print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt
Demokratie
Ungleichheit

"Die beste Strategie gegen Wohnungslosigkeit ist eine Wohnung"

Was ist eigentlich das beste Werkzeug, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen? Wohnungen, meint Elisabeth Hammer. Sie ist Geschäftsführerin bei der sozialen Einrichtung Neunerhaus, die 2012 das Projekt “Housing First” startete. Das heißt: Erst bekommen die Menschen eine Wohnung, dann werden ihre anderen Probleme angegangen.
Im Interview mit MOMENT erklärt Hammer, warum der Ansatz so gut funktioniert und wie er die Soziale Arbeit verändert.

MOMENT: Was ist das Besondere am Prinzip Housing First?

Elisabeth Hammer: Bei Housing First ist der erste Schritt die eigene Wohnung. Denn die beste Strategie gegen Wohnungslosigkeit ist eine Wohnung. Zusätzlich unterstützen wir die MieterInnen mit Sozialarbeit. Grundsätzlich hat Wien eine gut ausgebaute Wohnungslosenhilfe. Viele Angebote basieren allerdings auf dem Stufenmodell. Das heißt: Man ist davon ausgegangen, dass Menschen, die lange keine Wohnung hatten, sich erst wieder annähern müssen. Dazwischen gibt es etwa Übergangswohnungen und am Ende steht dann erst die eigene Wohnung mit eigenem Mietvertrag.
 

Und Housing First funktioniert besser als das Stufenmodell?

Ja! Das wissen wir aus anderen europäischen Ländern und von unserem eigenen Projekt. Rund 96 Prozent der Mietverträge, die seit 2012 geschlossen wurden, sind immer noch aufrecht. Das ergibt auch Sinn. Eine Wohnung heißt Stabilität, Privatsphäre. Eine Wohnung alleine löst keine gesundheitlichen Probleme, auch keine finanziellen. Aber die Wohnung gibt den Menschen das Vertrauen in sich selbst zurück, sodass sie auch in anderen Bereichen vorankommen können.

Die Menschen, die wir auf der Straße als wohnungslos erkennen, machen nur einen kleinen Teil aus. Was sagen die Zahlen?

Der Fonds Soziales Wien zählte im letzten Jahr rund 11.000 Personen, die ein Angebot der Wiener Wohnungslosenhilfe in Anspruch genommen haben. Das sind Notschlafstellen, Übergangseinrichtungen und Housing First. Personen, die wir auf der Straße als obdachlos entziffern können, sind die Spitze des Eisbergs, die sichtbarste Armut. Wir wissen, dass es in Wien rund 1.400 Plätze für sie in Notquartieren gibt. So wird in etwa das Verhältnis aussehen.

Bei euch bekommen Menschen eine Wohnung, auch wenn sie psychisch krank sind oder eine Sucht haben. Sie müssen nicht alle Bereiche in ihrem Leben im Griff haben. Eine Einschränkung gibt es aber. Man muss ein eigenes Einkommen haben, um die Miete zu bezahlen. Das schließt doch wieder einige Leute aus.

Das ist richtig. Bei Housing First verhelfen wir zu einem ganz normalen Mietverhältnis, bei der die Person alle Rechte und Pflichten trägt, die sich aus dem Vertrag ergeben. Die Neunerhaus-Tochter Neunerimmo bemüht uns, sehr günstige Wohnungen zu vermitteln. Für eine Person sind das um die 300 Euro. Es stimmt, dass Housing First, so wie es aktuell bei uns konzipiert ist, nicht die Lösung ist für obdachlose Menschen ohne eigenes Einkommen.

Wohnungen für 300 Euro sind in Wien nicht unbedingt häufig.

In Wien wird zwar wieder mehr gebaut, aber nicht im billigsten Segment. Diese Wohnung sind rar. Wir sind in Kontakt mit gemeinnützigen Wohnbauträgern. Aktuell haben wir 25 KooperationspartnerInnen.

Wohnungslosigkeit ist ein Tabuthema, das mit Vorurteilen behaftet ist. War das ein Problem bei der Partnersuche?

Am Anfang mussten wir durchaus Überzeugungsarbeit leisten. Mittlerweile haben wir die Zahlen, die zeigen, wie stabil die Mietverhältnisse sind. Das hilft. Außerdem vermitteln wir, dass wir als SozialarbeiterInnen einerseits für die MieterInnen da sind, aber auch für die Hausverwaltung, wenn es ein Problem gibt.

Ändert sich da gerade der Ansatz in der Sozialen Arbeit?

Ganz richtig. Früher hat man gesagt, man darf den Schlüssel zu einer Wohnung nie aus der Hand geben. Das ging es um Kontrolle, um das Wohlverhalten der MieterInnen zu sichern. Zu Beginn von Housing First gab es schon Vorbehalte in der Sozialen Arbeit. Das ändert sich gerade. Wir haben keine Schlüssel, kontrollieren nicht. Wir leisten unsere Arbeit auf Augenhöhe.

In anderen Einrichtungen gibt es da strengere Regeln.

Die Hausordnungen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe haben sich in den letzten Jahrzehnten durchaus liberalisiert. Da waren wir auch Vorreiter mit der Einrichtung Hagen-Müller-Gasse, wo wir früh Alkoholkonsum erlaubt haben, genauso wie Haustiere und BesucherInnen.

Die Stadt Wien geht aber die andere Richtung. 2018 hat sie Alkohol am Praterstern verboten.

Wir kennen die Stadt Wien durch enge Zusammenarbeit auch von einer anderen Seite. In diesem Punkt ist unser Zugang jedoch ein anderer.


 

Zur Person: Elisabeth Hammer ist Geschäftsführerin von Neunerhaus, Sozialwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin. Darüber hinaus ist sie Obfrau der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungshilfe, kurz BAWO.

 


    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!