Warum gewinnen hohe Einkommen bei der Steuerreform mehr?
Steuern zahlen, das muss jeder Mensch in Österreich. Verstehen, wie sie sich berechnen aber nicht. PolitikerInnen können darauf fast zählen, wenn sie Steuerreformen anpreisen, dass auch JournalistInnen damit ihre Probleme haben.
So behauptete etwa heute.at in der vergangenen Woche mit einer Grafik etwas Falsches, das zum Spin der Regierung passt. Die niedrigen Grenzsteuersätze werden stärker gesenkt, also entlasten sie Menschen mit niedrigen Einkommen mehr – so die fehlerhafte Logik.
Hier die Grafik von heute.at, die in mehreren Artikeln online verwendet wurde. (Update: 23.6.2021 – „heute.at“ hat die fehlerhafte Grafik nach unserer Kritik offenbar korrigiert.)
heute.at zeigte einige häufige Fehler bei der Einschätzung und Berechnung von Steuerleistung. Sie hatte hierbei nicht nur vergessen, die Sozialversicherungsbeiträge vom Brutto-Einkommen abzuziehen, und kommt dadurch auf viel zu hohe Zahlen. Das Medium tat sich wie viele auch schwer damit, Steuerstufen zu verstehen. Das Ergebnis gefiel dem Kanzler und Finanzminister mit Sicherheit. Die Reform scheint damit sozialer, als sie wirklich ist.
Denn natürlich profitieren hohe Einkommen in absoluten Zahlen mehr von den Senkungen. Denn die niedrigen Steuerstufen gelten natürlich auch für Menschen mit hohen Einkommen.
Die Steuerstufen in Österreich sehen so aus:
Die höheren zwei bis drei Steuerstufen betreffen in Österreich übrigens so gut wie niemanden. Reiche Menschen haben in der Regel andere Einkunftsarten.
Steuerstufen und Grenzsteuersätze: Wie funktioniert die Einkommensteuer?
Was bedeutet das und wie funktioniert das? Keine Angst, das System ist leichter zu verstehen, als es durch die vielen Zahlen zuerst scheint.
Zuerst: Es wird nicht das Brutto-Einkommen versteuert. Zuerst werden davon die Sozialversicherungsbeiträge und anderer Steuererleichtungen abgezogen. Das was dann übrig bleibt, ist meist deutlich weniger. Man nennt es „Steuerbemessungsgrundlage“ und die wird dann versteuert.
Und das geht dann zum Beispiel so: Wer auf diese Weise im Jahr 15.000 Euro versteuern soll, fällt in die erste Steuerstufe. Denn die beginnt bei 11.000 Euro und endet bei 18.000 Euro.
Anders als viele annehmen, werden dadurch aber nicht die kompletten 15.000 Euro mit 20% besteuert, sondern nur der Teil, der 11.000 Euro übersteigt. Die Steuerleistung ist dann 800 Euro im Jahr (das sind 20% von 4.000 Euro).
Was passiert, wenn ich in eine höhere Steuerstufe komme?
Wer im Jahr hingegen 20.000 Euro verdient, fällt in die zweite Steuerstufe. Die beginnt bei 18.000 Euro und endet bei 31.000. Auch hier gilt: Nicht das ganze Einkommen wird künftig mit 30% besteuert, sondern nur der Teil über 18.000 Euro. Also in dem Fall 2.000 Euro.
Zusätzlich werden aber natürlich auch die Einkommensteile zwischen 11.000 und 18.000 Euro besteuert – aber eben mit dem Steuersatz der ersten Stufe. Das heißt: 20% von 7.000 Euro zusätzlich zu den 30% von 2.000 Euro.
Und so geht das in jeder Steuerstufe weiter. Egal in welche Steuerstufe man aufsteigt, man ist auch von den niedrigeren betroffen. Und gewinnt damit auch bei der Senkung der niedrigeren.
Wer also zum Beispiel 100.000 Euro im Jahr verdient, profitiert künftig von der Senkung des ersten Grenzsteuersatzes (um 5 Prozentpunkte), des zweiten Grenzsteuersatzes (um 5 Prozentpunkte) und des dritten Grenzsteuersatzes (um 2 Prozentpunkte).
Wie kleinen Einkommen wirklich mehr bleiben könnte
Wer einfach nur Grenzsteuersätze senkt, kann damit nicht bei kleineren Einkommen mehr Geld am Konto landen lassen als bei größeren. Das ist unmöglich. Hohe Einkommen gewinnen dabei immer mindestens genauso viel – meist sogar mehr.
Wer bei einer Reform der Einkommenssteuer wirklich will, dass bei niedrigen Einkommen mehr Geld als bei hohen Einkommen bleibt, hat aber Möglichkeiten.
Man könnte zum Beispiel die Steuersätze der höheren Steuerstufen gleichzeitig anheben. Oder die Steuerstufen schneller ansteigen lassen. Beides passiert bei der aktuellen Reform nicht.
Die Wahrheit über die Entlastungen sieht also vollkommen anders aus, als die „heute“ das darstellt – und die Regierung das gerne unterstellt. Menschen mit hohen Einkommen profitieren in Wahrheit mehr.
Diese Grafik des Momentum Instituts zeigt, wie viel weniger Steuer man nach Einkommen künftig im Monat wirklich leistet.
Eine andere Möglichkeit ist, den niedrigen Einkommen einen Bonus zu zahlen – etwa eine Negativsteuer. Das würde den vielen Menschen helfen, die zu wenig verdienen, um überhaupt Steuern zu zahlen. Das hat die Regierung tatsächlich im Laufe dieser Reform getan, allerdings in einem kleinen Ausmaß. Es ändert an der Aussage nichts.
Mehr Einkommen, weniger Geld am Konto wegen der Steuer? Auch das ist ein Irrtum
Dieses nicht völlig einfach zu verstehende System der fortschreitenden Steuerstufen und Grenzsteuersätze ist übrigens auch der Grund, warum es noch einen anderen häufigen Irrtum gibt.
Wer mehr verdient, fällt in eine höhere Steuerstufe. Viele Menschen glauben deshalb, dass ihnen am Ende weniger Geld übrig bleibt, weil sie ja „mehr Steuern“ zahlen. Weil die höhere Steuerstufe aber ja immer nur das zusätzliche Einkommen betrifft, kann das nicht sein. Einerseits profitiert man von mehr Einzahlungen in die Sozialversicherungen. Man bekommt dann etwa eine höhere Pension und im Zweifelsfall ein höheres Arbeitslosengeld.
Und: mehr Einkommen zu haben, wird immer auch zu mehr Geld am Konto führen. Also gilt bei der nächsten Gehaltsverhandlung: keine Angst vor mehr Einkommen.