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Arbeitswelt
Ungleichheit

Ein zu niedriges Arbeitslosengeld führt zu niedrigeren Löhnen und anderen Problemen

Ein niedriges Arbeitslosengeld fördert die Verbreitung von Armut, schwächt das Konsumverhalten, schädigt somit die Wirtschaft und führt zu sozialen Problemen. Fünf Fragen an einen Arbeitsmarktexperten. 

 

Ein höheres Arbeitslosengeld hält die Menschen eher davon ab, sich einen neuen Job zu suchen. Das behauptet jedenfalls der neuen Arbeitsminister Martin Kocher. Momentum-Chefökonom Oliver Picek widerspricht. Ein niedriges Arbeitslosengeld andererseits drückt die Löhne, verbreitert die Armut und schwächt die Wirtschaft. Fünf Fragen an den Experten.

#1 Ist ein niedriges Arbeitslosengeld gut für den Arbeitsmarkt?

Oliver Picek: Nein. Die Sozialleistungen haben immer weniger Einfluss auf die Jobsuche, je länger man arbeitslos ist. In den ersten Monaten spielt die Höhe des Arbeitslosengeldes vielleicht noch eine Rolle, später nicht mehr. Dann entscheiden ganz andere Faktoren, zum Beispiel die psychische Gesundheit oder die familiäre Situation. Das sagt eine schwedische Studie. Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts hat gezeigt, dass es in Österreich gute Maßnahmen für die Jobsuche gibt. An Anreizen fehlt es also nicht. Derzeit liegt das Problem am Arbeitsmarkt an der Jobknappheit und nicht am Arbeitslosengeld. 

#2 Warum sollte das Arbeitslosengeld in Österreich höher sein?

Picek: Weil das Arbeitslosengeld in Österreich nicht armutsfest ist. Am Beginn beträgt der Grundbetrag 55 Prozent des Nettoeinkommens. Wenn man dann auf die Notstandshilfe angewiesen ist, sind es nur mehr etwa 52 Prozent. Das liegt deutlich unter der Armutsgrenze. Außerdem gibt es derzeit ein volkswirtschaftliches Argument: Wir erleben durch die Wirtschaftskrise eine Konsumschwäche und durch ein höheres Arbeitslosengeld würde es mehr Konsum geben. So könnte die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnen. 

#3 Welche sozialen Auswirkungen hat ein niedriges Arbeitslosengeld? 

Picek: Es schwächt die Verhandlungsmöglichkeiten von potenziellen ArbeitnehmerInnen. Wenn sie durch ein zu geringes Arbeitslosengeld unterbezahlte Arbeitsstellen annehmen müssen, dann führt das zu niedrigeren Löhnen. Das sieht man in Deutschland mit dem Hartz-4-System: Hier gibt es einen sehr großen Niedriglohnsektor im europäischen Vergleich. Außerdem führt es zu Armut und sozialen Problemen.

#4 Wie wäre es mit einem degressiven Arbeitslosengeld, das bei 70 Prozent anfängt und auf 55 Prozent abfällt?

Picek: Wenn damit mehr Ausgaben für Arbeitslose verbunden sind, wäre es ein Fortschritt. Wenn nicht, würden manche Arbeitslose profitieren und andere würden aus dem System fallen. Anders kann sich die Rechnung nicht ausgehen. Ich habe bisher von niemandem die politische Forderung gehört, dass man mehr Geld für die Arbeitslosenversicherung ausgeben soll. Wenn in so ein Modell also nicht finanziell investiert wird, wird jemand verlieren. 

#5 Wie kann man die Arbeitslosenversicherung besser gestalten?

Picek: Es gibt eine Menge Unternehmen, die ihre ArbeitnehmerInnen bei schlechter Auftragslage kündigen. Ein paar Monate später stellen sie sie wieder ein. Trotzdem zahlen sie immer den gleichen Beitrag an Arbeitslosenversicherung ein. Die Versicherungsbeiträge müssten laut ExpertInnenseite also erfahrungsbasiert sein. Das heißt, dass die Beitragshöhe vom Kündigungsverhalten des Unternehmens abhängig sein muss. Wer seine ArbeitnehmerInnen öfter oder gar regelmäßig kündigt, soll mehr einzahlen. Immerhin verursachen die Betriebe mit diesem “Zwischenparken” beim AMS Kosten in der Höhe von rund einer halben Milliarde Euro pro Jahr.  

 

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