Gemeinnützige Arbeit statt Haft: "Das Sinnvollste, was ich je gemacht habe"
Im März 2020 mussten Einrichtungen für Obdachlose teilweise schließen. Die Menschen hatten weniger Möglichkeiten, etwas zu essen oder einen Schlafplatz zu finden. Vor diesem Hintergrund kochte und verteilte Roland knapp eine Woche lang Lunchpakete auf der Straße. „Das war eines der sinnvollsten Dinge, die ich je gemacht habe“, sagt er.
Früher mussten Finanzstrafen entweder bezahlt oder als Ersatzfreiheitsstrafe abgesessen werden. Seit 2013 gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Arbeiten statt sitzen. Der Verein Neustart vermittelt in 3.000 verschiedene Organisationen, unter anderem im Tierschutz, in Pflegeheimen oder im Sozialmarkt. Mit vier Stunden gemeinnütziger Leistung arbeitet man einen Tag Haft ab.
Arbeit statt Haft spart dem Staat viel Geld
„Freiheitsstrafen können dazu führen, dass die Menschen ihre Arbeit und ihr soziales Umfeld verlieren“, sagt Thomas Marecek, Pressesprecher von Neustart. Die Möglichkeit, Strafen abzuarbeiten, verhindert im Jahr rund 83.500 Hafttage. Ein Tag im Gefängnis kostet pro Person um die 130 Euro. Gute Gründe für das Einsetzen von gemeinnütziger Arbeit statt Haft gibt es also.
Trotzdem nimmt nur etwa ein Drittel das Angebot an. Der Rest bringt doch noch das Geld auf oder tritt die Ersatzfreiheitsstrafe an. Nicht immer liegt das an fehlendem Interesse.
Daniel, 38, bekam 2012 eine Finanzstrafe von rund 6.000 Euro. Die Hälfte des Geldes konnte er zusammenkratzen. Dann war Schluss. 2016 musste er in der Justizvollzugsanstalt Josefstadt seine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. „Zu dem Zeitpunkt wurde ich schon jahrelang gepfändet“, sagte er.
Einmal am Tag durften die Häftlinge für eine Stunde in den Hof. Den Rest der Zeit mussten sie in der Zelle verbringen. „Ich durfte in die Putzkolonne. So war ich zumindest 5 Stunden am Tag beschäftigt.“ Arbeiten, das war ein Privileg. „Die restliche Zeit bestand aus Fernsehen. Mein Zellengenosse war ein großer Fan der Serie Berlin Tag und Nacht.“
Nach der Ersatzfreiheitsstrafe lebte Daniel zwei Monate ohne Strom
Er kam mit den zwei Männern gut klar, mit denen er sich die Zelle teilte. Sogar die Haare schnitt er seinen Mithäftlingen. „Ich hatte ruhige Hände. Offenbar war ich der einzige ohne Alkoholproblem.“ Die Probleme kamen nach der Haft.
Für die zwei Wochen in Haft wurde Daniels Arbeitslosengeld gekürzt. Im Verwaltungschaos zwischen Sozialleistungen und Gefängnisstrafe kam es dazu, dass er sogar einen ganzen Monat ohne Geld auskommen musste. Daniel konnte seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Zwei Monate lang lebte er ohne Strom.
Sechs Jahre ist das mittlerweile her. Daniel hat sich aufgerappelt, einen Job gefunden. Trotzdem redet er nicht gern über seine Erfahrung. Bis heute wissen nur seine zwei engsten Freunde, dass er eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen musste.
Tausende Menschen landen in Haft, weil sie kein Geld haben
„Ich hätte viel lieber gearbeitet, anstatt die Strafe abzusitzen“, sagt Daniel. Heute weiß er, dass er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Doch sowohl das Wissen als auch die Kraft, sich darum zu kümmern, fehlten ihm damals.
Neben Menschen wie Daniel, die ihre Post aus Angst kaum noch öffnen, gibt es eine riesige Gruppe, die Strafen absitzen muss. Die allermeisten Ersatzfreiheitsstrafen werden von der Verwaltung verhängt. Tausende Menschen kommen jedes Jahr in Österreich in Haft, weil sie eine Verwaltungsstrafe nicht bezahlen können.
Die Regeln sind nämlich unterschiedlich, je nachdem, wer straft. Wenn eine gerichtliche Geldstrafe nicht bezahlt wird, kommt der Fall automatisch zu Neustart. Hier geht es zum Beispiel um Diebstahl oder leichte Körperverletzung. Bei einer Strafe vom Finanzamt, etwa wegen fehlender oder falscher Steuerdokumente, lädt die Behörde die Betroffenen direkt ein, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Die Vermittlung der Stelle liegt wieder bei Neustart.
Bei Verwaltungsstrafen gibt es das Prinzip Arbeit statt Haft noch gar nicht. Das führt dazu, dass zum Beispiel Falschparker:innen oder obdachlose Menschen in Haft müssen, weil sie auch kleinere Summen nicht aufbringen können. Neustart und Expert:innen fordern deshalb eine Ausweitung der gemeinnützigen Arbeit bei Verwaltungsstrafen.