leitet. Ein Gespräch über Diskriminierung, zu enge Schubladen und drei Jahre Wartezeit auf Spitalstermine.

MOMENT: Owen, wie fühlt es sich an, der:die erste offen non-binary Bürgermeister:in in Europa zu sein? 

Owen J Hurcum: Es macht mich demütig. Es ist schön zu sehen, dass ich einen positiven Effekt auf die Menschen habe. Viele melden sich, um zu sagen, was ihnen die Repräsentation bedeutet. Aber es ergibt keinen Sinn, jemand als Erste:n zu feiern, wenn es der:die Einzige ist. Wir müssen versuchen, dafür zu sorgen, dass mehr non-binary Menschen in die Politik gehen. 
 

MOMENT: Denkst du, es könnten bald weitere folgen?

Owen J Hurcum: Ich bin in Bangor in einer privilegierten Position, weil es so eine tolle Stadt ist. Viele andere fühlen sich in ihrem Umfeld nicht sicher genug, um ein öffentliches Amt zu bekleiden. Und auch für mich ist es kein Zuckerschlecken. Ich bekomme Todesdrohung. Aber ich möchte die Leute dennoch ermutigen. Je mehr wir in die Politik gehen, desto mehr Leute werden verstehen, dass wir für unsere Rechte, für unsere Würde kämpfen. Wenn wir das nicht tun, werden Gesetze ohne uns verabschiedet.  

Die britische Regierung erkennt non-binary nicht an. Sie haben wörtlich gesagt: Es ist uns zu kompliziert. 

MOMENT: Welche Gesetze sind das zum Beispiel?

Owen J Hurcum: Ich kann in Großbritannien zum Beispiel nicht legal non-binary als mein Geschlecht angeben. Ich muss männlich oder weiblich angeben und das führt zu allen möglichen Komplikationen. Aber noch wichtiger als die Identifizierung meiner Person ist die Gesundheitsversorgung. Als non-binary Person oder als Transperson ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung schrecklich. Die Warteliste für trans-Kliniken beträgt drei Jahre oder mehr. Ich glaube, die Klinik in London behandelt jetzt Patient:innen, die 2018 ihren ersten Antrag auf einen Termin gestellt haben. Wir befinden uns nicht nur in einem Kulturkrieg, der versucht, uns buchstäblich auszurotten, sondern in einem Kampf um unser eigenes Überleben und unsere Gesundheitsversorgung. Hier braucht es eine Initiative, staatliche Unterstützung.
 

MOMENT: Die britische Regierung hat kürzlich die Gebühr für die offizielle Geschlechtsumwandlung  von 140 auf 5,77 Pfund gesenkt. War das ein wichtiger Schritt?

Owen J Hurcum: Das war der größte Symbolakt überhaupt. Aber es ist ja so: Um das Geschlecht ändern zu können, musst du derzeit zwei Jahre lang legal und offen in deinem Geschlecht gelebt haben. Das wird dann von einer Gruppe wildfremder Ärzt:innen beurteilt. Und: Eine Bescheinigung über die Geschlechtsumwandlung bleibt ja in den Kategorien männlich und weiblich. Für non-binary gibt es keine offizielle Geschlechtsumwandlung, weil die britische Regierung non-binary nicht anerkennt. Sie haben wörtlich gesagt: Es ist uns zu kompliziert. 
 

MOMENT: Warum ist ausgerechnet eine britische Kleinstadt mit rund 200.000 Einwohnern wie Bangor, die erste mit einer non-binary Person als Bürgermeister:in?

Owen J Hurcum: Den Menschen in Bangor scheint es nichts auszumachen oder sie nicht zu kümmern, dass ich non-binary bin und sie unterstützen mich – solange ich gute Dinge tue und die Schlaglöcher beseitige (lacht).  Ich denke, es hat damit zu tun, dass Bangor eine Universitätsstadt ist. Studierende sind allgemein eher links, zukunftsorientiert und progressiv. Und in den vergangenen hundert Jahren sind die Studierenden Teil der Gemeinschaft und die Einheimischen Teil der Universitätskultur geworden. Wir hatten seit 1890 keine konservative Tory-Mehrheit im Rat mehr.

 
Owen J Hurcum blüht in der Walisischen Kleinstadt Bangor auf

Hurcum blüht in der Walisischen Kleinstadt Bangor auf

Foto: Privat

MOMENT: Du bist vor fünf Jahren aus London nach Bangor gezogen, hast dich bald im Stadtrat engagiert und hast dich vor zwei Jahren als non-binary geoutet. Wie hat dir die Stadt dabei geholfen? Kleinstädte haben nicht den Ruf, sonderlich liberal zu sein …

Owen J Hurcum: Ganz im Gegenteil, gerade die Tatsache, dass es eine so kleine Gemeinde ist, bedeutet, dass sich alle kennen und unterstützen. Wenn du in Bangor bist und etwa ein Hassverbrechen begehst oder jemanden niederredest, der einfach nur er oder sie selbst ist, dann wissen das alle. Und wenn du nicht zu diesen wirklich kleinen Gruppen gehörst, die bigott sind, dann wirst du von der Gemeinschaft geächtet. Als ich mich geoutet habe, wussten die Leute Bescheid und ich kannte andere Leute, die sich geoutet haben, und alle unterstützen einander. Perfekt, um als mein wahres Ich zu leben. 
 

MOMENT: Es hat sich in deiner politischen Arbeit also seit deinem Outing nichts geändert?

Owen J Hurcum: Nein, in der Arbeit nicht. Im Senat sind alle sehr unterstützend. Das einzige, was sich geändert hat, war online. Sobald ich mich als queere Person geoutet hatte und politisch aktiv war, sind die Hassbotschaften gekommen. Aber damit habe ich gerechnet.

Genau die Argumente, wurden vor 40 Jahren der schwulen Gemeinschaft vorgeworfen. Wir sind noch nicht akzeptiert.

MOMENT: Wie gehst du damit um?

Owen J Hurcum: Ich teile die Hassmails sozusagen in zwei Gruppen. Es gibt die eigentlichen Droh-Hassmails, das sind solche, wo mir körperliche Gewalt angedroht wird. Das ist purer Hass, da ist kein Humor drin. Das blockiere ich, melde es und leite es gegebenenfalls an die Polizei weiter. Die andere Sorte nenne ich ignorante Hassmails. Wenn da zum Beispiel steht, “Owen ist ein Soyboy” [Anm.: eine englische Beleidigung, die sich gegen die vermeintlich weibliche Seite eines Mannes richtet], dann muss ich fast schmunzeln. Ich sage ja selbst, ich bin mehr weiblich als männlich, also meistens bin ich keines von beiden, aber du beleidigst mich, indem du mich “unmännlich”“ nennst?  Solche Mails teile ich auf Social Media, um zu zeigen, dass sie idiotisch sind und wir daran wachsen können.

 
MOMENT: Warum, denkst du, bekommst du diese Hassmails? 

Owen J Hurcum: Der britische Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell hat das gut auf den Punkt gebracht: Die  trans-Rechte und die trans-Sicherheit sind jetzt dort, wo Schwulenrechte und Schwulensicherheit vor 40 Jahren waren. Uns wird gesagt: Wir sind eine Gefahr für Kinder, wir sind pädophil, wir verstümmeln uns selbst und geben uns keine Chance im Leben. Das sind genau die Argumente, die vor 40 Jahren der schwulen Gemeinschaft vorgeworfen wurde. Wir sind noch nicht akzeptiert.

MOMENT: Zuletzt haben einige europäische Länder konkret Aktionen gegen die LGBTIQ*-Community gesetzt. Ungarn hat ein Gesetz verabschiedet, das die Rechte von queeren Studenten beschneidet; Polen plant, LGBTIQ*-Menschen die Adoption von Kindern zu verbieten. Was denkst du, hält die Zukunft für die Community?

Owen J Hurcum: Da ist jedenfalls eine Menge Negativität. Vor allem für trans und non-binary Menschen. Auch LGB-Menschen werden immer noch angegriffen und werden weiter angegriffen werden. Ich wünschte, ich könnte sagen, die Dinge werden besser und es ist der Marsch des Fortschritts, aber ehrlich: Ich bin mir da nicht so sicher. Ich weiß, dass die meisten Menschen aus der Community eine „Go Bag“ daheim haben. Damit sie schnell abhauen können, wenn es haarig wird. Nach Neuseeland zum Beispiel, die scheinen da ganz vernünftig zu sein. Ich hoffe natürlich, dass es Durchbrüche geben wird. Es braucht eine Graswurzelbewegung und wir versuchen, ein Teil davon zu sein. 

 
MOMENT: Du verwendest für dich die Pronomen „they/them“ (im Deutschen gibt es noch keine Entsprechung). Hast du das Gefühl, die Leute beginnen, diese Pronomen zu akzeptieren?

Owen J Hurcum: Abgesehen von den Online-Trollen: Ja. Die meisten Leute, die ich kenne, verstehen und benutzen die Pronomen und es war nie ein Problem. Und Pronomen verändern einfach die Art und Weise, wie Menschen denken.

Ich wusste nicht, wer ich war. Ich habe es nur getragen, weil ich mich dadurch besser gefühlt habe.

MOMENT: Noch zu einem anderen Thema. Du bist ja auch der jüngste Bürgermeister, den Wales je hatte. Was denkst du hält junge Menschen davon ab, in die Politik zu gehen? Oder werden sie davon abgehalten?

Owen J Hurcum: Also ich bekomme das Bürgemeisteramt ja  nicht gezahlt und muss also daneben arbeiten. Das ist alles sehr zeitaufwändig. Das erklärt, warum in der Lokalpolitik so viele ältere Menschen sind. So generell denke ich aber, dass sich junge Leute nicht unbedingt das Wissen oder die Erfahrung zutrauen. Aber davon sollte man sich nicht abhalten lassen. Als ich angefangen habe, war ich sehr unerfahren, aber der Stadtrat hat mich unter seine Fittiche genommen und innerhalb von sechs Monaten wusste ich genau, was los war, und jetzt habe ich das Gefühl, ich könnte bereits jemand anderen zum Stadtrat ausbilden. 

 
MOMENT: Viele junge Menschen sind auch frustriert. Denken, dass sie ohne nichts bewegen können…

Owen J Hurcum: Ja, das kann ich nachvollziehen, aber davon ändert sich einfach nichts. Wenn sich bei den nächsten Wahlen zwölf junge Menschen dazu entscheiden, NICHT anzutreten, dann können sie es auch nicht in den Stadtrat schaffen. Aber wenn sich zwölf junge Leute dafür entscheiden und es acht vielleicht schaffen, dann haben wir plötzlich eine richtig große Gruppe im Rat und dann werden sie nicht frustriert sein, weil sie als große Gruppe etwas erreichen werden. 

 
MOMENT: Du hast anfangs das Thema Repräsentanz angesprochen. Wenn sich junge Menschen mit ihrer Identität nicht sicher fühlen und in ihrer Umgebung noch nichts gefunden haben, mit dem sie sich identifizieren können: Was rätst du ihnen? 

Owen J Hurcum: Recherche. Es gibt eine Menge an Ressourcen im Internet. Wenn man LGBTIQ*-Freunde hat, dann kann man natürlich mit ihnen sprechen. Und sonst: Im Internet nachforschen. Oder lesen. Das beste Buch, das ich je über trans und non-binary Identität gelesen habe, heißt „trans Like Me“ von C N Lester. Und ein bisschen experimentieren. Schon bevor ich gewusst habe, dass ich non-binary bin, habe ich einfach, weil es sich gut angefühlt hat, mit meiner Geschlechterrepräsentation herumgespielt. Ich hab daheim weibliche Kleidung getragen oder hatte ein kleines Bralette unter meinem Shirt an. Niemand wusste es und ich habe es nicht für andere Leute getragen. Ich habe es nicht einmal getragen, weil ich non-binary war. Ich wusste nicht, wer ich war. Ich habe es nur getragen, weil ich mich dadurch besser gefühlt habe. Solche Dinge sind wichtig. Und wenn du das Selbstvertrauen hast, erzähl jemandem, dass du diese Dinge getan hast. Kleine Schritte, jeden Tag, so kommen wir voran.

 

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