print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Demokratie

„Es war pure Machtdemonstration”: Anwesende über den Polizei-Einsatz am Peršmanhof

„Es war pure Machtdemonstration”: Anwesende über den Polizei-Einsatz am Peršmanhof
Das Verhalten der Polizei bei ihrem Einsatz am Peršmanhof hat für viel Kritik gesorgt. Foto: Orga-Team des Camps
Ein Großaufgebot der Polizei stürmt ein antifaschistisches Bildungscamp am Gelände einer NS-Gedenkstätte: Der Einsatz am Kärntner Peršmanhof hat viel Kritik nach sich gezogen. Wie haben die Anwesenden ihn erlebt? Unsere Autorin war am Tag danach vor Ort und hat mit Teilnehmenden und Organisator:innen gesprochen.

Mitten in den Südkärntner Bergen, zwischen Almwiesen, Felswänden und Wäldern, liegt der Peršmanhof. Ein abgelegener und ruhiger Ort, erreichbar nur über eine steile, holprige Bergstraße. Am Montagnachmittag sind hinter dem Hof Zelte aufgespannt, auf einem langen Tisch kann man sich veganes Gulasch gegen eine freie Spende holen. Links vom Eingang zeigt ein handgeschriebenes Schild den Weg zum FLINTA*-Space, rechts hängt das Programm für das antifaschistische Bildungscamp, das hier von 24. bis 29. Juli stattfindet: Führungen und Vorträge zur ortsspezifischen Geschichtsaufarbeitung, eine Kräuterwanderung, ein Textil-Workshop, ein „Utopian Sunrise Hike”.

Nichts außer der etwas bedrückten Stimmung und dem herumwuselnden Organisations-Team lassen darauf schließen, dass einen Tag zuvor 30 Polizist:innen, eine Hundestaffel, Drohnen und ein Hubschrauber den Peršmanhof gestürmt haben. Einen Hof, auf dem SS und Polizei im April 1945 elf Kärntner Slowen:innen ermordeten, darunter sieben Kinder, und der heute eine Gedenkstätte für den Widerstand der Kärntner Slowenen während der NS-Zeit ist. 

Ein Polizei-Einsatz an einem Gedenkort für ein Polizei-Verbrechen

Der Einsatz hat viel Kritik nach sich gezogen Zivilgesellschaftliche Initiativen und Politiker:innen bis hin zu Bundespräsident Alexander van der Bellen fordern eine Aufarbeitung, Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hat eine solche auch bereits angekündigt, am 31. Juli sollen in Klagenfurt und Wien Solidaritätskundgebungen stattfinden. Aber wie haben eigentlich die Anwesenden den Einsatz erlebt? 

Die Polizist:innen seien am Sonntag um 11 Uhr mit je zwei Zivilpolizei- und Streifenwagen vorgefahren, erzählen einige der Camp-Teilnehmer:innen. Als Grund für den Besuch nennen die Beamt:innen demnach Verwaltungsübertretungen bezüglich des Kärntner Naturschutz- und Campinggesetzes. Unter den Einsatzkräften in Zivil sind auch Vertreter:innen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – warum, bleibt für die Aktivist:innen unklar. Die Polizist:innen wollen die Identitäten der Anwesenden überprüfen. Die Aktivist:innen aber wollen, so schildern sie es, zuerst wissen, was ihnen genau vorgeworfen wird. Und sie wollen, dass die Polizei ihre Amtshandlung auf Slowenisch durchführt – laut Artikel 7 des Staatsvertrags ist das ihr Recht. Sie rufen einen Rechtsanwalt zu Hilfe. 

Spezialeinheit und Hundestaffel

Während sie auf den Dolmetscher warten, trifft Verstärkung für die Polizei ein: eine Einheit der für „höhere Gefährdungslagen” gegründeten „Schnellen Interventionsgruppe” (SIG), begleitet von der Hundestaffel. In einem Video, das MOMENT.at vorliegt, erklärt der Einsatzleiter: „Jetzt müssen wir die Kräfte, die für den Anti-Terror-Einsatz in Villach sind, abziehen, damit wir hier Identitätsfeststellungen machen.” Einen Grund, warum er das für nötig hielt, habe der Einsatzleiter den Anwesenden nicht genannt, sagen sie. 

„Wir sind alle am Rand gesessen und haben darauf gewartet, was die Polizei als nächstes machen wird. Die Angst hat sich dauernd nur gesteigert. Uns wurde nichts erklärt. Warum kommt da jetzt Verstärkung? Niemand hat kommuniziert”, sagt Yara Palmisano vom Klub Slowenischer Student*innen in Wien/Klub slovenskih koroških akademikov na Dunaju (KSŠŠD), die das Camp mitorganisiert hat. 

Im Gespräch mit dem inzwischen eingetroffenen Rechtsanwalt Rudolf Vouk verweist die Polizei zunächst auf das Campinggesetz, dann auf eine angebliche Sittenwidrigkeit der Veranstaltung, erzählen die Aktivist:innen. 

Dann, so schildern sie den weiteren Verlauf, eskaliert die Situation: Die Polizei betritt das Gelände, ohne zu erklären, ob sie dazu rechtlich befugt ist oder worauf der Einsatz basiert. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Aktivistin. Die Einsatzkräfte umstellen das Haus, fordern Zutritt, verlangen, dass sich die Personen im Inneren zeigen, was diese auch tun. Die Polizist:innen sagen, sie suchen nach einer bestimmten Person – aber nicht, nach wem. 

Die Gründe für den Einsatz bleiben unklar

Die Camp-Teilnehmer:innen glauben nicht daran, dass es bei dem Einsatz tatsächlich um ihre angeblich illegal aufgestellten Zelte ging. Oder um die Palästina-Flaggen, die die Polizei am Mittwoch, drei Tage nach dem Einsatz, ins Spiel brachte. Aus ihrer Sicht ging es um die Einschüchterung junger Aktivist:innen. „Es war pure Machtdemonstration”, sagt Elsa Logar vom KSŠŠD. „Die Gründe, warum sie da waren, haben sich ständig geändert. Leute hatten Angst, einige haben geweint, niemand hat sich körperlich gewehrt, aber die Situation wurde immer weiter eskaliert.”

Der Einsatzleiter und einige Beamt:innen der SIG betreten schließlich das Haus von einer Seite und verschließen die Tür. So erzählen es die Aktivist:innen Als die Situation weiter eskaliert, drängen die Einsatzkräfte die Anwesenden aus dem Haus und versuchen, die Tür zu schließen. Ein Video, das MOMENT.at vorliegt, zeigt, wie der Einsatzleiter mehrmals „Abstand halten!” und „Zurücktreten” brüllt. „Diese Geräuschkulisse war sehr speziell. Er schreit, Hunde bellen, Leute haben Angst”, erzählt Palmisano. „Und dann hat er auch noch seine Hand auf der Waffe, während er befiehlt, Abstand zu halten – was alle gemacht haben”. 

Als die Polizei die Tür des Gebäudes von innen schließt, wird ein Aktivist in der Tür eingeklemmt und verletzt.

Der Polizei-Einsatz endet gegen 15 Uhr. Auch danach gibt es, wie Aktivist:innen am Mittwoch in einer Nachricht an MOMENT.at erzählen, jedoch einen weiteren gewaltsamen Zwischenfall: Ein Unterstützer wird auf dem Weg ins Tal von der SIG gestoppt; als er nach der Dienstnummer der Beamt:innen fragt, zwingen die ihn zu Boden, legen ihm Handschellen an und durchsuchen ihn grob, wobei er eine Platzwunde am Kopf erleidet. Die Polizei nimmt ihn und zwei Zeug:innen auf die Station mit, stundenlang wissen die Camp-Teilnehmenden nicht, wo er ist. So schildern es jedenfalls die Aktivist:innen. 

Die Polizei bestätigt gegenüber Moment.at, dass eine Festnahme vor dem Gelände stattgefunden hat. Die Details der Amtshandlung können sie allerdings nicht kommentieren. 

Waffen und Gebrüll: ein angemessener Umgang mit einer Gedenkstätte?

Elsa Logar arbeitet als Vermittlerin beim Društvo/Verein Peršman, der sich der Erinnerung und wissenschaftlichen Aufarbeitung des kärntner-slowenischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus widmet. Die Polizei habe eine Stimmung erzeugt, „die extrem gruselig war”, sagt sie – ausgerechnet an einem Gedenkort, an dem 1945 elf Menschen von einer Polizeieinheit ermordet wurden.

„Am perfidesten finde ich diese Kriminalisierung antifaschistischer Bildungsarbeit von jungen kärntner-slowenischen Menschen,“ sagt David Ressmann vom KSŠŠD, Osteuropahistoriker und Vorstandsmitglied im Društvo/Verein Peršman. „Das sind Leute, deren Vorfahren im KZ waren, Widerstand geleistet haben, deportiert wurden. Und dann der Vorwurf, wir würden mit diesem Ort nicht angemessen umgehen. Aber ‘angemessen umgehen’ heißt offenbar, bewaffnet hereinzukommen, herumzuschreien, die Hand auf der Waffe zu haben, im Museum Identitäten festzustellen und die Ausweise gegen die Ausstellung zu halten und dort zu fotografieren?“

„Das fühlt sich eindeutig wie ein Angriff auf die kärntnerisch-slowenische Minderheit an“, ergänzt Selma Logar vom KSŠŠD, eine der Organisatorinnen des Camps.

Am Programm: Vorträge, Wanderungen, Utopien

Was passiert eigentlich bei einem antifaschistischen Bildungscamp? Das Programm des Camps, das zum Zeitpunkt des Polizei-Einsatzes schon seit mehreren Tagen lief, war umfangreich. Neben klassischen Vorträgen — etwa zu Frauen im Widerstand, zur Geschichte des Peršmanhofs und zu antifaschistischer Praxis — gab es Wanderungen, Führungen, künstlerische Workshops und Gespräche zu Community-Building, Gedenkkultur, Widerstandsgeschichte und internationaler Solidarität. 

Das Camp sei bewusst offen angelegt gewesen, sagen die Organisator:innen. Viele junge Menschen waren vor Ort, darunter zahlreiche aus Wien und Kärnten, aber auch Einzelne aus Belarus und der Ukraine, die von ihren Erfahrungen mit Krieg und Repression erzählten. Manche besuchten zum ersten Mal eine politische Veranstaltung, andere sind seit Jahren aktiv. Viele, so sagen die Aktivist:innen, seien durch den Polizeieinsatz verunsichert oder gar (re)traumatisiert worden.

„Aus der Geschichte heraus versuchen wir, Gegenwart und Zukunft aktiv mitzugestalten und uns gemeinsam zu bilden”, sagt Selma Logar. Das Programm der ersten Tage habe den Fokus auf die Vergangenheit gelegt, das der letzten Tage  habe sich mit Utopien beschäftigen sollen. Doch dazu sei man durch den Polizeieinsatz kaum mehr vorgedrungen. „Das fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Er zeigt, wie gefährlich die Welt ist, in der wir gerade leben, und wie nah die Probleme sind, mit denen wir uns beschäftigen.”

Zurück bleiben Wut, Erschöpfung und eine Strafanzeige

Am Ende bleiben für die Veranstalter:innen Wut und Erschöpfung – und die Forderung nach  politischen Konsequenzen: eine Richtigstellung der Aussagen der Polizei, Aufklärung, Konsequenzen für den Einsatzleiter und den Landeshauptmann. „Wenn der Polizeisprecher am Tag danach sagt, er weiß nicht, wer den Einsatz angeordnet hat, dann ist das ein Skandal,“ sagt Ressmann.

Der Anwalt der Aktivist:innen hat bei der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch, Datenschutz- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Freiheitsentzug eingebracht. 

Was die Aktivist:innen um jeden Preis vermeiden wollen: dass ein schlechtes Licht auf die Gedenkstätte Peršmanhof fällt – und auf die dort geleistete Bildungsarbeit zur Geschichte des kärntner-slowenischen Widerstands, die sonst viel zu wenig beleuchtet werde.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!