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Ungleichheit
Fortschritt

Wieso gibt es so wenig Nachmittagsbetreuung an Österreichs Schulen?

Wieso gibt es so wenig Nachmittagsbetreuung an Österreichs Schulen?
Wie soll die Betreuung nach der Schule für Kinder funktionieren, wenn die Eltern arbeiten müssen? Vielen Kindern bleibt nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Und vielen Eltern bleibt deshalb nichts anders übrig, als dann auch nach Hause zu kommen oder ihr Kind allein zu lassen. Denn Österreich spart beim Angebot an Nachmittagsbetreuung und Ganztagsschule.  

Eigentlich war es das Ziel des Bildungsministeriums, bis 2022 für 40 Prozent aller Schüler:innen zwischen 6 und 13 Jahren ein Angebot zur Betreuung sicherzustellen. Erreicht wurde das nur in Wien und im Burgenland. In Tirol liegt die Quote nur bei 11 Prozent. 

Dabei wäre ein flächendeckendes Betreuungsangebot wichtig. Besonders für jene Kinder, die es sowieso schon schwer haben. Ein wichtiger Teil der Schule ist nach dem Unterricht zu erledigen. Kinder, deren Eltern nicht die Zeit, die Energie oder das Wissen haben, um sie dabei zu unterstützen, werden damit alleine gelassen. Nachhilfe muss man sich erst einmal leisten können. Die Nachteile, die Kinder aus dieser Ungleichheit ziehen, begleiten sie oft ihr Leben lang.  

Nachmittagsbetreuung: Die Verantwortung wird auf die Familie abgeschoben 

Dieser Zustand ist für Kinder sowie Eltern belastend. Elke Andorfer und ihr Mann wurden wenige Tage vor Schulbeginn darüber informiert, dass der Hort ihrer beiden Töchter bis auf Weiteres geschlossen wird. Im Sommer hatte das Personal gekündigt, neues konnte nicht gefunden werden. Die Eltern waren verzweifelt. Beide arbeiten im Gesundheits- und Sozialbereich und können sich die Zeit ihrer Tag- und Nachtdienste nicht frei einteilen. Im Homeoffice nebenher die Kinder zu betreuen ist auch nicht möglich. Jetzt kümmert sich die 70-jährige Großmutter um die Kinder. 

„Kinderbetreuung war immer schon schwierig. Mein Spätdienst endet um 20 Uhr. Wenn mein Mann Nachtdienst hat, beginnt er aber schon um 18 Uhr.“, erklärt die Mutter aus Gmunden. Kurz hatten sie überlegt, ob nun eine:r der beiden den Job kündigen sollte. Von pädagogischem Fachpersonal wurden sie mit Vorwürfen konfrontiert, sich nicht um die Kinder zu kümmern. „Aber wir lieben unsere Berufe. Aufzuhören wäre uns sehr schwergefallen.“  

Das sollte von Eltern nicht verlangt werden. Aber es passiert häufig. Besonders Frauen bleiben mit betreuungspflichtigen Kindern zu Hause oder in Teilzeitjobs. 

Für die Kinder ist die Situation ebenfalls nicht einfach. „Jeder Wechsel der Betreungsperson ist ein Beziehungsbruch. Für meine Siebenjährige war das die dritte Umstellung in nur einem Jahr.“, erzählt Elke Andorfer. Und auch wenn ihre Kinder die Großmutter sehr gerne haben, würden sie den Nachmittag lieber mit ihren Klassenkolleg:innen verbringen. 

Betreuung nach der Schule: So soll es nicht weitergehen 

Von einem guten Betreuungsangebot würden alle profitieren. Städte und Gemeinden berichten über zahlreiche Verbesserungen, wenn sie ganztägige Betreuungsangebote einführen. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Verwaltungsforschung (KDZ). Familie und Beruf lassen sich für Eltern besser vereinbaren, Kinder werden sozial sowie kulturell besser integriert und Ungleichheiten können verringert werden. Schließlich wird die Gemeinde selbst attraktiver als Wohn- und Betriebsstandort. 

Daher fordern Arbeiterkammer und ÖGB einen stärkeren politischen Einsatz. Jedes Kind soll eine hochwertige Ganztagsschule oder Nachmittagsbetreuung besuchen können, ohne einen weiten Schulweg auf sich zu nehmen. Wo die Kinder gesundes Essen bekommen. Und die Eltern nicht dafür zahlen müssen.  

Die Gemeinden wünschen sich einen Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten. Doch alleine fehlt ihnen das Geld und das Engagement auf Bundesebene ist nicht ausreichend. Ursprünglich hätte das 40-Prozent-Ziel bis 2022 erreicht werden sollen. Unter der türkis-blauen Regierung wurde das jedoch auf 2032 verschoben. „Was fehlt, ist eine klare Zuständigkeit, Finanzierung sowie Unterstützung bei der Umsetzung“, verdeutlicht Slivia Hruška-Frank, Direktorin der Arbeiterkammer. 

Viel Verwirrung, wenig Personal 

Wer herausfinden möchte, welche Stelle wofür verantwortlich ist, muss sich auf etwas gefasst machen. In allgemeinbildenden Pflichtschulen setzt der Bund die Finanzierung fest, für Förderprozess ist aber das Bundesland zuständig. Für Lehrpersonen und Erzieher:innen ist das Land auch Dienstgeber, die Freizeitpädagog:innen sind wiederum von den Gemeinden angestellt. Noch komplexer wird es, wenn die Betreuung privat geregelt wird und Vereine oder GmbHs das Personal anstellen. Einheitliche Standards gibt es kaum. 

Konstruktiv an Verbesserung und Ausbau des Betreuungsangebots zu arbeiten, wird dadurch unnötig erschwert. ÖGB und Arbeiterkammer fordern daher, dass die Personalverantwortung für Freizeitpädagog:innen auch auf Land oder Bund übertragen werden. 

Momentan fehlt für einen großflächigen Ausbau vielerorts an Personal. Auch der Hort der Familie Andorfer scheiterte am Personalmangel. Wechsel und Kündigungen waren davor schon häufig. 

Aus Sicht der Arbeitnehmervertretungen liegt das an den Rahmenbedingungen. Schlechte Organisation und Bezahlung machen es nicht leicht, die vorhandenen Lehrkräfte zu motivieren. Zumal da sie für betreute Freizeitstunden weniger Geld bekommen als für Unterricht. Als Freizeitpädagog:in sieht es nicht besser aus. Vollzeitstellen können oft nicht angeboten werden und die Arbeitsstunden werden teilweise über den Tag verteilt. Diese Umstände müssen verbessert werden. Und neue Ausbildungsformen sollen Interessierten aus anderen Berufsfeldern den Einstieg ermöglichen. 

Wie so oft gibt es auch in der Kinderbetreuung ein Stadt-Land-Gefälle. Je kleiner die Gemeinde, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer passenden Betreuung. Dennoch gibt es kleine Gemeinden, die es geschafft haben, ihr Angebot zu verbessern. So zeigt das Burgenland, dass auch abseits größerer Städte eine hohe Betreuungsquote möglich ist. Dort hat man offensichtlich Wege gefunden. Dieses Wissen ist anderen Gebieten jedoch schwer zugänglich. Eine Lösung hierfür wären spezielle Kompetenzzentren, die Gemeinden bei der Planung und Umsetzung unterstützen. 

Ganztagsschulen: Wer soll das bezahlen? 

Auch dafür fehlt es an Budget und vor allem an Finanzierungssicherheit.  Um in jeder Gemeinde bis 2033 eine Betreuungsquote von 40 Prozent erreichen zu können, braucht es vergleichsweise wenig Geld: Investitionen und laufende Kosten könnten mit 120 bis 200 Millionen jährlich in den kommenden zehn Jahren gedeckt werden.   

Zum Teil ist Geld auch schon im Budget verplant. Für den Ausbau von Ganztagsschulen sind dort nämlich jährlich 30 Millionen Euro vorgesehen. Das Budget wird aber von den Schulen seit Jahren nicht ausgeschöpft, weil es nicht für die richtigen Ausgaben verwendet werden kann.  

Eine Investition in hochwertige Betreuungsangebote für Schüler:innen würde sogar direkte wirtschaftliche Vorteile bringen. Einerseits entstehen neue Arbeitsplätze in der Betreuung. Andererseits können Eltern in dieser Zeit arbeiten.  Ein Anstieg der Erwerbsquote wäre zu erwarten, besonders unter Frauen. Innerhalb weniger Jahre könnte sich der Ausbau durch die zusätzlichen Steuereinnahmen selbst finanzieren. 

Das Budget für 2023, das vergangene Woche von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) präsentiert wurde, sieht in naher Zukunft keine Besserung vor. Eltern wie Elke Andorfer bleibt bis dahin nicht viel: „So falsch es klingt, ich kann nur hoffen, dass meine Kinder bald selbstständig genug werden, alleine zu bleiben.“ 

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