Die tote Katzen-Strategie zu wörtlich genommen: Wie man von unangenehmen Themen ablenkt
Was ist die „Dead Cat“-Strategie?
Ob in der Politik oder beim Streiten am Stammtisch: Wird es für dich unangenehm in einer Debatte? Dann gibt es eine Strategie, die dann fast immer funktioniert: die „Dead Cat“-Strategie.
Und das geht so: Angenommen, am Esstisch wird ernsthaft über ein unangenehmes Thema diskutiert. Wenn du da dazwischen einfach eine tote Katze auf den Tisch wirft, wird jeder über die tote Katze sprechen. Es ist völlig egal, ob die Leute am Esstisch entsetzt, angewidert, traurig, alarmiert oder was auch immer sind – sie reden über die tote Katze auf ihrem Esstisch. Das Ausgangs-Thema ist zumindest vorerst vergessen.
Kurz gesagt: Um von einer unangenehmen Wahrheit abzulenken, sprich eine noch unangenehme Sache aus.
Die tote Katze für Johnsons Strafe
Der ehemalige britische Regierungschef Boris Johnson hat diese Strategie perfektioniert. Ein Beispiel: Im April 2022 bekamen der Premierminister und seine Frau eine Strafe. Sie hatten die Covid-Gesetze gebrochen. Ausgerechnet in dieser Woche lässt seine Regierung ihren abenteuerliche Ruanda-Plan an die Öffentlichkeit sickern. Der besagt: Menschen, die nach Großbritannien flüchten, sollen in einen Flieger nach Ruanda gesetzt werden. Dort sollen sie jahrelang auf ihren Bescheid warten. Das verstößt gegen britisches und europäisches Gesetz und ist furchtbar zynisch.
Dieses Thema ist nichts anderes als die tote Katze, die wie aus dem Nichts auf den Tisch geworfen wird. Man muss sich darüber aufregen. Es geht gar nicht anders. Das Thema beherrscht dann wochenlang die Schlagzeilen. Ob am Ende je was dabei rauskommt oder nicht, ist nebensächlich. Wichtig ist, dass über die tote Katze und nicht das ursprüngliche Thema diskutiert wurde. Und das waren die Gesetzesbrüche des britischen Premiers und seines Umfelds.
Großbritannien überlegte, Katzen zu töten
Jetzt wurde die „tote Katze“ offenbar zu wörtlich genommen. Diskutiert wird über ein Interview, das ein enger Mitarbeiter des britischen Gesundheitsministers gegeben hat. Er war maßgeblich für die Covid-Bekämpfung in Großbritannien verantwortlich. Wie aus dem Nichts verrät er heute: Die konservative Regierung habe zu Beginn der Pandemie sogar darüber nachgedacht, alle Katzen in Großbritannien töten zu lassen
Der angebliche Plan war zwar wohl zu jeder Zeit völlig unrealistisch. Aber natürlich schreien die Leute auf. Fast jeder dritte Haushalt in Großbritannien wird von mindestens einer Katze bewohnt
Chief Mouser Larry nimmt es persönlich
Und eine der berühmtesten Katzen der Welt, ist Larry. Er ist „Chief Mouser“ – die Katze des Premierministers. Larry mauzte sogleich auf Twitter: Es sei schwierig, den Vorschlag nicht persönlich zu nehmen.
Hard not to take this personally https://t.co/z8QYcATfJw
— Larry the Cat (@Number10cat) March 1, 2023
Das Gesundheitssystem NHS bröckelt
Warum der Mitarbeiter des Gesundheitsministers das jetzt anspricht? Damit diesmal die wortwörtlich tote Katze die Debatte beherrscht. So wird von einigen noch viel unangenehmeren Dingen abgelenkt: etwa von toten Menschen. In Großbritannien sind über 219.000 Menschen an Covid gestorben.
Oder von einem zerfallenden Gesundheitssystem. Das NHS, der große Stolz des britischen Sozialstaates, wird seit Jahren von kaputt gespart und zerbricht an allen Ecken und Enden. Es gibt sogar für Notfälle lange Wartezeiten.
Gesundheitspersonal streikt
Das und die Teuerungskrise führen dazu, dass das Gesundheitspersonal wiederholt streikt. Zehntausende Pflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen, Ambulanzfahrer:innen, Medizintechniker:innen usw. gehen auf die Straße
Ihre Forderungen: Bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, die Rettung des Gesundheitssystems.
Die Macht der Katzen
Darüber will man lieber nicht reden. Dann lieber über tote Katzen. Die Frage ist nur, ob man die tote Katzen-Strategie so wortwörtlich hätte nehmen sollen. Die Tories scheinen zu unterschätzen, welche Macht Katzen über das Internet haben.