print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Kapitalismus
Ungleichheit

Besser reich geboren? Wie 100.000 Euro Starthilfe dein Leben prägen

Besser reich geboren? Wie 100.000 Euro Starthilfe dein Leben prägen
Bereits 100.000 Euro Starthilfe machen einen riesigen Unterschied. Über den Erbreichtums-Effekt. Foto: Fantasista von Getty Images via canva
Wer wohlhabende Eltern hat, bekommt ein Sprungbrett, das anderen verwehrt bleibt. Dabei machen bereits 100.000 Euro einen riesigen Unterschied. Über den "Erbreichtums-Effekt" und warum in Österreich die Startbedingungen extrem unterschiedlich sind.

Thomas und Michael haben vieles gemeinsam: Beide sind 24 Jahre alt, haben einen Master in Informatik und starten gerade in ihren ersten Vollzeitjob. Ihr Einstiegsgehalt: rund 4.700 Euro brutto im Monat, das sind etwa 3.055 Euro netto. Beide sind motiviert und freuen sich auf ihren Karrierestart – eigentlich beste Voraussetzungen für ein erfolgreiches Berufsleben. Doch einen Unterschied gibt es: Thomas’ Eltern können ihren Sohn zu Beginn seiner Berufslaufbahn noch ein wenig unterstützen. Sie schenken ihm 100.000 Euro Kapital. Michael hingegen bekommt keine finanzielle Starthilfe von zuhause.

Thomas und Michael starten nicht auf derselben Linie

Diese 100.000 Euro Vorsprung verändern alles. Beide bleiben die ersten beiden Jahre nach dem Berufseinstieg zuhause wohnen – mietfrei. So können sie viel sparen. Gemeinsam mit dem Geld der Eltern hat Thomas so schnell genug Eigenkapital zusammen, um sich mit 30 den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen: Er nimmt einen Kredit auf und kauft eine Eigentumswohnung um 300.000 Euro. Fortan fließt seine monatliche Zahlung für Wohnraum in das eigene Vermögen – in Zinsen und Kreditrückzahlung für die kleine Wohnung, die ihm später gehören wird. 

Michael kann davon nur träumen. Nach zwei Jahren hat er zwar etwas auf der hohen Kante, doch für eine Wohnung reicht es bei weitem nicht. Die Ersparnisse reichen nämlich nicht für einen Kredit. Also muss er sich eine Mietwohnung suchen. Monat für Monat gehen rund 1.000 Euro an seinen Vermieter – Geld, das Michael nicht sparen kann. Während Thomas als Wohnungseigentümer schon von Wertzuwächsen am Immobilienmarkt profitiert, sieht Michael mit jedem Jahr die Kaufpreise weiter davonlaufen. Sein Erspartes kann mit den Immobilienpreisen nicht Schritt halten.

Schon nach wenigen Jahren unterscheiden sich ihre Leben: Thomas hat durch die Hilfe seiner Eltern ein finanzielles Polster und Eigentum, das ihm Sicherheit und Optionen gibt. Michael hingegen beginnt ohne Netz im Rücken und bleibt in der Mietwohnung. 

Unverhofft arbeitslos? Thomas kann so eine Durststrecke locker überbrücken – zur Not helfen die Eltern nochmal aus. Michael müsste sofort schauen, wie er Miete und Lebenshaltung weiter bezahlen kann. Familie gründen? Thomas kann sich mit Wohnung und Erspartem früher Kinder leisten, Michael schiebt den Plan mangels Reserve eher auf. Karriere-Risiko? Thomas könnte sich mit dem Startkapital vielleicht sogar selbstständig machen oder ein riskanteres Jobangebot annehmen – Michael muss eher auf Nummer sicher gehen. 

Kurz: Thomas und Michael starten nicht auf derselben Linie. Die 100.000 Euro haben ihre Startbedingungen auseinandergerückt wie ein Startvorsprung in einem Wettlauf.

Der Unterschied zwischen Thomas und Michael steht stellvertretend für eine Entwicklung, die viele kennen. Die Momentum-Ökonomin Barbara Schuster nennt das den „Erbreichtums-Effekt“ – also jener Effekt, durch den frühe Elternhilfe bei Vermögen und Chancen eine große Lücke reißt. Er macht sich auf viele verschiedene Arten bemerkbar. Am Ende bleibt: Wer wohlhabende Eltern hat, bekommt ein Sprungbrett, das die Nachkommen weniger begüterter Familien nicht haben. In Österreich ist diese Kluft besonders groß, denn Vermögen und Erbschaften sind hier extrem ungleich verteilt.

Erben verstärkt die Ungleichheit

Österreich weist die höchste Vermögenskonzentration der Eurozone auf. Das reichste Prozent der Haushalte besitzt mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens – Tendenz steigend. Erbschaften sind nichts anderes als der Startvorteil, den Thomas in dieser Überlegung hat. Sie treiben diese Ungleichheit weiter an. Und sie sind noch ungleicher verteilt als das Vermögen selbst. Mehr als die Hälfte aller vererbten Summen landet bei den reichsten 5 Prozent der Bevölkerung. Die ärmere Hälfte der österreichischen Haushalte erhält zusammen gerade einmal rund 4 Prozent des Erbkuchens

Wer reich geboren ist, erbt also häufiger und vor allem unvergleichlich mehr. Bei den Top-Vermögenden erhält so gut wie jeder Haushalt etwas. Im Schnitt werden hier rund 1,5 Millionen Euro an Vermögen übertragen. In den ärmsten 20 Prozent hingegen macht nur etwa jeder fünfte Haushalt überhaupt eine Erbschaft, und wenn, dann durchschnittlich gerade einmal 33.000 Euro. Die finanzielle Herkunft entscheidet somit in vielen Fällen darüber, wer sich ein Vermögen aufbauen kann und wer nicht.

Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren sogar noch verstärken. In Österreich stehen wir vor der größten Vermögensweitergabe der Geschichte: Schon jetzt werden jedes Jahr rund 20 Milliarden Euro vererbt – steuerfrei. 

Innerhalb der nächsten 25 Jahre wird sich diese jährliche Summe auf etwa 40 Milliarden Euro verdoppeln. Insgesamt würden bis 2050 über 800 Milliarden Euro an Vermögen den Besitzer wechseln. Immer mehr Geld wird so leistungslos und unversteuert von Generation zu Generation weitergereicht. Aber eben nicht an die ganze Generation. Über die Hälfte dieses zukünftigen Erbvolumens bleibt bei den reichsten 5 Prozent der Haushalte. Die ohnehin reiche Oberschicht wird also noch reicher, während unten kaum etwas ankommt.

Wie Erben die Immobilienpreise antreibt

Die steigende Vermögensungleichheit hat Folgen, die weit über persönliche Schicksale hinausgehen. Denn je größer das Vermögen weniger Menschen wird, desto stärker steigt der Druck auf den Immobilienmarkt. Wohlhabende Erben investieren ihr Geld besonders häufig in Immobilien – sei es als sichere Geldanlage oder als Anlageobjekte, die dann teuer vermietet werden. Diese Nachfrage lässt die Preise für Wohnungen und Häuser in die Höhe schnellen. Für Normalverdiener:innen, die ihr Zuhause aus dem laufenden Einkommen finanzieren müssen, werden Immobilien damit zunehmend unerschwinglich. Der Startvorteil von Thomas wird also sogar zu einer neuen Hürde für Michael.

Und dann sogar zur Belastung. Denn das ist nicht alles: Wenn der Kaufpreis für Wohnungen und Häuser explodiert, steigen zwangsläufig auch die Mietpreise. Immobilienbesitzer:innen erwarten höhere Renditen auf ihr investiertes Kapital – Kosten, die sie direkt an die Mieter:innen weitergeben. Michael zahlt nun vielleicht monatlich mehr dafür, in der Wohnung von Thomas leben zu können. So schaukeln sich Immobilienpreise und Mieten gegenseitig nach oben, getrieben von der wachsenden Konzentration des Vermögens in den Händen weniger. Für Menschen ohne Vermögen im Hintergrund verschärft sich damit der Druck gleich doppelt: Eine eigene Wohnung zu kaufen wird unrealistisch – und das Wohnen zur Miete frisst immer größere Teile des monatlichen Einkommens auf.

Die Folge: Wer schon Vermögen besitzt, gewinnt weiter hinzu, während jene, die keine finanziellen Reserven haben, immer mehr für Wohnen bezahlen müssen. Auch hier gilt: Ohne eine effektive Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wird sich diese Spirale kaum stoppen lassen.

Arbeit hoch besteuert, Erbe steuerfrei

Trotz dieser Schieflage verzichtet Österreich bis heute auf eine Erbschaftssteuer – sie wurde 2008 abgeschafft. Seitdem gilt: Egal ob jemand 10.000 Euro oder 10 Millionen Euro erbt, der Staat kassiert keinen Cent. Löhne und Gehälter hingegen werden in Österreich kräftig besteuert. Selbst Durchschnittsverdiener:innen müssen rund ein Drittel ihres Einkommens an Lohnsteuer und Sozialabgaben abführen; Besserverdienende zahlen sogar noch mehr. Das heißt: Wer arbeitet, wird stark zur Kasse gebeten – wer hingegen ein Vermögen in die Wiege gelegt bekommt, bleibt unbehelligt. 

Tatsächlich holt sich der österreichische Staat den allergrößten Teil seiner Einnahmen von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen – über Einkommenssteuern und Umsatzsteuer. Vermögenssteuern tragen dagegen kaum etwas bei: Nur rund 1,4 Prozent des gesamten Steueraufkommens stammt aus der Besteuerung von Vermögen. Kaum ein anderes Land in der OECD besteuert Vermögen so gering wie Österreich

Steuerlich bevorzugt sind hierzulande vor allem große Erbschaften, Immobilienbesitz und Finanzvermögen – und das verschärft die Ungleichheit zusätzlich. Selbst OECD und Internationaler Währungsfonds (IWF), kritisieren seit Jahren, dass Vermögende in Österreich zu wenig zum Steueraufkommen beitragen. Diese Institutionen empfehlen der Republik daher unisono, endlich verstärkt Vermögen zu besteuern und insbesondere die Erbschaftssteuer wiedereinzuführen. Auch in der heimischen Bevölkerung ist der Ruf nach mehr Gerechtigkeit laut – Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit für die Besteuerung großer Erbschaften ist.

Dabei würde eine klug gestaltete Erbschaftssteuer nicht „den kleinen Häuslbauer“ treffen, sondern ausschließlich große Vermögen. Modelle mit hohen Freibeträgen sind möglich: Würde man etwa jeden Nachlass bis 1 Million Euro steuerfrei stellen, wären nur die reichsten 2 Prozent der Haushalte überhaupt betroffen. 98 Prozent aller Erbfälle – vom Sparbuch der Großeltern bis zur Eigentumswohnung der Eltern – würden geschont.

Die Angst, dass der Staat einem den Besitz der Oma wegnimmt, ist also völlig unbegründet. Eine Erbschaftssteuer mit hoher Freigrenze würde einzig und allein die wirklich großen Erbschaften betreffen – und damit jene Menschen stärker heranziehen, die es sich am leichtesten leisten können. Angesichts der Schieflage im Steuersystem wäre das ein wichtiger Schritt, um die Belastung gerechter zu verteilen.

Damit Herkunft nicht Schicksal ist

In Österreich hängt der Lebenserfolg von jungen Menschen oft stärker von der Brieftasche ihrer Eltern ab als von ihrem Ehrgeiz oder Talent. Die Geschichte von Thomas und Michael macht deutlich: Die finanzielle „Hilfe der Eltern“ ist ein zentraler Hebel der Chancenungleichheit. Wenn Leistung statt Geburtsglück zählen soll, dürfen wir diese extreme Kluft nicht weiter vergrößern. Thomas müsste für seine vergleichsweise kleine Erbschaft in jungen Jahren keine Steuer zahlen. Wenn seine Kinder später von ihm ein Vermögen jenseits von einer Million Euro Nettovermögen erben, wären sie hingegen steuerpflichtig. 

Eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer – mit ausreichend hohen Freibeträgen – wäre damit ein klares Signal für mehr Fairness. Sie würde die leistungslose Millionen-Vermögensweitergabe ein Stück weit bremsen und dringend benötigte Einnahmen generieren. 

Dieses Geld ließe sich gezielt für mehr Chancengerechtigkeit einsetzen. So könnten die Erträge aus einer Erbschaftssteuer direkt den Aufstiegsmöglichkeiten derjenigen zugutekommen, die kein finanzielles Polster in die Wiege gelegt bekommen haben. 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!