40 Jahre “an.schläge”, 40 Jahre Feminismus: “Erfolge sind nicht in Stein gemeißelt“
MOMENT: 1983 wurde das Magazin gegründet. Wie war die Situation damals?
Lea Susemichel: Das war eine Zeit, wo sich ganz viele Frauenprojekte gegründet haben. Die Zeitschrift ist mit dem Anspruch erschienen, Frauen bzw. Feministinnen zu vernetzen. In den ersten Heften, also noch vor dem Internet, gab es auch Anzeigen wie: “Ich wohne in Attnang Puchheim. Gibt es hier noch eine Feministin?” Medien wie “an.schläge” haben eine ganz große Rolle gespielt, um die Frauenbewegung überhaupt in Gang zu setzen. Weil sie die Frauen miteinander in Kontakt gebracht haben.
Brigitte Theißl: Früher waren nur wenige feministischen Themen in den Medien. “an.schläge” und allgemein feministische Medien sind bei vielen Themen Vorreiterinnen – egal ob das sexuelle Gewalt ist, Gewalt in Beziehungen, Schwangerschaftsabbruch, Menstruation oder Frauengesundheit. Das zeigt auch der Blick ins Archiv. Ja, inzwischen sind viele feministische Themen in den meisten Medien präsent. Das sind aber vor allem die, die sich emotionalisieren lassen. Die, die vielleicht etwas trockener sind, da mangelt es immer noch.
Susemichel: Es gibt diesen alten feministischen Slogan: “Das Private ist politisch”. Bis vor 20 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen, dass Themen wie Femizide oder Gewalt gegen Frauen im Politikteil etablierter Medien behandelt werden.
Es ist wichtig, sich das auch als feministische Medienmacherinnen vor Augen zu führen: Wir können durchaus etwas bewirken. Auch, wenn wir eine kleine Reichweite haben. Auch, wenn uns oft vorkommt, dass wir nur die erreichen, die ohnehin nicht überzeugt werden müssen. Auf lange Sicht wird Druck aufgebaut und es findet ein Thementransfer statt. Das ist durchaus geglückt in den vergangenen 40 Jahren. Und wir werden nicht müde zu betonen, wie wichtig feministische Medien dafür waren, dass solche Themen jetzt tatsächlich politische Themen sind.
MOMENT: Feminismus und Diversität sind heute präsenter, Frauen besser repräsentiert. Von der Gleichberechtigung sind wir aber auch hierzulande noch weit entfernt. Welche Fortschritte haben wir als Gesellschaft in den vergangenen 40 Jahren erzielt?
Susemichel: Wir haben in unserer Jubiläumsausgabe eine Chronik gemacht: 40 Jahre “an.schläge”, 40 Jahre Feminismus. Und es war schön, sich mal vor Augen zu führen, was tatsächlich alles erreicht wurde. Was für gewaltige Meilensteine es gab – auch auf gesetzlicher Ebene. Die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen. Dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde. Viele kleine Teilerfolge, die dann unterm Strich gewaltig was vorangebracht haben.
Besonders in den vergangenen zehn Jahren, seit MeToo, hat die gesamte Bewegung noch einmal Fahrt aufgenommen. Ich finde es auch wichtig, gerade für junge Frauen, solche Erfolge zu betonen. Als feministische Medienmacherinnen sind wir aufgerufen, auch Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen. Wenn man zurückschaut, war es früher viel gruseliger als jetzt. Und da wollen wir nie, nie wieder hin.
Theißl: Man muss dennoch immer vorsichtig sein und immer dranbleiben. Denn die Erfolge sind nicht in Stein gemeißelt und es gibt Rückschritte. Wir sehen das bei der Gewalt gegen Frauen. Tödliche Gewalt gegen Frauen ist so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Doch auch wenn es Rückschläge gibt: Man darf sich auf gar keinen Fall entmutigen lassen.
MOMENT: Das geht schon in die nächste Frage über. Welche Herausforderungen seht ihr aktuell für die feministische Bewegung?
Theißl: Ein Beispiel ist die Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit. Da hat sich praktisch nichts getan: Haushalt, Pflege etc. ist nach wie vor Frauensache. Mit all den Folgen: dass Frauen übermäßig von Armut betroffen sind. Alleinlebende Pensionistinnen sind besonders betroffen. Es macht ein großes Machtgefälle auf, wenn die eigene Existenz nicht gesichert ist. Das ist auch gerade wieder im Hinblick auf Gewalt relevant.
Ein zweiter Punkt: Es ist erschreckend zu sehen, wie Rechtspopulismus, rechtsreaktionäre Parteien und Initiativen sich modernisieren und immer wieder neue feministische Themen angreifen. Zum Beispiel Geschlechtsidentität, Transfeindlichkeit oder die Selbstbestimmung der Frau über den eigenen Körper. Unser Feminismus ist natürlich immer intersektional gedacht.
Susemichel: Ergänzend finde ich wichtig, dass Feminismus immer auch für soziale Gleichheit kämpft. Unser Feminismus kämpft nicht bloß für mehr Frauen in Aufsichtsräten und in MINT-Fächern. Er kämpft für soziale Gleichheit und das gute Leben für alle. Soziale Gerechtigkeit ist ein zentraler Hebel, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Doch das ist mit einer Frauenministerin der ÖVP ein Problem. Selbst wenn sie eine ambitionierte Frauenministerin wäre – was sie nicht ist – könnte sie keine gute Frauenpolitik machen. Denn die ÖVP steht dem diametral gegenüber.
Andererseits sehe ich eine Herausforderung in der Bewegung selbst. Im Feminismus toben viele Kämpfe und ungute Debatten – zum Beispiel über trans Identität oder Sexarbeit. Damit schwächt sich der Feminismus selbst. Feminismus muss generell intersektionaler werden – endlich Betroffenen zuhören, dazu lernen und sich verändern. Um so noch erfolgreicher und noch wirkmächtiger werden zu können. Und wir müssen uns darauf besinnen, wie unglaublich stark die feministische Bewegung global gesehen im Moment ist. Wenn wir uns Phänomene wie Ni una menos oder MeToo anschauen. Da ist ein gewaltiges Potenzial. Viele Frauen weltweit, die aufbegehren und bereit sind, für ihre Rechte zu kämpfen.
MOMENT: Da spielt Journalismus auch eine Rolle. Wie bewertet ihr die Berichterstattung in Österreich?
Susemichel: feministische Medien mussten sich immer Vorwürfe anhören, dass sie nicht objektiv, sondern tendenziös seien und Gesinnungsjournalismus betreiben würden. Da muss man dagegenhalten, dass es objektiven Journalismus nicht gibt. Jedes Medium und jede:r Journalist:in schreibt aus einer bestimmten Perspektive. Doch wir machen das transparent und sagen: “Das ist unsere Haltung und wir treten für eine geschlechtergerechte Welt ein.”
Nur, weil ich will, dass die Welt gerechter wird, bin ich aber keine schlechte Journalistin. Ich kann für Gerechtigkeit eintreten und trotzdem guten Journalismus machen. Denn das enthebt mich nicht meiner journalistischen Sorgfaltspflicht. Ich muss die Fakten trotzdem überprüfen.
Gerade jetzt ist das sehr wichtig, wo die Medien von rechts angegriffen und als Lügenpresse bezeichnet werden. Ich glaube, dass traditionelle Medien ihre eigene Haltung reflektieren sollten und sich der demokratiepolitischen Verantwortung bewusst werden. Deshalb ist es unerlässlich, in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen auch Stellung zu beziehen.
MOMENT: Wie schwierig ist es denn, sich als feministisches Magazin durchzusetzen und die Themen auf die Agenda zu bringen?
Theißl: Es ist eine große Erfolgsgeschichte, dass es uns noch immer gibt. Das haben wir vor allem den treuen Abonnent:innen zu verdanken.
Wir bekommen auch eine Förderung von der Stadt Wien und haben früher auch eine vom Frauenministerium bekommen. Die haben wir aber unter der Regierung Kurz verloren und seither nicht wieder bekommen. Das ist allgemein eine Kritik von uns, dass die Medienförderung in Österreich zu wenig Medienvielfalt fördert. Die Publizistikförderung, die auch einige Magazine bekommen, ist viel zu niedrig dotiert. Andere Medien werden ohne Rücksicht auf Qualitätskriterien stark gefördert. Gerade jetzt, wo die Anzeigeneinnahmen wegbrechen und das Überleben für Medien immer schwieriger wird, wäre es wichtig, dass die Medienpolitik die demokratiepolitische Verantwortung übernimmt und Qualitätsmedien unterstützt.
MOMENT: Das beantwortet fast schon die nächste Frage: Welche Herausforderungen gibt es im österreichischen Mediensystem?
Susemichel: Die Gesellschaft muss sich klar sein, wie wichtig unabhängige und kritische Medien sind und wie sehr sie vor rechtspopulistischer Hetze schützen können. Das hat uns Corona gezeigt. Das zeigt die Klimakrise. Es ist sehr wichtig, Medien zu haben und Journalist:innen zu haben, die in Ruhe und ungestört, investigativ und kritisch arbeiten können. Die das Geld, die Zeit und die Ressourcen dafür haben. Medien sind so wichtig wie Schulen, wie öffentlicher Verkehr, wie Sozialsysteme, wie Gesundheitssysteme für eine funktionierende Demokratie.
Was würdet ihr euch für die Zukunft für eure Arbeit wünschen?
Susemichel: Viel mehr Geld, viel mehr Reichweite. Dass sich manche Themen wirklich erledigen und abhaken lassen. Dass wir auch mal ein bisschen Wohlfühl-Journalismus für Feministinnen machen können: wo man sich darüber freut, was erreicht wurde. Wo man nicht immer nur kämpfen und dieselben Themen wieder und wieder aufs Tapet bringen muss.
Theißl: Dem kann ich mich nur anschließen.