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Arbeitswelt

Eine Alleinerzieherin erzählt: "Muttersein hat mich radikalisiert"

Andrea, 37, erzieht ihre Tochter allein. Die Partnerschaft ist in die Brüche gegangen. Die Alleinerzieherin erzählt uns, wieso es mindestens fünf Menschen braucht, um ein Kind großzuziehen und wie sie sich die ideale Welt vorstellt.

 
Andrea, 37, erzieht ihre Tochter allein. Die Partnerschaft ist in die Brüche gegangen. Für „Was ich wirklich denke“ erzählt sie, wieso es mindestens fünf Menschen braucht, um ein Kind großzuziehen und wie sie sich die ideale Welt vorstellt.

Meine Tochter ist 17 Monate alt. Seit drei Monaten bin ich Alleinerzieherin. Ich habe mich aber schon während der Schwangerschaft allein gefühlt. Der Vater und ich haben uns noch nicht gut gekannt, das Kind war nicht geplant. Mir ist ständig übel gewesen, aber er war mir keine Hilfe. Ich wollte mich eigentlich schon damals trennen, aber hatte Angst davor Alleinerzieherin zu sein.

Ich weiß, wie das ist. Meine Mutter ist auch allein gewesen. Mein Vater wollte kein Kind, sie mich aber nicht abtreiben. Also hat er uns verlassen. Meine Mutter hatte es schwer. Das wollte ich für mein Leben nicht, aber 14 Monate nach der Geburt meiner Tochter hat es mir gereicht. Mein Freund und ich haben uns getrennt.

„Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass es ihr bei ihm gut geht“

Seit der Trennung versuche ich, die Zeit mit unserer Tochter zwischen uns aufzuteilen. Das ist wirklich schwierig. Der Vater hat sich lange nicht an Vereinbarungen gehalten, er war unzuverlässig. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass es ihr bei ihm gut geht.

Ich habe ihm angedroht, die Besuchszeiten vor Gericht regeln zu lassen. Seitdem hat er gemerkt, wie sehr er seine Tochter vermisst und bemüht sich. Wir haben uns jetzt auf zwei Tage die Woche geeinigt, das funktioniert bisher ganz gut. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die Zeit auf 50:50 aufteilen. Dazu muss ich aber darauf vertrauen können, dass meine Tochter auch wieder gesund und happy bei mir Zuhause ankommt.

Tausend Euro zum Leben

Am Anfang der Schwangerschaft ist mein Arbeitsvertrag ausgelaufen. Ich habe also von Kinderbetreuungsgeld und Familienbeihilfe gelebt. Zuletzt waren das rund 1.000 Euro im Monat. Jetzt endet der Bezug. Gerade habe ich mich beim AMS arbeitslos gemeldet. Sie haben mich gleich in einen Kurs für den Wiedereinstieg ins Berufsleben für Frauen gesteckt, dort muss ich 16 bis 24 Stunden in der Woche hin und bekomme wahrscheinlich wieder um die 1.000 Euro. Während dieser Zeit muss meine Tochter betreut werden, sonst verliere ich das Arbeitslosengeld. Wie ich zwischen Kurs und meinem Kind eine Arbeit finden soll, weiß ich beim besten Willen nicht.

Aufstand!

Muttersein hat mich radikalisiert. Ich weiß jetzt, was es heißt, dass die Welt den Frauen die Hauptverantwortung für Kinder und Familie gibt. Diese Zustände von Erschöpfung, bei denen ich dachte, ich breche zusammen, ich sterbe, ich muss davonlaufen. So etwas habe ich davor noch nie erlebt.

Ich bin Teil des politischen Zusammenschlusses „Aufstand der Alleinerziehenden“. Wir sind eine kleine Gruppe von Frauen, die gegen Ungerechtigkeiten protestieren. Wir sind gegen den 12-Stunden-Tag auf die Straße gegangen und setzen uns dafür ein, dass Familien genug zum Leben haben.

 

(c) Aufstand der Alleinerziehenden

 

Medienberichte über AlleinerzieherInnen machen oft Opfer aus uns. Aber wir sind selbstbestimmte Menschen. Man sollte auch zeigen, was wir schaffen.

Ich bin froh, meine Tochter zu haben. Ich hätte sogar gerne mehr Kinder, wenn die Welt, in der wir leben, anders wäre.  Wenn die Verantwortung nicht mehr auf den Schultern von ein oder zwei Menschen lasten würde. Deswegen wünsche ich mir ein Umdenken. Wir sollten Kinder zusammen in der Gemeinschaft großziehen. Aber schon Wohnungen müssten dazu komplett anders gebaut werden: mit vielen Gemeinschaftsräumen, Spielräumen für Kinder, privaten Bereichen mit Zimmer, Kochnische und Bad.

„Die volle Verantwortung liegt bei mir“

Gerade wohne ich mit einer Mitbewohnerin zusammen. Sie macht viel im Haushalt, kocht und geht einkaufen. Dafür bin ich sehr dankbar. Es ist anstrengend, alleine mit dem Kind einzukaufen. Meine Mutter betreut meine Tochter zwei Mal die Woche, oft auch spontan, was sehr hilfreich ist. Dann gibt es noch die Mutter eines Freundes, bei ihr verbringt meine Tochter auch zwei Mal in der Woche den Nachmittag.

Ich bin froh, dass ich diese Unterstützung habe. Aber die volle Verantwortung liegt trotzdem bei mir. Ich glaube, wenn die Kinderbetreuung entspannt für alle ablaufen soll, sodass nicht nur die Grundbedürfnisse gedeckt sind, braucht man fünf Personen. Mindestens.

Zeit mit Kindern zu verbringen ist wunderschön und gleichzeitig emotional und körperlich anstrengend. Alleine umso mehr. Wenn ich gestresst bin oder kaum geschlafen habe, bin nicht gut drauf. Für das Kind will ich aber glücklich wirken und sein. Meine Tochter verdient eine schöne Kindheit.

 

*Um ihre Geschichte frei erzählen zu können, hat Andrea einen neuen Namen bekommen. In Wirklichkeit heißt sie anders.

 

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