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Gesundheit

Stefan wird wegen einer Behinderung öffentlich ausgelacht, gehänselt und ignoriert: „Es fällt mir schwer, euch das zu erzählen“

Stefan lebt mit einer sichtbaren Behinderung, deshalb wird er in der Öffentlichkeit oft gehänselt - zum Beispiel beim Busfahren (Symbolbild) Foto: João Jesus
Seit Stefan 17 Jahre alt ist, lebt er in verschiedenen Einrichtungen unter Teil- und Vollzeitbetreuung. Während seine Mutter schwanger mit ihm war, war sie krank und trank viel Alkohol. Vermutlich deswegen wurde Stefan mit einer sichtbaren, intellektuellen Behinderung geboren. Der 35-Jährige geht gerne Basketball spielen, einkaufen für die WG oder fährt mit den Öffis. Nur wird er oft in der Öffentlichkeit gehänselt. In der Serie “Was ich wirklich denke” erzählt er, wie es ihm geht, wenn sich Menschen über ihn lustig machen.

Ich fahre jeden Tag alleine mit dem Bus und mit der Straßenbahn in die Werkstatt. Ich mag den Weg und das Busfahren. Es ist sehr schön. Manchmal ist der Bus sehr voll und es gibt keine Sitzplätze. Dann frage ich, ob ich mich hinsetzen kann. Ich kann auch stehen und mich anhalten, aber ich falle manchmal um. Sitzen ist einfacher für mich. Manchmal stehen aber die Menschen nicht auf und schauen mich komisch an. Das ist aber nicht so schlimm. Viel ärgerlicher ist es für mich, wenn mich Kinder und Jugendliche auslachen. Das Auslachen macht mich traurig. 
 

Ich habe viel Spannendes zu erzählen, aber man hört mir nicht zu

Oft ignorieren mich die Menschen, wenn ich mit ihnen rede, obwohl ich viel Spannendes zu erzählen habe. Das ärgert mich ein bisschen. So richtig grantig werde ich in Situationen, wie letztens. Eine Gruppe von Jugendlichen ließ mich nicht aussteigen. Sie nannten mich “Loser”. Selten werde ich zur Furie und schreie zurück. Ich entschuldige mich dann aber sofort.

Meistens traue ich mich aber nicht zurückzuschimpfen. Ich habe oft Angst in solchen Situationen. Sie könnten mich vielleicht anzeigen, wenn ich zurückschimpfe. Ich habe nämlich noch mehr Angst vor der Polizei als vor ihnen. Die Polizei ist sehr gemein zu mir. Sie könnten mich aber auch prügeln oder vielleicht sind sie bewaffnet.

Ich wurde nämlich schon mal in der U-Bahn geprügelt. Ich war in der U1 und habe einen erwachsenen Mann was gefragt. Ich weiß nicht mehr, was es war. Er hat mich beschimpft. Also wurde ich frech und zeigte ihm den Mittelfinger. Daraufhin hat er mir eine Faust gegeben. Ich lag am Boden. Ich war tapfer und habe nicht geweint. Es hat mich aber sehr traurig und wütend gemacht. Meine Nase hat dann einen ganzen Tag lang nicht aufgehört zu bluten. 
 

Ich glaube, die Leute sind wegen meiner Behinderung so gemein zu mir

Ich glaube, der Mann hat mich geschlagen, weil ich eine Behinderung habe. Ich glaube, wegen meiner Behinderung machen sich auch Jugendliche und Kinder über mich lustig. Ich glaube, deshalb hat mich auch eine ältere Frau mal angeschrien und gesagt, ich solle die Goschen halten. Ich glaube auch, dass mich deshalb die anderen Kinder gezwickt haben, als ich ein Kind war.

Ich weiß aber nicht, warum Menschen deswegen so gemein zu mir sind. Es ist doch nicht schlimm, dass ich ein bisschen anders bin. Ich weiß oft nicht, was ich getan habe oder wie ich diese Menschen verärgert habe. Ich finde es unfair, dass sie so zu mir sind. 

Wenn ich mich an meine Kindheit zurückerinnere, dann werde ich sehr müde. Ich will mich gar nicht mehr daran erinnern, wie die Schulzeit, die Lehrer:innen, die Eltern der Kinder und die Kinder zu mir waren. Ich weiß nur, dass es sehr schiach war und, dass viele nicht nett zu mir waren.
 

Ich würde eine Entschuldigung annehmen

Wenn sich die gemeinen Kinder bei mir entschuldigt hätten, dann hätte ich ihre Entschuldigung angenommen. Ich mache ja auch Sachen falsch, weil ich es nicht besser weiß. Dann werde ich ermahnt und entschuldige mich. Ich meine es ja nicht böse.

Vielleicht meinen es die Kinder und Jugendlichen in der Straßenbahn oder im Bus auch nicht böse. Aber sie könnten sich bei mir entschuldigen, wenn sie davor nicht darüber nachgedacht haben. Ich würde ihre Entschuldigung auf jeden Fall annehmen und mich freuen. 
 

Diese Geschichte zu erzählen, fällt mir sehr schwer

Wenn Menschen gemein zu mir sind, dann versuche ich mit den Gedanken woanders zu sein. An etwas Schöneres zu denken. Für mich ist es sehr schwer über meine Gefühle nachzudenken. Für mich ist es sehr schwer das alles hier zu erzählen.

Ich hätte vermutlich auch mehr zu erzählen, aber ich will mich nicht an alles wieder zurückerinnern. Das tut zu sehr weh. Meine Energie ist nämlich schnell leer. Ich komme dann nach solchen Vorfällen K.O. nach Hause und muss schlafen. Es ist sehr anstrengend für mich euch das alles zu erzählen. Ich freue mich aber darauf, dass ihr meine Geschichte lest. Vielleicht seht ihr dann auch, dass ich gar nicht so anders bin. 

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