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Ungleichheit

Alleinerziehende allein gelassen: Wenn der Familienbonus zum Papabonus wird

Mutter mit Kind im Arm. Viele alleinerziehende Frauen haben vom Familienbonus nichts
Mutter mit Kind im Arm. Alleinerziehende Frauen wie Marie haben vom Familienbonus nichts. Den bekommt ihr Ex-Mann - und behält ihn. – Foto: Flora Westbrook / Pexels
Der Familienbonus heißt nicht umsonst so: Er soll Eltern zugutekommen. Pro Kind gibt es bis zu 2.000 Euro im Jahr. Aber was ist, wenn Vater und Mutter getrennt leben? Die Alleinerziehende Marie hat vom Familienbonus nichts, berichtet sie. Den streicht ihr Ex-Mann ein – und behält ihn. Das Finanzministerium sieht kein Problem. Ein Beamter dort aber schon: “Die Frauen fahren ein, die Männer gewinnen. Das war von Anfang an klar. Der Politik war das wurscht.” Die Arbeiterkammer und der Verein feministischer Alleinerzieherinnen kritisieren den Konstruktionsfehler.

Irgendwann im Gespräch klingt Marie verzweifelt: “Nein, das ist kein gutes Verhalten”, sagt sie zu MOMENT.at. Und meint damit: ihren Ex-Ehemann und Vater des gemeinsamen acht Jahre alten Buben. Nach der Scheidung kümmert sich vor allem Marie um das Kind – und das sehr gerne. Sie trägt alle alltäglichen Ausgaben. Und wenn es mal eine große wird, neue Sportschuhe, eine Landschulwoche, dann muss sie gehörig rechnen, ob sich das ausgeht. Meistens gehe es dann doch, wenn sie bei sich spare: “Bevor ich mir etwas kaufe, kaufe ich meinem Sohn etwas”, sagt sie.

Auf der anderen Seite: “Wenn mein Sohn zum Vater geht und ihn um etwas bittet, lehnt er ab”, sagt Marie. Ihr Ex-Mann sage seinem Sohn dann: Er habe selbst kein Geld und Schulden wegen des Hauses, das er mit seiner neuen Familie baue. Den Familienbonus plus von 2.000 Euro, den ihr Ex-Mann jährlich für das gemeinsame Kind von der Steuer abgezogen bekommt, nimmt er aber – und behalte ihn auch komplett. Den Sohn habe er seit vier Monaten nicht mehr gesehen. Er wolle das auch gar nicht, berichtet Marie. Sie heißt nicht wirklich so. Sie möchte lieber unerkannt bleiben – auch für ihren Ex-Mann.

Familienbonus: Mehr als 80 % landet bei Vätern

“Es kann keine Lösung sein, dass nur er den Bonus beantragen kann und auch erhält”, sagt Marie. Sie arbeitet Teilzeit in einer Schule in Salzburg. Nicht, weil sie es so will. Es geht kaum anders. Vonseiten der Stadt nicht, bei der sie angestellt ist. Aber auch, weil sie Alleinerziehende ist. Vollzeit arbeiten ist für sie nicht möglich. Entsprechend wenig verdient sie. Beantragt sie die Steuererleichterung namens Familienbonus, bekäme sie kaum etwas heraus.

Denn der von ÖVP und FPÖ im Jahr 2018 mit Stolz als soziale Maßnahme eingeführte Familienbonus richtet sich nach dem Gehalt: je höher, desto mehr Bonus. In der Regel beantragt und erhält der besser verdienende Elternteil den Bonus. Und das sind in 73 Prozent der Fälle die Väter. Bei den ausgezahlten Beträgen ist die Schieflage noch größer: Mehr als 81 Prozent des ausgezahlten Bonus landen bei Vätern. Eine Analyse der Arbeiterkammer zeigt: Während Frauen, die den Familienbonus beantragt haben, im Jahr 2021 durchschnittlich 1.367 Euro erhielten, waren es bei Männern im Schnitt 2.184 Euro.

Es sind Zahlen, die schlicht die Arbeitsrealität in Österreich widerspiegeln. Väter arbeiten häufiger Vollzeit. Männer haben mehr Einkommen als Frauen. Vor allem Mütter arbeiten öfter in Teilzeit. Und das in sogenannten Frauenberufen, die oft ausnehmend schlecht bezahlt sind. Dazu kümmern sie sich meist hauptsächlich um die Kinder, unbezahlt natürlich. Wie bei Marie: Sie ist Pädagogin. Ihr Ex-Mann arbeitet bei einem großen Industriekonzern.

Den Bonus bekommt der, der nicht beim Kind ist

Das ist weniger ein Problem für Eltern, die ihre Kinder gemeinsam aufziehen. Der Papa bekommt den Familienbonus komplett und der fließt dann (hoffentlich) in den gemeinsamen Haushalt. Schwierig wird das für Alleinerziehende und dann, wenn sie weniger verdienen als ihr:e Ex-Partner:in. Das betrifft vor allem: alleinerziehende Frauen. Frauen wie Marie.

Sie verdient weniger als 1.800 Euro brutto im Monat. Erst ab dieser Schwelle könnte sie den Familienbonus voll ausschöpfen. Denn dann zahlt sie ausreichend viel Lohnsteuer im Jahr. Von dieser wird der Familienbonus abgezogen. Teilt sie sich den Bonus mit ihrem Ex-Mann zu gleichen Teilen, muss Marie auch mindestens 1.000 Euro Lohnsteuer im Jahr gezahlt haben, um den Tausender zu erhalten. Zahlt sie weniger Lohnsteuer, erhält sie auch entsprechend weniger Familienbonus. Beschäftigte, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen, haben gar nichts vom Familienbonus.

“Dann bleiben die 1.000 Euro beim Finanzamt”, sagt Veronika Adensamer von der Arbeiterkammer Niederösterreich zu MOMENT.at. Sie ist Expertin in der Abteilung Frauenpolitik. “Das ist für sie definitiv ein Problem.” Denn davon hat niemand etwas: Marie nicht und ihr Kind auch nicht. In der Praxis läuft das dann so: Damit der volle Familienbonus ausgeschüttet wird, beantragt ihn der Elternteil, der mehr verdient – und bekommt ihn auch gutgeschrieben. Aber: “Wenn der Vater den vollen Anspruch auf Familienbonus hat, steht nirgendwo, dass er das abgeben muss”, sagt Adensamer.

Beim Familienbonus fahren die Frauen ein und die Männer gewinnen. Das ist so.
Beamter im Finanzministerium.

Das Finanzministerium sieht das entspannt. Hat die Mutter ein steuerpflichtiges Einkommen, könne sie den Familienbonus beantragen. “Sie erhält dann automatisch den halben Bonus und die Finanzverwaltung fordert die andere Hälfte vom Vater retour”, heißt es aus dem Ministerium zu MOMENT.at. Das ist eine zumindest irreführende Auskunft. Denn bei getrennt lebenden Eltern betrachtet das Finanzamt auch deren Einkommen getrennt, heißt es aus der AK. Verdient einer von beiden zu wenig, um den vollen Familienbonus zu erhalten, dann bekommt niemand das Geld. “Ein nicht ausgeschöpfter Familienbonus kann nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden”, so die AK.  

Doch das Finanzministerium betont: Mit dem Familienbonus sei “ein gerechter Ausgleich geschaffen”, der beide Elternteile begünstige. Das sehen in dem ÖVP-geführten Ministerium nicht alle so. Beim Familienbonus “fahren die Frauen ein und die Männer gewinnen. Das ist so”, sagt ein Finanzbeamter zu MOMENT.at. Er möchte namentlich nicht genannt werden.

Der Beamte berichtet: Als ÖVP und FPÖ den Familienbonus im Jahr 2018 auf Schiene brachten, “hat ein Experte der Lohnverrechnung darauf hingewiesen, dass das so kommen wird und gefragt, ob ihnen das klar ist”. Die politischen Entscheider:innen hätten deutlich reagiert: “Es war ihnen wurscht.” Er nennt es einen Konstruktionsfehler beim Absetzbetrag namens Familienbonus. “Das ist falsche Politik, wenn man sich Familie und sozial auf die Fahnen schreibt”, sagt der Beamte.

Marie fragte: Wie kann das sein?

Der Familienbonus wird damit zum Papabonus. Und so kam es auch bei Marie: Ihr Ex-Ehemann weigere sich, den Familienbonus dem zukommen zu lassen, für den er offenkundig gedacht ist: dem gemeinsamen Sohn. Der Vater bestehe darauf: Er erhalte so viel Gehalt, dass er den vollen Bonus bekommen kann, also verdiene er ihn – und nicht die Mutter des gemeinsamen Kindes oder das Kind selbst. Punkt. “Und ich habe keine Handhabe, das zu bekommen.” Marie fühlt sich ohnmächtig. Sie rief bei vielen Stellen an, von der Arbeiterkammer bis zum Finanzministerium und wollte wissen: Wie kann das eigentlich sein?

“Dass alleinerziehende Mütter in deutlich geringerem Ausmaß vom Familienbonus profitieren als unterhaltspflichtige Väter, haben wir häufig kritisiert”, sagt Vera Glassner von der Arbeiterkammer Wien. Sie ist Referentin für Geschlechterungleichheiten in der Arbeitswelt. Marie sei kein Einzelfall. Für Alleinerzieher:innen stelle sich immer wieder das Problem: Der Elternteil, bei dem das Kind nicht überwiegend lebt, bekommt den Bonus – “obwohl der andere Elternteil die alltäglichen Kinderkosten fast alleine trägt”, sagt sie zu MOMENT.at. “Jeder zweite Ein-Eltern-Haushalt ist armuts- und ausgrenzungsgefährdet”, sagt Glassner.

Ich habe das Gefühl, wir kommen von einer normalen Schicht in die Nähe der Armut.
Alleinerzieherin Marie

Und das sind fast immer Frauen: In 92 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren kümmern sich die Mütter um den Nachwuchs, heißt es vom Verein feministische Alleinerzieherinnen FEMA. Der Familienbonus ersetzte ab 2019 die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten und den Kinderfreibetrag. Mit seiner Einführung “geschah ein direkter Transfer von Steuerbegünstigungen von Frauen an Männer”, sagt FEMA-Obfrau Andrea Czak zu MOMENT.at. “Der Familienbonus diskriminiert alleinerziehende Mütter steuerlich”, sagt sie.

Laut Zahlen der FEMA trugen im Jahr 2021 die Mütter 45 Prozent der Kinderkosten. Staatliche Leistungen deckten die Ausgaben zu 35 Prozent. Die geschiedenen Väter leisteten mit ihren Unterhaltszahlungen nur 20 Prozent der Kinderkosten. Der Vater von Maries Sohn zahlt Unterhalt: 530 Euro im Monat. “Da geht der aliquote Teil der Miete ab, Betriebskosten, Essen, Kleidung. Das ist damit erledigt”, sagt Marie. Alles, was über diese Grundversorgung hinausgeht, müsse sie allein zahlen.

So wie ihr gehe es vielen anderen Frauen in ihrem Umfeld. “Ich kenne keinen Vater, der das beansprucht und dann abgibt”, sagt Marie. Die gestiegenen Kosten für Miete, Strom, Heizung, Lebensmittel für sich und ihren Sohn spüre sie immer mehr. “Ich habe das Gefühl, wir kommen inzwischen von einer normalen Schicht in die Nähe der Armut”, sagt sie.

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