Depressive müssen neue Medikamente selbst bezahlen: “Gute Medizin hängt von Einkommen ab”
„Ich will schwere Nebenwirkungen nicht in Kauf nehmen“
Auf Vortioxetin setzt sie große Hoffnungen. Das Medikament soll angeblich weniger Nebenwirkungen haben und gegen depressionsbedingte Konzentrations- und Merkschwierigkeiten helfen. “Ich will schwere Nebenwirkungen nicht in Kauf nehmen. Auch psychisch kranke Menschen haben gute Lebensqualität verdient. Ich kann nicht nachvollziehen, warum eine gute medizinische Versorgung in Österreich vom Einkommen abhängt.”
Im Jahr 2015 zog der Hersteller des Antidepressivums bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Er wollte, dass Vortioxetin, das unter dem Namen Brintellix verkauft wird, in den Erstattungskodex des Verbands der österreichischen Sozialversicherung aufgenommen wird. Ohne Erfolg. Der Hauptverband argumentierte, dass ein “wesentlicher zusätzlicher therapeutischer Nutzen” gegenüber Alternativen nicht nachgewiesen werden konnte und bekam vor Gericht Recht.
Wirkung von Patientin zu Patient unterschiedlich
“Neue psychiatrische Medikamente werden nur selten in den Erstattungskodex aufgenommen. In den letzten Jahren ist meines Wissens nach leider kein Antidepressivum dazu gekommen”, sagt Christa Radoš. Sie ist im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und betreut selbst PatientInnen, die Vortioxetin nehmen. Das wirke anders als die weit verbreiteten Antidepressiva, Radoš bezeichnet den Wirkstoff deswegen als “psychiatrische Innovation”.
“Die Argumentation ist immer ähnlich: Dass ausreichend gute Medikamente am Markt sind und das neue Präparat den Wirkungsvorteil gegenüber diesen Medikamenten nicht nachweisen kann”, sagt Radoš. “Ich finde, diese Argumentation lässt vieles außer Acht.” Denn die Wirkung von Antidepressiva kann sich von Patientin zu Patient unterscheiden. Es gebe neben Vortioxetin auch andere Wirkstoffe, die bei den Nebenwirkungen verträglicher sind, diese hätten dann aber wieder andere Nachteile. “Worauf ich hinaus möchte: Je breiter das Spektrum der Therapiemöglichkeiten ist, desto besser können wir helfen. Aus jahrelanger Erfahrung kann ich sagen, dass noch jedes neue Medikament zumindest einigen schwer behandelbaren PatientInnen geholfen hat.”
Kurz gesagt: Die Medikamente sind statistisch gesehen vielleicht nicht besser, aber können für manche PatientInnen trotzdem besser funktionieren.
„Ich bin gewillt, mit der Krankenkassa zu streiten“
Frasl führt zumindest einen Teil des Problems darauf zurück, dass psychische Erkrankungen weiterhin ein Tabu sind. Im Gegensatz zu rein körperlichen Krankheiten würden sie weniger Ernst genommen. “Ich habe dein Eindruck, dass es auch wegen dem Stigma weniger Interesse daran gibt, die ideale Behandlungsform zu finden, sondern eher darum, die Betroffenen halbwegs wieder herzustellen und arbeitsfähig zu machen. Das merke ich auch daran, dass es zwar einfach ist, Antidepressiva verschrieben zu bekommen – ich aber die neuen selbst zahlen muss. Da rede ich noch gar nicht von kassenfinanzierten Therapieplätzen.”
Radoš weiß, dass die 106 Euro für viele PatientInnen viel Geld ist. Nicht alle können sich das leisten. “Das Problem setzt aber vorher an. Dem Großteil der PatientInnen wird das Medikament gar nicht angeboten. Vor allem in Kassenpraxen sind Arzneien, die man selbst bezahlen muss, wenig Thema.” Manchen PatientInnen entgeht also sogar die Möglichkeit, sich zu entscheiden. “Medikamente, die nicht erstattet werden, scheinen praktisch nicht auf.”
Es gibt aber auch eine gute Nachricht für Frasl: “Ich habe schon von einigen gehört, die sich die Kostenerstattung erstritten haben. Ich schaue jetzt mal, wie es mir mit dem neuen Wirkstoff geht und bin dann durchaus gewillt, mit der Krankenkassa zu streiten. Auch für jene, die nicht die Ressourcen dazu haben.”