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Ungleichheit

Gerechtigkeit, Solidarität, Menschenrechte durch EU Asylreform? „Das Gegenteil ist der Fall“

Keine Reform könne Migration verhindern, sagt Expertin für Asyl- und Migrationsfragen von Amnesty International. Es führe nur zu mehr Leid und Tod. Foto: Mustafa Abusalah/Pixabay
Die Europäische Union hat sich auf die EU Asylreform geeinigt. Das Ziel sei, Migration gerechter zu gestalten. Menschen, die in der EU ankommen, sollen Sicherheit, Klarheit und angemessene Bedingungen geboten werden. Sie soll auf Solidarität, Verantwortung und der Achtung der Menschenrechte basieren. Das schreibt die Europäische Kommission über den Pakt. Das Gegenteil sei der Fall, sagt Aimée Stuflesser von Amnesty International. Warum die Reform das nicht erfüllen wird und was es für Schutzsuchende bedeutet.

Moment: Können Sie uns einen kurzen Einblick geben, worauf sich die Mitgliedsstaaten geeinigt haben?

Aimée Stuflesser: Das ist eigentlich eine große, umfangreiche Sammlung von Gesetzesvorschlägen. Diese hat die Europäische Kommission bereits im September 2020 vorgelegt. Drei Jahre gab es keine Entscheidung. Heute Morgen haben sie sich zu fünf Hauptverordnungen geeinigt.

Eine ist die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement. Sie wird die Dublin Verordnung ersetzen. Die besagt, dass jene Länder für das Asylverfahren zuständig sind, in denen Schutzsuchende zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Mit der Reform wird dieses Prinzip nicht nur beibehalten, sondern gestärkt. Das heißt, dass sich die Länder an den EU-Außengrenzen um viel mehr Migrant:innen kümmern müssen als die anderen Länder.

Den bisherigen Verteilungsschlüssel wird es in der Form nicht mehr geben. Dem weicht ein neuer „Solidaritätsmechanismus“. Jene Länder, die keine Schutzsuchenden aufnehmen, müssen Unterstützung leisten – zum Beispiel in Form von Geld. Damit können dann auch Zäune oder Mauern finanziert werden. Damit haben die Mitgliedsstaaten ihre Verantwortung dann quasi bereits übernommen.

Außerdem wird es mehr Abkommen mit Drittstaaten geben, wie wir sie heute bereits mit Albanien, Libyen, Tunesien und der Türkei haben. Das würde die Verantwortung für den Schutz von Menschen auf außerhalb der EU verlagern.

Moment: Solche Regelungen wie den Verteilungsschlüssel gibt es heute bereits und viele Länder halten sich nicht daran. Werden sie es nach dieser Reform tun?

Stuflesser: Es ist dadurch für Länder, die nicht an den Außengrenzen liegen, noch einfacher, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Anstatt schutzsuchende Menschen in ihr Land aufzunehmen, werden sie sagen, dass sie bereits Geld an die Länder an den Außengrenzen bezahlt haben. Solidarität lässt sich aber nicht so einfach erkaufen.

Moment.at: Wie wird die Flucht für schutzsuchende Menschen mit dieser Reform aussehen?

Stuflesser: Die Flucht wird schwieriger und gefährlicher durch die Reform. Und sie beeinträchtigt die Menschenrechte von Schutzsuchenden. Sie werden dadurch weniger Rechte haben – zum Beispiel bei der Familienzusammenführung. Es wird mehr Inhaftierungen geben. Menschen sollen leichter wieder in „sichere“ Drittländer abgeschoben werden können. Wobei Länder bereits als sicher gelten sollen, wenn nur ein Teil sicher ist. Von vielen dieser Staaten wissen wir, dass sie nicht sicher sind. Das betrifft ebenfalls die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement. 

Andere Verordnungen betreffen die Verfahren. Da ist besonders problematisch: Die Menschen sollen bis zur Entscheidung über den Asylantrag in haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden können. Es soll auch keine Ausnahmen für Familien mit Kindern geben.

Die schlimmste Verordnung ist wohl die Krisenverordnung. Das erlaubt den Mitgliedsstaaten, die Aufnahme von Schutzsuchenden auszusetzen, wenn sie sich mit einer Krise konfrontiert sehen. Und diese Krisen haben sie so definiert, dass alles sehr offen ist.

Es gibt noch offene Punkte, aber das sind die Aussichten. Wenn das Paket veröffentlicht wird, muss man analysieren und genau hinsehen, inwiefern Menschenrechte beeinträchtigt werden und was wir dann noch machen können.

Moment.at: Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität. Ist diese Reform also schon in trockenen Tüchern.

Stuflesser: Ich glaube nicht, dass es noch positive Änderungen geben wird. Deswegen ist es wichtig, Österreich aufzufordern, die menschenrechtlichen Standards einzuhalten.

Moment.at: Ziel der Reform sei, die irreguläre Migration in die EU einzudämmen. Kann diese Reform das leisten?

Stuflesser: Ich glaube nicht, dass die Migration verhindert oder eingeschränkt wird durch die Reform. Menschen, die Schutz suchen, fliehen nicht, weil sie wollen. Sie fliehen, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Weil sie in ihren Heimatländern nicht mehr leben können. Die ganzen Reformen, die ganzen Einschränkungen werden die Migration nicht verhindern. Das Einzige, was passieren wird, ist, dass mehr Leute sterben werden. Dass mehr Leute ein unwürdiges Leben führen müssen. Anstatt wir ihnen die Möglichkeit geben, ein neues Leben in Würde zu leben. 
 

Aimée Stuflesser ist Expertin für Asyl- und Migrationsfragen bei Amnesty International. 

Aimée Stuflesser ist Expertin für Asyl- und Migrationsfragen bei Amnesty International.
Foto: Privat

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