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Klimakrise

Klimaforscher Steurer zu COP26: „Regierungen haben den Klimanotstand nicht kapiert“

Die Klimakonferenz COP26 endete für Reinhard Steurer enttäuschend. Traurig sei, dass um Formulierungen zum Kohleausstieg gerungen wurde, „obwohl wir von Klimanotstand sprechen müssen“. Die Staaten seien süchtig nach fossilen Energien, gesetzte Ziele für die CO2-Reduktion wenig glaubwürdig. Es gebe Hoffnung für mehr Klimaschutz – die komme aber nicht von Politiker:innen.

 

Den Kohleausstieg „einleiten“, fossile Energien nicht mehr „ineffizient“ subventieren, jährlich nationale Klimapläne überarbeiten: Fast 200 Staaten einigten sich bei der Klimakonferenz COP26 auf minimale Kompromisse im Kampf gegen die Klimakrise, die dennoch „historisch“ genannt werden. Für Klimaforscher Reinhard Steurer endete der Mega-Gipfel enttäuschend.

Traurig sei, dass um Formulierungen zum Kohleausstieg gerungen wird, „obwohl wir schon vom Klimanotstand sprechen müssen“. Die Staaten seien süchtig nach fossilen Energien, gesetzte Ziele für die CO2-Reduktion seien wenig glaubwürdig, so der Wissenschaftler der Universität für Bodenkultur in Wien. Österreich habe beim CO2-Preis „eine große Chance versäumt. Der ist deutlich zu gering“, sagt Steurer im Interview mit MOMENT. Es gebe aber Hoffnung für mehr Klimaschutz – die komme aber nicht von Politiker:innen.

MOMENT: Wie lautet Ihre Bilanz nach der Klimakonferenz COP26? Ist ein Durchbruch gelungen?

Reinhard Steurer: Es ist alles wie erwartet gelaufen. Ich hatte keine großen Erwartungen, weil ich dieses Schauspiel schon oft so beobachtet habe. Nachdem die Fridays for Future Bewegung ab 2019 die Gesellschaft umgekrempelt hat, hätte man glauben können, dass es ein Momentum für große Änderungen gibt. Leider hat es für einen großen Wurf, den wir dringend brauchen, aber noch nicht gereicht. Leider reichen diese kleinen Schritte nicht, die Probleme zu lösen.

MOMENT: Es gibt Klimaexpert:innen, die von Fortschritten sprechen. Teilen Sie diese Ansicht?

Steurer: Es ist was weitergegangen. Der größte Fortschritt ist: Staaten sollen jährlich auf ihre Klimaziele schauen und nicht nur alle fünf Jahre. Das Regelwerk des Paris-Abkommens ist nun insgesamt weitgehend fertig. Gleichzeitig wurde aber auch klar, dass Emissionsdaten von vielen Staaten nach wie vor falsch sind und es wurde um semantische Feinheiten zum Kohleausstieg gerungen, obwohl wir schon von einem Klimanotstand sprechen müssen. Da sieht man, wie weit die politische Realität bei Klimakonferenzen von dem entfernt ist, was physisch längst nötig wäre.

MOMENT: Nach der vagen Hoffnung auf besseren Klimaschutz, folgt bei vielen Forscher:innen ein großes „wenn“. Denn die Vereinbarungen müssen erst noch umgesetzt werden. Wie groß ist die Chance, dass diesmal wirksame Maßnahmen getroffen werden?

Steurer: Die Ziele umzusetzen ist immer der Schwachpunkt. Die Reduktionsziele für die nächsten 30, 40 oder 50 Jahre sind Symbolik. Da ist nicht viel Glaubwürdigkeit dahinter. Ich glaube nicht, dass sich Österreich oder Indien viel Gedanken darüber gemacht haben, wie Klimaneutralität bis 2040 oder  2070 tatsächlich politisch machbar ist. Das erklärt man mal so, um gute Schlagzeilen zu machen. Die Weitsicht der Politik ist in der Regel auf die Länge von Legislaturperioden beschränkt, also auf vier bis fünf Jahre.

MOMENT: Statt „Ausstieg“ aus Kohlestrom soll es lediglich einen „Abbau“ davon geben. Wie schwer wiegt diese Verwässerung und was für ein Symbol sendet das?

Steurer: Der Wortlaut ist im Grunde fast egal. Es ist traurig, dass überhaupt darum gerungen werden muss, ob das Selbstverständliche in einem solchen Dokument stehen darf. Das ist ein Trauerspiel und das Signal ist eindeutig: Die meisten Regierungen haben den Klimanotstand nicht kapiert und nicht annähernd an sich herangelassen. Viele wollen hier und heute möglichst wenig ändern, weil wir eine systemische Abhängigkeit von fossilen Energien haben. Dann versuchen wir, diese Sucht in irgendeiner Form zu verdrängen, schönzureden oder mit nötiger Entwicklung zu rechtfertigen. Was wir brauchen ist Klima-Realismus.

MOMENT: Wie schnell kann man es denn schaffen, aus fossilen Energien auszusteigen?

Steurer: Wir sind weit hinter den Möglichkeiten. Zum einen, weil das Geld kostet und fossile Energien nach wie vor im Überfluss verfügbar und billig sind. Zum anderen, weil fossile Energien eine unglaublich mächtige Lobby haben. Deren Unternehmen waren auf der COP26 die größte Delegation und überall dort direkt oder indirekt vertreten, wo Entscheidungen getroffen wurden. Dieser Einfluss ist nicht nur auf der Klimakonferenz spürbar, sondern auch in nationaler Politik. So tritt zum Beispiel auch die SPD in Deutschland dafür ein, fossiles Gas als grünes Investment in der EU anzuerkennen. Das wäre vor 20 Jahren noch nachvollziehbar gewesen. 2021 können wir uns das nicht mehr leisten.

MOMENT: Klimaschutzpläne der Länder sollen nachgeschärft werden. Das zu tun, stand Österreich ja bisher schon frei, passiert ist wenig. Die wichtigste Arbeit kommt wohl erst noch.

Steurer: Genau, Österreich hat zuletzt eine große Chance versäumt: den lenkungswirksamen CO2-Preis einzuführen. Der ist deutlich zu gering ausgefallen, um die Emissionskurve in Richtung der Ziele für 2030 zu biegen. Wenn wir aber dieses Ziel nicht mit ökonomischen Anreizen erreichen wollen, wie dann? Im Grunde müssten viele Dinge nun eigentlich verboten werden.

MOMENT: Österreich kommt mit seiner Leistung im Klimaschutz-Index des CCPI auf Platz 36. Wie bewerten Sie Österreichs Beitrag zum Klimaschutz?

Steurer: Wir stoßen noch immer mehr CO2 aus als 1990. Obwohl die derzeitige Klimapolitik besser ist als alles, was wir die letzten 25 Jahre hatten, fallen Entscheidungen nach wie vor zu wenig ambitioniert aus und dauern zu lange. Deutschland hat sein Klimagesetz innerhalb weniger Wochen nachgebessert. Das geschah wohl im Zuge des Wahlkampfs und wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Aber man sieht: Das geht auch viel schneller, wenn sich die Koalitionspartner einig sind. Wir dagegen tun beim Klimaschutzgesetz seit zwei Jahren herum.

MOMENT: Die Süddeutsche Zeitung fragte am Wochenende in einem Artikel vom Gipfel: Wie können Klimaaktivist:innen das überhaupt noch aushalten? Seit mehr als 30 Jahren kämpfen sie für Taten und werden nicht gehört, obwohl die Fakten auf dem Tisch liegen. Also: Wie kann man das aushalten?

Steurer: Es gibt Fortschritte, die ermutigend sind. Die kommen aber Großteils nicht aus der Politik, sondern aus dem technischen und aus dem gesellschaftlichen Bereich. Photovoltaik ist die billigste Energieform in der Geschichte. Das E-Auto steht vor dem Durchbruch. Das zeigt: Es geht in die richtige Richtung, diese Entwicklungen müssen von der Politik aber tatkräftig unterstützt werden. Das passiert leider nach wie vor viel zu zögerlich.

Da kommt die zweite erfreuliche Dynamik ins Spiel. Die ist 2019 durch Fridays For Future entstanden. Die Pandemie hat diese Dynamik zurückgedrängt. Wenn wir das Problem angemessen lösen wollen, dann müsste diese Bewegung aber noch stärker werden, als sie 2019 bereits war. In dem Fall käme wieder mehr Schwung in die Politik. Klar ist: Auf Führungsstärke von Politikern brauchen wir im Klimaschutz nicht zu warten, eher umgekehrt. Wenn Parteien das Gefühl haben, sie können mit mehr Klimaschutz bei ihren Wählern punkten statt Stimmen verlieren, dann bewegt sich was.

 

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