Corona-Krise und Kultur: Was die Branche wirklich denkt und braucht
Seit der Corona-Krise herrscht Stillstand im Kulturbetrieb
Am Freitag ist die Grüne Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek nach heftigen Protesten zurückgetreten. Zeitgleich wurden endlich der lang ersehnte Stufenplan für die Öffnung des Kulturbetriebs vorgestellt. Zwar geht ein Aufatmen durch die Branche, denn mit dem Stufenplan der Öffnung gibt es nun endlich eine Perspektive. Wer sich in der Kulturbranche umhört, merkt schnell, dass für viele diese Pläne zu spät kommen. Bis weit in den Herbst hinein wurden Veranstaltungen bereits abgesagt. Die Kunst- und Kulturbranche wird jahrelang unter der Corona-Krise leiden, fürchten viele.
Kristina Sprenger
Schauspielerin und Intendantin der Sommerfestspiele Berndorf
Die Schauspielerin, die mit der Krimi-Reihe „Soko Kitzbühel“ bekannt wurde, hat eine klare Botschaft an all jene, die Kultur und Kunst für nicht systemrelevant erachten: „Gerade die österreichische Kulturlandschaft lockt viele Touristen an, die dann hier nächtigen und die Gastronomie beleben – aber es geht hier vor allem um die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, die das nicht zum Spaß machen und sonst auch brav Steuern und Abgaben bezahlen.“ Für Sprenger hat die Corona-Krise einen wunden Punkt offengelegt hat, über den sie sich schon oft Gedanken gemacht hat: Die prekären Arbeitsverhältnisse von SchauspielerInnen und freien KünstlerInnen. Sie wünscht sich, dass es hier generelle Änderungen gibt: „Um Arbeitslosengeld zu bekommen, muss jemand mehrere Monate durchgehend angestellt sein, doch das sind in dieser Branche nur SchauspielerInnen oder MusikerInnen, die in einem fixen Ensemble spielen.“ SchauspielerInnen in der freien Szene sind für eine Theaterproduktion in der Regel zwei Monate angestellt, dazwischen ein paar Tage für einen Filmdreh, eine Lesung oder eine Hörbuchproduktion, wofür sie Honorarnoten stellen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse wird oft doppelt ins Steuer- und Sozialsystem einbezahlen – in Krisenzeiten gibt es dann aber nichts. „Es muss endlich ein System geben, das die Lebensrealität dieser Branche berücksichtigt,“ fordert Sprenger. Es braucht auch Notfallpakete, denn ein Normalbetrieb in Kulturbetrieben wird wohl erst wieder möglich sein, wenn es eine Corona-Impfung gibt. „Auch wir müssen die Sommerspiele Berndorf auf nächstes Jahr verschieben, da wir statt 500 nur 125 Plätze im Theater besetzen könnten und das rentiert sich wirtschaftlich nicht,“ erklärt die Schauspielerin, die im Herbst wieder kleinere Produktionen umsetzen möchte.
Thomas Gansch
Musiker
Der weltbekannte Trompeter tritt in Konzerthallen rund um die Welt auf und ist Teil des international bekannten Blasmusik-Ensembles Mnozil Brass. Aufgrund der Corona-Krise musste er bis in den Sommer hinein rund 70 Auftritte absagen. Er beschäftigt auch eine Mitarbeiterin, für die er Kurzarbeit genehmigt bekommen hat. Vom Härtefallfonds hat er 1.000 Euro erhalten, mittlerweile streamt er Wohnzimmerkonzerte über Facebook und bittet seine Fans um digitales Körberlgeld. “Das funktioniert halbwegs gut, ein Viertel bis ein Drittel überweist tatsächlich Geld.” Die vergangenen Jahre hat der Musiker so viel gearbeitet, dass er zwar bis Herbst mit seinem Ersparten über die Runden kommen würde, doch auch dann wird es kritisch. “Ich habe mir lieber jetzt schon mit den Konzert-Streams eine Alternative geschaffen, da ich gesehen habe, dass die Verantwortlichen in der Politik einfach keinen Plan haben und offensichtlich völlig ahnungslos sind,” so Gansch. Nicht nur er fand es befremdlich, als die Order an Blasmusikvereine erging, dass nur mit Mundschutz geprobt werden darf. Ihn ärgert vor allem, dass alle in der Branche hingehalten werden: “Es wäre ja auch OK zu sagen, dass es mit Veranstaltungen schlecht aussieht, bis es eine Impfung gibt. Diese Ungewissheit ist aber unerträglich. Auch wir müssen planen und brauchen eine Perspektive. Im April ankündigen, dass es vielleicht im Mai einen Plan gibt, wie es im Sommer weitergehen könnte, ist absolut untragbar.” Als Musiker plant er in der Regel Konzerte und Tourneen zwei Jahre im Voraus. Deshalb ist eine langfristige Perspektive wichtig. Zudem stößt ihm die offensichtliche Ungleichbehandlung verschiedener Branchen auf: “Im Wirtshaus darf ich jetzt schon mit haushaltsfremden Menschen ohne Maske und Abstandhalten an einem Tisch sitzen, aber in einem Konzertsaal geht das nicht?” Seit er die Fotos von Sebastian Kurz bei seinem Besuch im Kleinwalsertal gesehen hat, auf denen der Kanzler ohne Schutzmaske und Sicherheitsabstand ein Bad in der Menge nimmt, ist er von baldigen Lockerungen bei Veranstaltungen überzeugt: “Nach diesen Fotos kann die Regierung nur noch schwer Einwand gegen große Freiluft-Veranstaltungen erheben.”
Julia Sobieszek
Künstleragentin
Die Künstleragentin vertritt vor allem KabarettistInnen, wie Gregor Seberg oder Verena Scheitz. Sie beschäftigt in ihrer Agentur drei MitarbeiterInnen, für die sie Kurzarbeit angemeldet hat. In den vergangenen Wochen wurde viel gearbeitet – Geld wird sie keines verdienen. “Wir mussten vor allem Veranstaltungen absagen und haben versucht für viele davon spätere Ersatztermine zu finden,” so Sobieszek. Dass es ab Mai Lockerungen für den Kulturbetrieb gibt, hilft ihr nun wenig, denn sie hat bereits zu Beginn der Corona-Krise Herbst-Termine absagen oder verschieben müssen. “In unserer Branche wird viel im Voraus geplant. Eigentlich sind jetzt die Terminbuchungen für das nächste Jahr fällig, doch da alles ungewiss ist, liegt auch hier praktisch alles auf Eis,” erklärt Sobieszek. Sie fände es wichtig, dass die Karteneinnahmen-Verluste ersetzt werden, zumindest bis zu 80 Prozent. “Das funktioniert in der Schweiz und Deutschland gut, warum kann es das auch nicht bei uns geben? Von diesem Geld bekommen dann auch alle was, vom Künstler über den Agenten, bis zum Techniker und den BilleteurInnen,” erklärt die Künstleragentin. Auch Stundungen von Mieten und Krediten bringen nichts – denn das sind Zahlungen, die nur aufgeschoben und nicht aufgehoben werden. Sie rechnet nämlich damit, dass sich die Corona-Krise jahrelang negativ auf den heimischen Kunst- und Kulturbetrieb auswirken wird, da viele Veranstalter Pleite gehen, zahlreiche Menschen kein Geld mehr für Eintrittskarten haben und nur noch altbekannte Kassenhauer gebucht werden – Nachwuchs-KünstlerInnen werden in den nächsten Jahren also wenig Chancen haben, sich zu etablieren. Immerhin wurde vergangene Woche auf der Konferenz der Landeshauptleute ein Rettungsschirm für die Kulturbranche beschlossen – ein Lichtblick für Sobieszek.
Christian Stipsits
Künstleragent, Tontechniker und Eventtechnik-Verleiher
Christian Stipsits betreibt mit seiner Ehefrau eine kleine Agentur und arbeitet sonst als Eventtechniker und Verleiher von Bühnenequipment. Vom Härtefallfond erhielten die beiden jeweils 1.500 Euro für die vergangenen drei Monate. “Das ist ein nettes Zuckerl, aber wirklich leben kann davon niemand, vor allem nicht langfristig,” so Stipsits. Zwar haben er und seine Ehefrau Ersparnisse und kommen zumindest über den Sommer gut über die Runden – doch ab Herbst würde es auch für sie hart werden. Er und seine Frau denken bereits über Job-Alternativen abseits der Kulturbranche nach. “Wir haben das Glück, dass wir eine kleine Firma sind. Doch Bühnen-Technik ist teuer und jeder in der Branche muss sie verhältnismäßig billig vermieten, um überhaupt Aufträge zu bekommen. KollegInnen, die größere Firmen und entsprechende Investitionen haben, kommen hier schneller ins Strudeln,” erklärt der Tontechniker. Auch die Kurzarbeit bringt hier wenig, denn niemand kann seine MitarbeiterInnen drei Monate lange damit beschäftigen, das Lager aufzuräumen. Er arbeitet viel in der Kabarett-Szene und versteht nicht, dass Rettungspakete nicht greifen: “Diese Szene ist gut besucht und macht jährlich Millionen-Umsatz, hier fließen auch viele Steuern in die Kassen des Staates. Ich würde mir wünschen, dass diese Szene auch entsprechend geschätzt wird.” Zum Lachen sei die Branche gut genug, aber wenn viele, die davon leben nun am Hungertuch nagen, wird einfach weggeschaut.