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Ungleichheit

Alltagsrassismus und meine kleine Tochter: “Rassistisch? Das ist ja nicht so gemeint.”

Alltagsrassismus und meine kleine Tochter: “Rassistisch? Das ist ja nicht so gemeint.”
Vicky ist aus Oberösterreich. Ihre sechsjährige Tochter ist dort Alltagsrassismus ausgesetzt. Auch Menschen, die nicht rassistisch sein wollen, müssen noch einiges lernen. Hier erzählt sie, was sie wirklich denkt.

Es war kurz vorm Bettgehen im Badezimmer, als meine Tochter Amália in meinen Armen lag und weinte. „Mama, meine Haare sind nicht schön“, schluchzte sie, „die stehen so nach oben.“ Dieser Satz bohrte sich tief in mein Herz. Meine damals vierjährige Tochter, die sich schon jetzt um ihr Aussehen sorgte. Wie konnte es so weit kommen?

Amália und ich leben in meinem Heimatort, einer kleinen Gemeinde am Traunsee. Meine Tochter ist größer als die anderen Kinder im Kindergarten. So wie ich in ihrem Alter. Amálias Haare ähneln jenen ihres mosambikanischen Vaters. Kleinmaschige, dichte Locken, die sich zu einem Afro nach oben kräuseln. Und ihre Hautfarbe hat Amalia von uns beiden: ein Mix zwischen der ihres Vaters und meiner. Zwischen dunkel und hell.

Amalia ist ein wundervolles, willensstarkes Mädchen. Hier in der Umgebung sehen viele vor allem eines: die Farbe ihrer Haut. 

Rassistische Übergriffe im Alltag

„Du bist doch die mit dem *N-Wort*- Kind“, rief mir eine wildfremde Frau im See beim Vorbei-Schwimmen zu. „Na, hast du zu viel Schokolade gegessen?“, sagte ein anderer Fremder am Badeplatz mit verstellter Babystimme, zu Amália runtergebeugt. Und als Amália geboren wurde, war die erste Frage meiner Oma nicht, ob es uns gut gehe, sondern, ob Amália Schwarz oder Weiß sei. 

Egal, wo wir uns bewegen – immer wieder kommen Menschen auf uns zu und haben viele Fragen: Ob Amália mein leibliches Kind sei? Oder adoptiert? Wo Amálias Vater sei? Ob sie Amálias Haare berühren dürften? Oft steht Amalia daneben und fühlt sich sichtlich unwohl, unsicher, irritiert. Diese Dreistigkeit macht mich wütend und traurig: Würden diese Menschen einer fremden Mutter mit Weißem Kind Fragen wie diese stellen? 

Neugierde, Witz, Alltagsrassismus?

„Das ist ja nicht so gemeint. Die Leute sind nur neugierig“, sagt mein Vater oft dazu. Ich denke, das ist keine Neugierde, das ist Rassismus, der sich in Österreich durch unseren Alltag zieht. Wir begegnen ihm beim Eisessen, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, in der Apotheke.

Wo aber fängt Rassismus an? Ich glaube, er entsteht in unseren Köpfen. Immer dann, wenn wir einem Menschen aufgrund seines Aussehens, seiner Hautfarbe oder Religion bestimmte Vorstellungen und Stereotype überstülpen. Die meisten von uns haben diese Bilder im Kopf. Ich denke, wir alle sind rassistisch sozialisiert. Auch ich. Rassismus ist in der Art, wie wir sprechen, Witze machen und denken. Das muss uns bewusst sein.

Die meisten Menschen wollen gar nicht rassistisch sein

Wenn ich andere darauf hinweise, dass ihre Aussagen rassistisch sind, fühlen sich viele Leute angegriffen. Es sei nicht so gemeint. Das sei eine andere Generation. Das habe man immer so gesagt. 

Das kann ich zum Teil sogar verstehen. Rassismus ist dieses große, heftige Wort. Die allermeisten Menschen möchten nicht rassistisch sein. Zumindest hoffe ich das. Bestimmt fehlt bei vielen auch das Wissen, wie viel Rassismus ihre Aussagen enthalten.

Aber gerade, weil wir alle mit Rassismus um uns aufwachsen und ihn aufnehmen, aber selbst nicht rassistisch sein wollen, würde ich mir weniger Widerstand wünschen, wenn uns einmal etwas passiert. Vielleicht kann man es so sehen: Nur, weil man es nicht so gemeint hat, heißt es nicht, dass es nicht eine große Wirkung für Betroffene hat. Man kann unabsichtlich etwas ansprechen, womit die betroffene Person aber dauernd zu tun und vielleicht auch zu kämpfen hat.

Amália kann Rassismus spüren

Ich bin mir nicht sicher, ob Amália schon genau versteht, was Rassismus ist. Ab und zu lese ich ihr ein Buch vor, das kindgerecht erklärt, woher Rassismus kommt und dass er nicht in Ordnung ist. Doch auch wenn Amália es noch nicht ganz begreifen kann, zeigen Erlebnisse wie das mit ihren Haaren: Sie kann ihn spüren.

Es gibt vereinzelt auch positive Erfahrungen, die zeigen, dass sich in der Gesellschaft langsam etwas bewegt: Als ich zum Beispiel eine Pädagogin im Kindergarten bat, sich mit Rassismus bei Kindern zu beschäftigen. Sie hat es getan und das Thema in der Gruppe aufgegriffen. Oder mein Vater, der mittlerweile seinen Freunden am Stammtisch erklärt, dass es nicht ok ist, das N-Wort zu benutzen. Amálias Hautfarbe ist sichtbar. Ich denke, man darf auch darüber sprechen. Aber es sollte nicht das Einzige sein, das sie definiert.

 

Hautfarbe macht verwundbar. Nicht nur emotional

Im Wahlkampf habe ich mich oft gefragt, wie es für Amália sein wird, wenn sie älter ist. Wenn ich sie nicht mehr vor rassistischen Übergriffen schützen kann, weil ich gar nicht dabei bin. Davor habe ich Angst. Denn ihre Hautfarbe macht sie verwundbar. Nicht nur emotional. 

Diese Distanzlosigkeit gegenüber Amália, kann sie auch zu Aggression und Gewalt werden? Wie bedrohlich das sein kann, habe ich gespürt, als mein Freund und ich in einer Bar in Gmunden saßen. Als plötzlich ein betrunkener Mann auf uns zu wankte. Mit Bierglas in der Hand kam er zehn Zentimeter vor dem Gesicht meines Freundes zum Stehen und starrte ihn an. Mit kühlem Blick sagte er: „Ich mag keine *N-Wort*.“

Ich hoffe, wir überwinden Rassismus

Amália ist jetzt in der ersten Klasse Volksschule. Ich denke, es ist enorm wichtig, das Thema Rassismus auch schon in Kindergärten und Schulen aufzubrechen. Vermittelt durch echte Expert:innen und Betroffene. Das passiert derzeit viel zu wenig.

Für Amália hoffe ich, dass sie in einer Welt leben wird, in der alle Kulturen und Hautfarben nebeneinander sein können. Dass sie eines Tages stolz auf sich ist. Auf sich, ihre Herkunft und auf ihre Haare.  

Vicky teilt ihr Leben mit Amália und die Herausforderungen mit Alltagsrassismus auch auf Instagram: @simunye.photo

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Mixed People
    13.10.2024
    Schlimm. Wir sind in Wien, ich hell, meine Tochter braun. Solche Szenen hatten wir noch nie, in all den Jahren nicht.
    Antworten