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Arbeitswelt

Von 12 Stunden arbeiten zu arbeitslos: Warum Clemens den Begriff soziale Hängematte mittlerweile ablehnt

Mann steht in einer Großküche und kocht.

Clemens (38) fand Menschen, die länger arbeitslos waren, faul. Doch dann ist er mit einem Projekt gescheitert - und war plötzlich selbst längere Zeit in dieser Situation.

Ich bin ausgebildeter Hotel- und Gastgewerbeassistent. Eigentlich habe ich jede Position gemacht, die man sich in dem Bereich vorstellen kann. Ich war im Service, hinter der Bar, Rezeptionist und habe auch gekocht. Ich habe im Schloss Fuschl gelernt, war eineinhalb Jahre in New York, dann auf Wintersaison. Später war ich in allen möglichen Restaurants, Hotels und Bars in und um Salzburg. Dann hab ich ein eigenes Lokal eröffnet.

12 oder 14 Stunden am Tag zu arbeiten, war für mich völlig normal. Als ich auf Wintersaison war, habe ich in drei Monaten drei freie Tage gehabt. Um 11 Uhr am Vormittag gings los, dann wurde bis 2 in der Früh gearbeitet. Bis 4 Uhr blieb man in der Disco, am nächsten Tag ging es wieder los.

Später, als ich in der Stadt in Restaurants gearbeitet habe, war das nicht mehr ganz so heftig. Überstunden hat man trotzdem genug zusammenbekommen. An der Rezeption war es schlimm, da gab es einen ziemlichen Personalmangel. In einem Hotel habe ich mal in einer Woche als Rezeptionist alle drei Schichten – also die normale inklusive Früh- und Spätschicht – machen müssen.

Arbeitslos? Selber Schuld.

Diese Arbeitsbedingungen waren für mich nichts Besonderes. Das lag auch am Umfeld: Als ich zu arbeiten begonnen habe, konnte ich den Kontakt zu alten Freunden nicht mehr halten. Es ging sich zeitlich einfach nicht mehr aus. Die haben sich oft am Freitag oder Samstag getroffen, da musste ich immer arbeiten. Irgendwann hast du dann fast nur mehr Freunde innerhalb der Branche. Da pusht man sich gegenseitig dabei, länger und mehr zu arbeiten. Man hat schon viel Spaß gemeinsam – man trinkt aber auch viel Alkohol gemeinsam. Man lebt in dieser Blase.

Für mich war es völlig unverständlich, dass Menschen länger arbeitslos sind. Ich dachte, die wollen den Sozialstaat ausnutzen. Ich habe auch regelmäßig – fast immer nach acht Monaten – die Stelle gewechselt. Denn es wurden immer Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten wurden. Überstunden wurden nicht ausbezahlt, an freien Tagen musste doch gearbeitet werden, man hat sich einfach ausgenutzt gefühlt. Aber man hatte nie Probleme, etwas Neues zu finden. Einen Monat lang hat man vielleicht mal nichts gemacht, aber man wusste: Spätestens nach dem dritten Bewerbungsgespräch hat man wieder eine neue Stelle.

Wenn man wirklich etwas finden will, ist das ja nicht schwer. Das dachte ich damals zumindest.

Schwieriger Weg aus der Gastronomie

Je älter ich wurde, desto mehr wollte ich aber weg aus der Gastro-Branche. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es doch nicht so leicht ist, woanders etwas zu finden. Der entscheidende Punkt kam aber, als ich mein eigenes Lokal aufgeben musste. Nach einem Jahr ging ich in Privatinsolvenz. Ich zog mit meiner Familie von Salzburg ins Burgenland, wo meine Mutter wohnte.

Mit dem Gastgewerbe hatte ich danach abgeschlossen. Ich wollte und konnte dort nicht mehr arbeiten. Ich habe mich dann auf viele andere Stellen beworben. Im Burgenland war das allerdings sehr schwierig, weil es kaum was gab. Auch Auto hatten wir wegen der Privatinsolvenz keines. Ich habe laufend Absagen bekommen. Mit jeder wurde es noch schwieriger, weil es natürlich auch am Selbstvertrauen nagt.

“Es gibt keine soziale Hängematte. Es gibt gerade mal ein soziales Auffangnetz“

Ich wollte eigentlich auch eine Umschulung über das AMS bekommen. Die meinten, dass wir das schon hinbekommen würden. Von Beginn der Antragstellung bis zum Bescheid dauerte es dann ein Jahr. Nach zwei Monaten kam mal ein Brief, dann schickten sie mich drei Monate später zum Arzt. Ich wollte wegen der physischen und psychischen Belastung nicht mehr in der Branche arbeiten, wurde deswegen untersucht.

Ich habe das ganze Jahr darauf gewartet, dass es weitergeht. Dann habe ich die Nachricht bekommen, dass aus der Umschulung nichts wird. Es gäbe nämlich genug Jobs im Gastgewerbe, die ich noch machen könne.

In diesem Jahr habe ich realisiert: Es gibt keine soziale Hängematte. Es gibt gerade mal ein soziales Auffangnetz. Vielleicht gibt es ein paar Menschen, die das ausreizen. Aber ich glaube, dass auch von denen viele einfach resigniert haben. Hätten sie die Chance, etwas zu machen, was sie als sinnvoll erachten oder was ihnen Spaß macht, hätten auch sie mehr Motivation.

Von wegen soziale Hängematte

Für uns ging die Arbeitslosigkeit mit einer gewissen Armut einher. Irgendwie ging es sich immer aus, auch weil ich mir ein bisschen Geld von meiner Mutter leihen konnte, wenn es notwendig war. Aber Dinge wie ein Restaurantbesuch, Ausflüge am Wochenende oder in den Urlaub zu fahren, waren alle nicht möglich. Gerade am Land bedeutet das zusätzlich Isolation. Wenn die Freunde ins Kino oder am Wochenende fortgehen wollen, kannst du meistens nicht mitkommen. Zusatzausgaben, wie etwa neues Gewand für Kinder, sind auch besonders schwierig.

Mittlerweile denke ich, dass in der Politik das Thema vor allem benutzt wird, um Menschen gegeneinander auszuspielen. Gerade mit der Teuerung ist es für viele ja schon schwierig, mit einem Vollzeitjob über die Runden zu kommen. Dann zeigt die Politik auf andere und sagt diesen Menschen: “Schau, der bekommt gerade mal 200€ weniger als du, oder mit Kindern sogar noch mehr Geld, obwohl er nichts arbeitet!” Dabei könnte man daran arbeiten, dass den Menschen mehr vom Geld bleibt. Stattdessen behauptet man, die da unten fressen das weg. Die kosten so viel Geld und das fehlt dir jetzt. Dabei ist das in meinen Augen absoluter Nonsens. So funktioniert das nicht. Man muss bei den Löhnen ansetzen. Aber wenn man den Menschen sagt: Da sind welche, die sind faul, kriminell und asozial, fühlen sich halt viele aufgewertet.

Raus aus der Gastro, rein in den normalen Job

Ich bin dann nach zwei Jahren doch wieder zurück ins Gastgewerbe gegangen. Genossen habe ich es nicht, aber zumindest habe ich wieder etwas Selbstvertrauen und Struktur in meinen Tag bekommen. Ich habe in zwei Hotels in Wiener Neustadt als Rezeptionist gearbeitet. Es war wieder ähnlich wie zuvor, beide Stellen habe ich nach acht Monaten beendet. Ich werde nie den letzten Arbeitstag beim zweiten Hotel vergessen. Als ich in die Arbeit kam, hatte es dort 42 Grad. Hinter der Rezeption stand die kaputte Klimaanlage. Der Chef, dem auch ein Oldtimer-Museum gehört, hat sich geweigert, sie zu reparieren. Weil er war ja auch in Arizona bei 40 Grad klettern, das geht schon. Dann habe ich auf den Dienstplan geschaut und gesehen, dass ich in den nächsten zwei Monaten keinen freien Tag habe. Dann bin ich gegangen.

Zum Glück habe ich bald eine neue Stelle als Kundenbetreuer im Gastronomiegroßhandel gefunden. Dort arbeite ich jetzt schon fünf Jahre. Wenn man aus dem Gastgewerbe kommt, ist es völlig unglaublich, dass es so etwas gibt. Normale Dienstzeiten, Betriebsräte, ein Mediziner, der einmal im Monat vorbeikommt und andere Goodies. Lauter so Sachen, die mir vorher komplett fremd waren. Wenn ich einmal an einem Tag nicht 100 Prozent Leistung erbringen kann, bekomme ich nicht gleich Ärger. Ein ganz normaler Arbeitsplatz also.

 

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