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Gesundheit
Fortschritt

Warum wir die mentale Gesundheit unserer Jugendlichen schützen müssen

Change the mental health system" (c) Joyce
Die Versorgung psychisch kranker Menschen lässt in Österreich zu wünschen übrig. Zu wenige Kassentherapieplätze, zu wenige Klinikplätze, überforderte Pflegekräfte, zählen zu den Problemen. Besonders schlecht steht es aber um die Betreuung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Lange Zeit waren sich weder Politik noch Gesellschaft über das Problem bewusst. Nun hat die Bewegung “Change for the Youth” den Stein ins Rollen gebracht und fordert Veränderung. MOMENT.at hat Hannah getroffen, die im Kernteam der Gruppe arbeitet, und mit ihr über die Arbeit gesprochen.

MOMENT.at: Wer seid ihr und was macht ihr? 

Hannah: Wir sind eine Bewegung, die versucht, Verbesserungen im Bereich mentale Gesundheit für Jugendliche und junge Erwachsene zu bewirken. Wir sehen uns als Betroffenenvertretung, verfolgen aber trotzdem einen gemeinschaftlichen Ansatz. Das bedeutet, dass wir bei unserer Arbeit Forderungen von allen zugehörigen Berufsgruppen, also Pfleger:innen, Pädagog:innen, Ärzt:innen usw. berücksichtigen. Das machen wir, weil wir der Meinung sind, dass wir nur gemeinsam eine Veränderung bewirken können.

MOMENT.at: Warum haben junge Leute häufig mit psychischen Probleme zu kämpfen?

Hannah: Besonders die Pandemie hat die Situation für viele junge Leute verschlimmert. Aber ein großes Problem ist auch der “Cut off” mit dem 18. Geburtstag. Wir sehen, dass viele Leute in diesem Alter eine schwere Phase durchmachen. Meistens bedingt durch den Wegfall des gewohnten Supportnetzwerks. Mit der Volljährigkeit ändern sich in vielen Bereichen die Zuständigkeiten. Beispielsweise werden Jugendliche von anderen Fachkräften betreut als Erwachsene. Ein solches Netzwerk neu aufzubauen, stellt für viele junge Menschen eine große Herausforderung dar.

MOMENT.at: Wie sieht eure Arbeit aus? 

Hannah: Wir haben drei verschiedene Aktivitätsgruppen. Das ist zum einen der Aktivismus, bei dem wir auf die Straße gehen, Demos veranstalten und Reden halten. Dann haben wir den Awareness Bereich. Das heißt, wir werden eingeladen, Workshops für Berufsgruppen zu besuchen und einzelne Gruppen zu leiten. Und der dritte Bereich ist sozusagen das Lobbying. Dabei treffen wir uns mit Entscheidungsträger:innen aus der Politik und versuchen gemeinsam konkrete Projekte umzusetzen.

„Change for the Youth“ – Demonstration  (c) Joyce

 

Moment.at: Was genau macht ihr bei den Workshops?

Hannah: Meistens genügt es, einfach nur einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem man über mentale Gesundheit sprechen kann. Vor allem in den ländlichen Gegenden merken wir, dass es solche Orte einfach nicht gibt. Das liegt daran, dass psychisch kranke Personen dort noch stärker mit Stigmatisierung zu kämpfen haben. Bei den Workshops erzählen die Leute dann von ihren Erfahrungen und sind froh darüber einen Raum zu haben, in dem sie offen sprechen können. Die Ansprüche der Betroffenen sind da wirklich niedrig. 

Moment.at: Wie kann ich mir eure Lobbyarbeit vorstellen? 

Hannah: Wir haben verschieden Schwerpunkte. Unser derzeit größtes und wichtigstes Projekt ist die Psychotherapie auf Kasse für alle. Dafür arbeiten wir mit einer Expertengruppe in der Steiermark zusammen. Das betrifft jetzt zwar nur die Steiermark, aber es ist trotzdem sehr vielversprechend. Dadurch, dass alle Fraktionen vertreten sind, können wir Punkte ausarbeiten, die auch für alle tragbar sind. Da geht echt was weiter.

Moment.at: Warum ist es so schwierig, einen Therapieplatz auf Krankenkasse zu bekommen? 

Hannah: Grundsätzlich handelt es sich nicht unmittelbar um ein Ressourcenproblem. Das heißt, es gibt genug Therapeut:innen. Die Probleme entstehen jedoch durch den hohen bürokratischen Aufwand. Es gibt so viele Hürden bei der Abrechnung, so viele Unsicherheiten für Therapeut:innen, dass es für die quasi unmöglich gemacht wird, Therapie auf Kasse anzubieten. Wir versuchen also auf die Gesundheitskassen zuzugehen und bürokratische Erleichterungen für Therapeut:innen zu bewirken. Das soll die psychotherapeutische Versorgung für mehr Menschen leistbar machen. 

Ein anderes Problem entsteht durch die Diagnostik. Ohne formale Diagnose hat man lediglich den Anspruch auf etwa 5 Therapiesitzungen. Auch dieses Angebot versuchen wir gemeinsam mit den Verantwortlichen auszubauen.

„Gratis Psychotherapie für alle“  c) Joyce

Moment.at: Eine eurer Forderung sind höhere Löhne für Pflegekräfte. Warum ist das wichtig?

Hannah: Vorab muss man sagen, dass wir in Österreich eine starke Überlastung in der psychosozialen sowie psychiatrischen Versorgung sehen. Das Personal ist teilweise extrem überlastet, sei es durch den hohen Stresspegel oder auch die vergleichsweise schlechte Bezahlung. Dadurch nimmt auch die Qualität der Versorgung ab, was fatale Folgen haben kann. Schlussendlich ist das ein systemisches Problem. Um das zu verändern, muss nicht nur an der Bezahlung, sondern auch an der Ausbildung und der psychosozialen Versorgung von Pfleger:innen selber geschraubt werden. 

Moment.at: Ihr forderte außerdem mehr Bedacht bei der Medikamentenausgabe. Warum ist das ein Problem?

Hannah: Durch die bereits angesprochene Überlastung der Pflegekräfte, müssen häufig Notlösungen gefunden werden. Anstatt sich also Zeit zu nehmen und auf die Patent:innen einzugehen, werden sie mit Medikamenten ruhiggestellt. Das passiert vor allem in Psychiatrien.

Wir kennen aber auch Geschichten von 12-Jährigen, die von Hausärtz:innen sogenannte “Off-label-Medikamente” verschrieben bekommen haben. Das sind, Medikamente, die eigentlich nicht für die spezielle Diagnose zugelassen sind, aber aufgrund vergangener positiver Erfahrungen trotzdem verschrieben werden. Dabei können schwerwiegende Folgeschäden entstehen. Die Pharmazeutika können süchtig machen oder das Verhalten stark beeinflussen. 

Moment.at: Wie könnte man diese Problematik lösen?

Hannah: Wir arbeiten gerade an einer parlamentarischen Anfrage. Damit wir überhaupt einmal einschätzen können, wie groß das Problem ist. Langfristig wollen wir aber einfach ganz groß auf Aufklärung setzten. Betroffene sollen sich bewusst darüber sein, welche Medikamente sie nehmen und welche Risiken mit der Einnahme verbunden sein können. 
 

„Medikamente sind keine Smarties“ (c) Joyce

Momen.at: Ein großes Thema bei euch ist auch die Verbesserung der psychosozialen Betreuung im schulischen Bereich. Wie könnte diese aussehen?

Hannah: Eine positive Neuerung ist, dass ab dem kommenden Schuljahr mentale Gesundheit auch in den Lehrplänen verankert sein wird. Das bedeutet, dass Lehrer:innen auf das mentale Wohlbefinden ihrer Schüler:innen Rücksicht nehmen müssen.

Ein großes Problem stellt aber vor allem das Angebot an Schulpsycholog:innen, dar. Jeder weiß zwar, wo der Schularzt ist, aber niemand weiß, wo der Schulpsychologe ist, oder ob es so etwas überhaupt gibt. Da ist es ganz wichtig, dass dieses Angebot ausgebaut und niederschwelliger zugänglich wird. 

Eine unserer Zukunftsvisionen im schulischen Bereich ist die Einführung eines verpflichtenden psychosozialen Gesprächs in der vierten Unterstufe. Ziel ist, dass die Jugendlichen zumindest einmal in Kontakt mit einer psychosozialen Stelle waren. Das soll dazu beitragen, dass die Schüler:innen wissen, wo sie sich Hilfe holen können, wenn diese tatsächlich benötigt wird. Zusätzlich soll es auch die Hemmschwelle, einen solchen Dienst in Anspruch zu nehmen, senken. 

Moment.at: Welche Projekte stehen in Zukunft bei euch an? 

Hannah: Wir arbeiten gerade an einer Zusammenarbeit mit der Stadt Wien. Geplant sind ein paar Videos auf den diversen sozialen Medien, um mehr Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu schaffen. Die meisten Vereine und auch die Stadt haben nämlich das Problem, dass sie die Jugendlichen einfach nicht erreichen. Und genau da kommen wir ins Spiel. Unsere Stärke ist unsere mediale Präsenz bei jungen Menschen. 

 

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