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Arbeitswelt
Kapitalismus
Ungleichheit

Das große Bibbern: Die größten Schreckgespenster zur Arbeitszeitverkürzung

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Die Industrie will, dass wir länger arbeiten - ohne mehr zu verdienen. Barbara Blaha sagt: Moment mal. Das Gegenteil ist fällig. Sie widerspricht den drei größten Schreckgespenstern "der Wirtschaft" zu einer Arbeitszeitverkürzung.

“Der Wirtschaft” geht es grade nicht so gut. Der Wirtschaftsmotor stottert, die Arbeitslosigkeit steigt. Aber zum Glück gibt es da wen, der Verantwortung übernimmt. Der nicht nur das Problem bewundert, sondern eine LÖSUNG für uns hat. Die Industriellenvereinigung sagt: Wir sollen … länger?! … arbeiten? Bitte WAS?

Ja, ganz richtig gehört. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung hat gesagt: Österreich sei zwar kein Land der Faulpelze. Aber irgendwie halt doch: Weil so viele “nur” Teilzeit arbeiten. Das muss sich schleunigst ändern – also sollen wir 41 Stunden arbeiten, ohne einen Cent mehr bezahlt zu bekommen. 

Die Zweigstellen der IV in Ober- und Niederösterreich sehen das ganz genauso und lassen uns wissen: In China wachse eine Jugend heran, die top motiviert sei. „Es muss aufhören, dass wir weniger arbeiten wollen, während die ganze Welt immer mehr arbeitet.“ (Karl Ochsner, IV Oberösterreich)

ÖVP dafür, dagegen, verwirrt 

Und wie so oft, wenn die IV ein Hölzerl wirft, dann apportiert die ÖVP Sekunden später brav. Und ist ganz offen für die Wünsche der Arbeitgeber:innen.

Karoline Edtstadler, ÖVP-Ministerin für Verfassung und Europa, sagt: „Wir müssen hier einfach ehrlich sein. Wenn wir den Wohlstand in Europa und Österreich erhalten wollen, müssen wir wahrscheinlich mehr arbeiten statt weniger arbeiten. Wir haben überall ganz sichtbar den Fachkräftemangel und mit linken Träumereien von 32-Stunden-Woche bei gleichzeitig vollem Lohnausgleich wird es sich nicht ausgehen.“

Offenbar war Frau Edtstadler ein wenig zu “ehrlich”, weil ein paar Stunden später hat sie “präzisiert: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt eine Ausdehnung der Regelarbeitszeit gefordert“. Sie sagt dann, dass es natürlich nicht um die Normalarbeitszeit für Vollzeit-Arbeitskräfte gegangen wäre, sondern nur darum, jene mehr in Arbeit zu bringen, die derzeit keine Vollzeittätigkeit hätten. 

Böse Teilzeit

Tun wir einfach so, als würde das irgendeinen Sinn ergeben, so eine Antwort, wenn man nach einer 41-Stunden-Woche gefragt wird. Aaaah, es geht also um die Teilzeitkräfte! Da sind sie, die Faulpelze. 

Schon vor einem Jahr hat ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher vorgeschlagen, Leuten, die Teilzeit arbeiten, doch bitte die Sozialleistungen zu kürzen. Und wer arbeitet hierzulande in Teilzeit? Na die Frauen! Und warum arbeiten die hierzulande in Teilzeit?

Na weil sie mit der Familienarbeit schlicht … alleine sind: In Wien besuchen zwar 9 von 10 Kindern einen Kindergarten, der mit einem Vollzeitjob vereinbar ist. Aber außerhalb der Städte schaut es zappenduster aus: Für 70 Prozent der Kinder unter 6 gibt es da keinen Betreuungsplatz, der einen Vollzeitjob möglich machen würde. Das ist also schon a bisserl zynisch, wenn wir die Frauen immer wieder vor der Teilzeitfalle warnen … aber ihnen keinen Ausweg aus der Falle anbieten. 

Sollen sie sich die Kindergärten selber bauen? Da wirst du von der Politik im Stich gelassen und kannst dich dann auch noch verhöhnen lassen? (Wir erinnern uns an Karl Nehammer im Hamburger-Video: „Wenn ich mehr Geld brauch, geh ich mehr arbeiten“).  

Wir sollten die Arbeitszeit verkürzen

Eigentlich sollte es andersrum sein: Wir müssen dringend die Arbeitszeit verkürzen. Das war übrigens ganz lange ganz selbstverständlich, dass wir das regelmäßig machen. Weil wir einfach unsere Arbeitszeit an den technischen Fortschritt und die damit steigende Produktivität angepasst haben:

Vor 100 Jahren haben wir pro Woche noch 48 Stunden gearbeitet. Dann gabs eine 45-Stunden-Woche, schließlich haben wir auf 43 Stunden verringert, 1975 auf 40 Stunden und 1985 haben die meisten Branchen die 38,5-Stunden-Woche per Kollektivvertrag eingeführt. 

Wann ist die richtige Zeit?

Stellt sich die Frage: Wenn die letzte großflächige Verringerung der Arbeitsstunden jetzt fast 40 Jahre her ist … wann ist es dann Zeit für die nächste? Die Leute, für die wir arbeiten, haben darauf eine klare Antwort: niemals.

Bei jeder Anpassung der Arbeitszeit haben sie regelmäßig den Untergang der Wirtschaft und überhaupt der ganzen Welt vorausgesagt. Dabei stimmt doch das Gegenteil: Es geht uns – und der Wirtschaft – heute viel besser als vor 60, 70 oder 100 Jahren. 

Räumen wir auf mit den Lieblingsängsten der Industrie:

Angst Nummer 1: Es belastet die Wirtschaft. 

„Eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich erhöht die Lohnkosten. … [Sie] wäre schlecht für den Standort.“ – Martin Kocher (Salzburger Nachrichten 14.1.2021)

Nein, schlecht für den “Staaaaandort” ist es viel mehr, wenn die Menschen länger belastet werden, als es sein müsste. Wir stellen heute knapp doppelt so viel her wie noch in den 1980er Jahren, unsere Produktivität wächst ungebrochen. Wir haben bessere Maschinen, besseres Material. 

Aber der Wohlstand, der damit gewonnen wird, der wird nicht gerecht verteilt. Im Gegenteil: Während alles effizienter und effektiver wurde und wird, wird gleichzeitig die Arbeit auch immer dichter und intensiver. Wir arbeiten mit Handy und Laptop; aber unser Arbeitszeitmodell stammt noch aus der Zeit von Wählscheibentelefon und Schreibmaschine mit Durchschlag-Papier.

Long story short: Wir schaffen heute in einer Stunde Arbeit einfach viel, viel mehr als in den 80ern. Und trotzdem haben wir seither die Arbeitsstunden nicht mehr heruntergeschraubt. Obwohl die Mehrheit der Vollzeit-Kräfte gern weniger hackln würde. Ja, warum können wir das denn nicht? 

Angst Nummer 2: Dann haben wir nicht genug Arbeitskräfte, um all die Arbeit zu schaffen! 

Ja, die Babyboomer gehen in Pension. Und Unternehmen tun sich nicht mehr so leicht, Stellen nachzubesetzen. Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen verschiebt sich gerade in Richtung der ersteren.

Wir wissen aber auch: Nur in solchen Phasen, in denen der Hebel bei den Leuten liegt und nicht bei den Konzernen, können die Arbeitsbedingungen in den Verhandlungen auch verbessert werden. Nur in solchen Phasen haben die Arbeitnehmer:innen einen Vorteil in den Verhandlungen.

Die Frage, wie viele Stunden wir für welchen Lohn arbeiten müssen, ist einfach eine Machtfrage. Und wenn das, was wir verkaufen – unsere Arbeitskraft! – knapp ist, dann ist sie besonders wertvoll. Angebot und Nachfrage und so.  Und dann ist unser Hebel, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder eine Verkürzung der Arbeitszeit durchzusetzen, besonders stark.

Angst Nummer 3: Wer soll das bezahlen? 

Natürlich geht eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Ging früher, geht heute. Ihr erinnert euch – die Produktivität steigt ja. Wir wirtschaften ja heute ganz anders als vor 40 Jahren. Ohne Handy, ohne Internet … bleibt also nur mehr die Frage übrig: Das, was wir da mehr erwirtschaften; das, was wir alle gemeinsam “produktiver” sind – wie verteilen wir das? Stecken wir das in die Gewinne der Konzerne? Oder kriegen die Arbeitnehmer:innen auch was davon ab? Mehr Lohn und weniger Stunden?

Im Moment landet dieser Produktivitätsgewinn bei den Konzernen. Und wenn wir dieses Mehr an Produktivität besser verteilen, fairer; so, dass auch die Arbeitnehmer:innen was davon haben, dann heißt das vor allem, dass alle ein Stück glücklicher werden: Weniger Arbeit heißt mehr Zeit für Familie, mehr Zeit für Freund:innen und Freunde. Wir wissen aus unzähligen Studien: Wer weniger arbeitet, ist gesünder, glücklicher und macht seinen Job besser.

Und: Wer weniger arbeitet, der kann auch die Arbeit zuhause fairer verteilen. Zwischen Müttern und Vätern nämlich.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    26.04.2024
    ...es ist ein hoffnungsschimmer, wenn sich "message control" in chaotischer panik auflöst!
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