print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Demokratie

Extremismus in Daten: Warum Klima-Aktivismus kein Terror ist und woher die Gefahr wirklich kommt

“Klima-Terrorist:innen” und “Klima-Extremist:innen” regieren die Schlagzeilen. Dabei kostet echter Extremismus Menschenleben: Christchurch, Hanau, Utøya. Wer Sitzblockaden hinzuzählt, verharmlost diese Taten. MOMENT.at wirft einen Blick in die Zahlen zu Extremismus und das Ergebnis ist eindeutig: Die echte Gefahr kommt von rechts.

“Die selbstgerechten Weltuntergangesoteriker mit AMS-Hintergrund terrorisieren (…) weiter die arbeitende Bevölkerung”, schrieb der Wiener FPÖ-Klubobmann Anton Mahdalik in einer Presse-Aussendung. Der Titel lautet “Wie lange lassen sich Bundes- und Stadtregierung noch von Klebe-Koffern verarschen?” 

Die wüsten Beschimpfungen gehen gegen die Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation. Die mediale Debatte rund um Klima-Aktivist:innen in Österreich bauscht sich auf, wie ein Heißluftballon. Aktivismus ist plötzlich Extremismus. Extremismus ist plötzlich Terrorismus. Was steckt dahinter? Die Antwort ist einfach: Nichts, außer heiße Luft. Die Debatte platzt wie ein Ballon, wenn man in sie mit einer Nadel bestehend aus Zahlen pickt. 
 

Warum der Ausdruck “Klima-Terrorist:innen” Schwachsinn ist

Klima-Aktivist:innen in Österreich sind weder Extremist:innen noch Terrorist:innen. Das erklärt auch ein Extremismus-Experte vom Verfassungsschutz: “Terrorismus verbreitet Angst und Schrecken, um gewisse Ziele zu erreichen. Das findet hier einfach nicht statt. Die Aktivist:innen, sei es von Extinction Rebellion oder auch die Letzte Generation, agieren im Sinne der Gewaltfreiheit. Das funktioniert im Sinne des zivilen Ungehorsams. Das passt nicht in unsere Arbeitsdefinitionen von Extremismus oder Terrorismus.”

Was ist Extremismus also wirklich? 

Beginnen wir mit Linksextremismus, der den Klima-Aktivist:innen mitunter vorgeworfen wird. Ziel des Linksextremismus laut Verfassungsschutz: die Schaffung einer ebenbürtigen Gesellschaft, die die Demokratie ablehnt und zur Durchsetzung ihrer Ideologie Gesetzesbrüche und Gewalt in Kauf nehme. 

Der Verfassungsschutz hat alle Formen des Extremismus im Blick. Sein Ziel: Den Staat Österreich und die Verfassung schützen. 
Über all die Jahre konnte der Verfassungsschutz feststellen: Die Tathandlungen der Linksextremen entsprechen rund einem Fünftel jener der Rechtsextremen. 2020  waren das 167 Tathandlungen mit erwiesenen oder vermuteten linksextremen Tatmotiven, 2021 waren es 119. 2021 konnten davon 7,6% aufgeklärt werden. 

Insgesamt kam es 2021 zu 144 Anzeigen mit linksextremistischem Hintergrund. Die allermeisten davon fielen auf Sachbeschädigung (102 Anzeigen nach §125StGB), schwere Sachbeschädigung wurde 18-mal angezeigt. 

Stark gesunken ist auch die Anzeigen-Zahl wegen Körperverletzung von 12 auf eine Anzeige. Die Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung sanken ebenfalls auf fast ein Viertel: von 21 auf 6. Gegen das Waffengesetz wurde 2021 nie verstoßen. 
 

Wer sind die Linksextremen?

Die Linksextremen haben kein einheitliches Gesicht nach außen. Ein Grund dafür ist unter anderem der Wunsch nach Herrschaftsfreiheit, weswegen sich die Gruppierungen auch nicht selbst hierarchisch organisieren. Sprachrohre der Organisation kristallisieren sich alleinig durch den Auftritt auf Social Media heraus. 

Die linksextremistische Szene ist in mehrere unterschiedliche ideologische Gruppierungen – von autonom-anarchistisch bis hin zu marxistisch/leninistisch – gespalten. Für die wirklich linksextremen Subgruppen gilt Gewalt als ein Mittel zum Zweck. “Geschädigte beziehungsweise Opfer dieser Taten sind meist politische Gegner wie Mitglieder von schlagenden studentischen Verbindungen (Burschenschaften), Aktivist:innen der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die als stärkste und populärste rechtsextreme Gruppierung gilt, aber auch staatliche Institutionen und deren Vertreter:innen, die ideologisch ebenfalls als Hauptfeind angesehen werden”, so der Verfassungsschutzbericht 2021. 

Viele Gruppenmitglieder sind nur kurzzeitig dabei und es herrscht ein reger Wechsel innerhalb Gruppierungen. An sich ist die linksextreme Szene in Österreich klein, international zwar vernetzt, aber in dieser Hinsicht keinesfalls professionalisiert. Beim Rechtsextremismus sieht das anders aus.
 

Was ist Rechtsextremismus?

“Der Begriff Rechtsextremismus wird als Sammelbezeichnung für politische Überzeugungen und Bestrebungen angesehen, die von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus geprägt sind und daher mit Inkaufnahme beziehungsweise Duldung von Gewalt erreicht werden sollen”, so der Verfassungsschutzbericht. 

“Die Anwendung von Gewalt in verschiedene Richtungen wird als legitimes Mittel angesehen”, so der Verfassungsschützer. Dies sieht man auch bei den einzelnen Tathandlungen, die im Verfassungsschutzbericht bzw. Sicherheitsbericht jährlich aufgeschlüsselt werden. Eine Tathandlung kann von mehreren Täter:innen verübt werden und auch aus mehreren einzelnen Delikten und daraus resultierenden Anzeigen bestehen. 

Die Zahl der Tathandlungen hat sich vor allem rund um den Zenit von Covid-19 erhöht: 2020 waren es 895, 2021 1053 Tathandlungen. Ein Treiber war die Pandemie. “Ich glaube, dass die Lage und die Entwicklungen im Extremismusbereich durch die Corona-Pandemie stark beeinflusst wurde. Das ergab einen Nährboden für Radikalisierung und Mitglieder-Anwerbung”. Die Ängste der Menschen wurden erkannt, genutzt und durch rechte Propaganda beantwortet. 

Besonders stark ist die Zahl der Anzeigen wegen des Verbotsgesetzes gestiegen  – von 801 auf 1045 in 2021. Auch die Zahl der Anzeigen wegen Körperverletzung sind 2021 von 10 auf 16 gestiegen. Ein Plus gibt es auch im Fall von Schwerer Nötigung (4) und gefährlicher Drohung (33). Den größten Anteil der Anzeigen macht aber der Delikt der Sachbeschädigung mit 241 aus, gefolgt von Delikten wegen Verhetzung. Gegen das Waffengesetz (§50) wurden 22 Anzeigen eingebracht. Insgesamt gingen 2021 1607 Anzeigen mit rechtsextremem Hintergrund ein – um 243 mehr als 2020. 

“Das Gefährdungspotenzial hat sich in den letzten fünf Jahren nicht allzu groß verändert. Rechtsextremist:innen stellen eine Gefahr für die Demokratie und die Bevölkerung dar”, erklärte der Experte vom Verfassungsschutz. 

Wer sind die Rechtsextremen?

Derzeit vermischen sich unterschiedliche rechtsextreme Gruppen. Führungspersönlichkeiten tauschen sich regelmäßig aus und treffen sich auf Demonstrationen. Dadurch stärken sie sich gegenseitig und vernetzen sich nachhaltig zu sogenannten “rechten Bedrohungsallianzen”, wie Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer in ihrem gleichnamigen Buch schreiben. In Österreich haben Rechtsextreme besonders enge Verbindungen zur FPÖ. 

Als Paradebeispiel für internationale Vernetzung gilt die Identitäre Bewegung. Die Identitäre Bewegung entstand als “Bloc Identitaire” Anfang der 2000er Jahre in Frankreich. 2012 wanderte die rechte Bewegung von Frankreich nach Österreich und daraufhin nach Deutschland. Weitere Fraktionen gibt es in Polen, Italien oder auch Tschechien. Die Identitäre Bewegung fiel in den letzten Jahren immer wieder medienwirksam auf, denn sie verstehen es, alten rechtsextremen Ideologien einen neuen Anstrich zu verpassen. “Die Identitäre Bewegung ist eine Bewegung, die bewusst moderner wirken will. Das merkt man sowohl am Auftritt als auch am Aussehen, an der Kleidung, an den Narrativen”, so der Experte vom Verfassungsschutz. 

Auch die Extremismusforscherin Julia Ebner beschreibt Martin Sellner, den bekanntesten Identitären in ihrem Buch “Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren” ähnlich: “Er trägt keine Springerstiefel und Hakenkreuz-Tattoos, sondern Ray Ban und T-Shirt”. Wörter und Begrifflichkeiten der alten Rechten verwenden neue Bewegungen selten. 

“Sie sprechen nicht von Rasse, sondern von der Kultur. Das ist alles ganz, ganz bewusst gewählt”, erklärt auch der Verfassungsschützer. Ziel dahinter: vor allem junge Menschen ansprechen. “Wenn ich dem ganzen einen neuen Anstrich gebe, es moderner mache, dann wirkt es wie ein Lifestyle, eine Bewegung. Das ist die Funktionsweise von diesen neurechten Gruppierungen”. 
 

Skandal der neuen Rechten 

Die Ausdrucksformen sowie geteilten Beiträge auf den sozialen Medien zeigen versteckte Gewaltbereitschaft als Mittel zum Zweck. Das zeigten unter anderem die Verbindungen zum Christchurch Attentäter, die 2019 aufgeflogen sind. Martin Sellner, damaliger Chef der Identitären Bewegung Österreich hat rund 1500 Dollar vom Attentäter bekommen, bevor dieser 50 Menschen tötete. Als Folge wurden der Verfassungsschutz und internationale Medien auf den Identitären Poster-Boy aufmerksam. Frühere Politik-Sympathisant:innen distanzierten sich zumindest zeitweise von der Identitären Bewegung. 
 

Wie ein Phönix aus der Asche: Die Österreicher (DO5)

Was macht man also, wenn man Image-Probleme hat? Das Ganze umbenennen und als etwas anderes verkaufen. Dadurch hat man gleich zwei Vorteile: Man wird auf den ersten Blick die negative Presse los und erweckt gleichzeitig den Anschein, dass es noch eine zweite, eigenständige rechtsextreme Bewegung gibt. Aus dieser Idee heraus sind 2020 “Die Österreicher” (DO5) geboren. Zwischen ihnen und der Identitären Bewegung gibt es große personelle sowie inhaltliche Überschneidungen. 

Martin Sellner räumt damit das Feld für zwei jüngere Männer. Die neue Doppelspitze der Identitären Bewegung besteht aus Gernot Schmidt, einem bekannten Wiener Burschenschafter aus dem aktivistischen Flügel der Identitären und Jakob Gunacker. Dieser steht an der Spitze der rechten Gruppierung “Die Österreicher” und ist inhaltlich für die rechte Website “Heimatkurier” verantwortlich. Gunacker hat Beziehungen zum deutsch-amerikanischen Reichsbürgersympathisanten, selbsternannten Wunderheiler und Verschwörungsideologen Bernd K. alias Leonard Codwell und seiner Gruppierung “Instinct Based Medicine System”. Dadurch könne laut Verfassungsschutzbericht 2021 ein Bezug zu staatsfeindlichen Gruppierungen vermutet werden.
 

Hauptfeindbild: Asylwerber:innen

DO5 soll dabei im Gegensatz zur Identitären Bewegung alle Menschen jeglicher Altersklassen ansprechen und vor allem die (internationale) Vernetzung in den Vordergrund rücken. Die Zahl 5 bezieht sich auf den “5-Punkte-Plan”, mit dem der sogenannte, von ihnen wahrgenommene, Bevölkerungsaustausch gestoppt werden soll. Forderungen: Alle Asylverfahren sollen neu überprüft werden, Familien von Flüchtenden sollen nicht nachkommen dürfen, kriminelle Asylwerber:innen müssten sofort abgeschoben werden, Obergrenzen und Re-Migrationsquoten sollen eingeführt werden und neu angekommene Flüchtende sollen einen Assimilationsvertrag unterschreiben müssen. Aktiv werden kann man in seiner Region ganz einfach per Mail oder Telegram-Beitritt. Aktionen inkludieren Flüchtlingsunterkünfte zu belagern, Bengalos zu zünden oder auch den Eingang einer Bücherei zuzumauern, weil später eine Drag-Queen eine Kinder-Lesung hält. 

Menschheit bewahren oder Menschen ablehnen?

Extremismus jeglicher Art ist in keiner Weise legitim oder gar wünschenswert. Es ist aber sowohl an den Fallzahlen als auch an der Schwere der Delikte klar: Rechtsextremist:innen stellen eine weitaus größere Bedrohung als Linksextremist:innen dar. Sie sind national wie international besser vernetzt, sie haben mehr Geld, ihre verübten Delikte sind schwerer und wesentlich häufiger und sie setzen Waffen öfter ein. 

Und was Umwelt-Aktivist:innen betrifft: Sie wollen den Planeten bewahren und versuchen, vermehrt Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu ziehen. Das alles im Rahmen der Gesetze und Demokratie. Wäre das wirklicher Linksextremismus, würden schon lange Benziner brennen.

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen
    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!