Faschismus in den USA: Wie eine Demokratie zerfällt
Der 6. Jänner 2021 wird in die Geschichtsbücher der USA eingehen. Aber was darin geschrieben sein wird, ist noch nicht sicher. Sind es die Tatsachen? Dann wird man über einen Putschversuch lesen. Über einen Mob, der das Kapitol stürmte und dabei organisierter war, als man zunächst glauben wollte. Angestachelt von einem abgewählten Präsidenten, der seine Niederlage schon vor der Wahl nicht akzeptierte.
Oder wird es die andere Version sein, die mit den Tatsachen nicht in Einklang zu bringen ist? In dieser versuchten Patriot:innen einen Wahlbetrug zu verhindern und wurden nur von einem korrupten Staatsapparat daran gehindert. Ihr “heroischer” Akt wird zur ur-amerikanischen Geschichte verklärt: der Kampf der Bürger:innen gegen einen tyrannischen Staat. Koste es, was es wolle.
Welche dieser Erzählungen sich durchsetzen wird, ist nicht klar. Denn die Geschichte schreiben bekanntlich die Sieger:innen und die US-amerikanische Demokratie ist nicht nur angeschlagen. Ihre Zukunft ist düsterer als vielen klar ist.
Faschismus in den USA am Vormarsch
Das “land of the free” als faschistischer Staat? Das erscheint vielen immer noch als völlig übertriebene Vorstellung. Doch Expert:innen warnen schon lange vor dieser Entwicklung. Wie etwa Jason Stanley, Professor der Philosophie in Yale. Faschismus ist eines seiner zentralen Forschungsgebiete. Er sieht ihn in den USA im Vormarsch: “In vielen Bundesstaaten wird es ein 1-Parteien-System geben. Für die Demokraten wird es unmöglich, Wahlen zu gewinnen. Wenn nichts passiert, werden wir ab 2024 lange Zeit nur mehr republikanische Präsidenten haben”, sagt er. Und das liegt nicht an den Mehrheiten in der Bevölkerung.
Das sei auch deswegen nicht so schwer, weil die USA als ganzes nie wirklich demokratisch war: “Unsere aktuellen Probleme beruhen auf einem undemokratischen System. Und es wird immer klarer, wie undemokratisch es tatsächlich ist”, so Stanley.
Sanfter Widerstand
Gleichzeitig gibt es aber eine Entwicklung in die Gegenrichtung. “Große Teile der Bevölkerung haben realisiert, dass ein fortschrittsvertrauender Glaube an bestimmte Institutionen naiv ist. Sie organisieren sich auf anderen Ebenen und haben radikalere Visionen”, sagt Lukas Hermsmeier. Der Journalist berichtet in seinem Buch “Uprising – Amerikas neue Linke” von progressiven Strömungen in den USA. Und diese seien in den letzten zehn Jahren erstarkt: “Wir sehen einen immer breiteren Widerstand, der sich ganz unterschiedlich ausdrückt.”
Doch die Demokratische Partei habe es in den letzten Jahrzehnten versäumt, eine breite Massenbewegung an der Basis zu organisieren und ihre Wähler:innen dadurch zu mobilisieren. Das wäre notwendig, um gegen einen entscheidenden Nachteil anzukommen: “Im Schnitt erhalten rechte Kandidaten und Bewegungen viel mehr finanzielle Unterstützung. Hinter ihnen stehen mächtige Gruppen, Personen und Medien, die sehr viel Geld haben.” Man könne nicht ansatzweise davon sprechen, dass sich hier gleich starke Bewegungen gegenüberstehen würden, so Hermsmeier.
“Ein progressiver Präsident kann das Land noch nicht ändern”, sagt er in Bezug auf die acht Jahre dauernde Amtszeit von Barack Obama. Das wurde 2016 mit der Wahl Donald Trumps eindrucksvoll bewiesen. Der wollte eigentlich gar nicht Präsident werden. Bis zuletzt glaubten er und sein Team nicht wirklich daran. Er wollte eigentlich nur den Ruhm, die Bekanntheit und das dadurch winkende Geld, das mit einer Kandidatur einherging.
Faschismus als Machtinstrument
Doch Trump fand schnell gefallen am Präsidentenamt. Und änderte die politischen Spielregeln. Bevor er kam, sahen Menschen die Politik als korruptes System, bei dem alles in Hinterzimmern ausgemacht wird. “Trump schien das Gegenteil zu sein. Alles, was er machte, machte er öffentlich”, so Stanley. Sein Rassismus und Sexismus schadeten ihm da nicht – im Gegenteil. Sie ließen ihn authentisch wirken. Und Trumps Partei folgte seinem Beispiel. Gemäßigte Elemente gebe es in der Partei kaum noch.
Ist Trump also ein Faschist? “Das ist im Grunde nicht wichtig. Trump hat erkannt, wie mächtig faschistische Politik ist. Er folgt aber keiner Ideologie. Nur Macht ist für ihn wichtig.” Er habe gezeigt, was mit dieser Art von Politik möglich ist.
Wenig überraschend, wollte Trump diese Macht nicht aus der Hand geben. Nach seiner Abwahl setzte er alle Hebel in Bewegung, um im Amt zu bleiben. Schon lange vor der Wahl streute er Zweifel daran, dass eine Niederlage rechtmäßig wäre. Und er machte klar, dass er einen Wahlverlust nicht akzeptieren würde. Er und seine Partei kultivierten den Glauben an die “big lie”. Die große Lüge, dass die Wahl gefälscht wurde und Trump der eigentliche Sieger war.
Ein faschistischer Putschversuch
Rechte Medien griffen die Verschwörungserzählung auf, Trumps Anhänger:innen waren nicht schwer davon zu überzeugen. Aufgestachelt von ihrem Präsidenten stürmten etwa 1.000 von ihnen nach einem Protestmarsch am 6. Jänner das Kapitol, Sitz von Senat und Repräsentantenhaus. Es war keine spontane Attacke. Trump wusste, dass sich bewaffnete Menschen auf den Weg zum Kapitol befanden. Er feuerte sie dabei an, wollte sogar selbst daran teilnehmen.
Bekannt wurde das erst durch den Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen. Die Befragungen machten öffentlich, wie Trump die Macht behalten wollte. So hatte er persönlich hochrangige Republikaner in umkämpften Bundesstaaten unter Druck gesetzt. Sie sollten doch noch ein paar Stimmen für Trump “finden”. Seinen Justizminister forderte er auf, die Wahl für ungültig zu erklären. Sein Vizepräsident sollte die Bestätigung der Wahl manipulieren. Er verlangte, Wahlmaschinen zu konfiszieren. Und noch vieles mehr.
Sein Putschversuch scheiterte wesentlich knapper, als bisher angenommen. Auch dank einiger weniger Republikaner, die sich an das Recht hielten und sich den Anweisungen Trumps widersetzten.
Die Ruhe zwischen den Stürmen
Trump scheiterte – vorerst. Nach den Ereignissen vom 6. Jänner sagten sich erst viele aus seiner Partei von ihm los. Joe Biden konnte sein Amt übernehmen. Die Katastrophe wurde abgewandt.
Aber Trump ist längst wieder zurück. Seine Kritiker:innen in der Republikanischen Partei sind fast vollständig verstummt. Mehr noch: Die Verschwörungserzählung der “big lie” wird von der Partei mehr und mehr unterstützt. Ganz egal, was der Untersuchungsausschuss zutage befördert. Die Realität spielt keine Rolle.
Während Trumps Abwesenheit hat im Hintergrund einer der größten Trümpfe der Partei weiter am Umbau des Landes gearbeitet: der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA. “Der Supreme Court hat, besonders im Vergleich zu anderen demokratischen Ländern, ungeheure Macht bei uns”, sagt Stanley. Drei neue Richter:innen konnte Trump einsetzen. Was sie vereine, sei ihre antidemokratische Einstellung.
Davor hatten die Republikaner noch über viele Monate blockiert, dass Barack Obama einen Höchstrichter oder eine Höchstrichterin auf einen frei gewordenen Sitz ernennen konnte. Sechs von neun Richter:innen folgen nun der republikanischen Parteilinie: extrem rechts, erzkonservativ – und dazu bereit, grundlegende Bürgerrechte abzubauen. Sie sind auf Lebenszeit besetzt und entscheiden als letzte Instanz über zentrale gesellschaftliche Fragen.
Abtreibungsverbot ist erst der Anfang
Ende Juni machte der Supreme Court in mehreren Entscheidungen klar, wohin der Weg für die US-amerikanische Gesellschaft gehen soll: Das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit ist ein Grundrecht und darf nicht eingeschränkt werden. Die Handlungsfähigkeit der Umweltbehörde wurde eingeschränkt, der Kampf gegen die Klimakrise wird dadurch enormen Schaden erleiden.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit wurde ein Grundrecht abgeschafft, das vielen bisher als selbstverständlich galt: Der Supreme Court kippte “Roe v. Wade”. Ob Frauen abtreiben dürfen, können ab sofort die einzelnen Bundesstaaten entscheiden. Millionen von Frauen verloren den sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. 13 Staaten hatten bereits darauf gewartet und Abtreibung sofort fast oder ganz verboten.
Die Entscheidung ist ein weiterer Schritt in einer Reihe von Gesetzgebungen, die in den vergangenen Monaten und Jahren die Rechte von Frauen und Minderheiten in republikanisch regierten Bundesstaaten einschränkten. Die dazu dienen sollen, die faschistische Idee der Partei durchzusetzen: “Der Faschismus der Republikaner ist nicht genozidal, Trump ist auch kein Hitler. Es wird ein ähnliches System wie jenes in Ungarn unter Viktor Orbán geben. Nur weiße, christliche Männer sollen die Macht haben”, sagt Stanley.
Die Herrschaft der Minderheit
Mehrheitsfähig ist das alles nicht unbedingt – das muss es aber auch nicht sein. Dafür sorgt etwa das “Gerrymandering”. Ein Prozess, bei dem die Grenzen von Wahlkreisen so zugeschnitten werden, dass eine Partei besonders davon profitiert. Etwa in dem viele Wähler:innen einer Partei in wenigen, absurd zugeschnittenen Wahlkreisen zusammengefasst werden. So kann die andere Partei in vielen anderen Wahlkreisen mehr Mandate gewinnen.
Vom Konzept “One person, one vote”, also dem Grundsatz, dass jede Stimme gleich viel wert sei, könne man in den USA ohnehin kaum noch sprechen. Ein Beispiel: “Die Schwarze Bevölkerung in Mississippi macht etwa 38 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Politische Macht hat sie jedoch keine”, so Stanley.
Um ihr Ziel zu erreichen, haben Republikaner:innen viele Feindbilder kultiviert. Eines der zentralen Konzepte dafür ist laut Stanley, wie bei anderen faschistischen Bewegungen weltweit, die Verschwörungserzählung vom “Großen Austausch”. “Die Republikaner sagen: ‘Ihr werdet von anderen Gruppen ersetzt. Und nur wir beschützen euch davor.’ Und den Leuten wird erklärt, dass die Demokratie diesen Austausch erst ermöglicht,” sagt Stanley. Diese Angst werde bei vielen geschürt – Christen, Weißen oder auch Frauen.
It’s the economy, stupid
Gruppen und Ideen werden dafür dämonisiert. Etwa trans Menschen: Alleine im ersten Halbjahr 2022 brachte die Republikanische Partei fast 150 Gesetzesvorhaben ein, die deren Rechte einschränken sollten. Auch die Diskussion um die “Critical Race Theory” – eine Theorie, die sich mit der Verankerung von Rassismus in rechtlichen Strukturen beschäftigt und teilweise an Schulen gelehrt wird – wird von Republikaner:innen sehr erfolgreich benutzt, um Angst zu schüren. “Weißen wird erzählt, dass ihre Kinder sie deswegen hassen werden und sie ihre Unschuld verlieren”, so Stanley.
Diese Panik wird von Republikaner:innen bewusst instrumentalisiert. Im Gegensatz zu den Wähler:innen geht es vielen in der Partei dabei nicht um die Inhalte. All die Kulturkämpfe und die enormen Propagandamaschinen um Medien wie Fox News dienen dazu, die Wähler:innen zu mobilisieren – und das sorgt wiederum dafür, dass die Kandidat:innen der Republikanischen Partei weiterhin mit dem Geld von reichen Spender:innen versorgt werden.
Denn die geben nur Geld, wenn eines dabei herausschaut: mehr Geld. Es war kein Zufall, dass unter Trumps Präsidentschaft vor allem Superreiche finanziell profitierten. Ärmere Haushalte hatten hingegen immer mehr zu kämpfen. Viele von ihnen würden Trump wohl ohne zu überlegen noch einmal wählen. Dazu dient dieser Kulturkampf.
Richter:innen ebnen den Weg
Der Supreme Court wird weiterhin den Weg für die Republikanische Partei ebnen. Denn die Entscheidung zu “Roe v. Wade” wird weitere nach sich ziehen – die Uhren werden in den nächsten Jahren zurückgestellt. Republikaner:innen haben offen darüber gesprochen, was passieren soll: Abtreibung soll landesweit verboten werden, die gleichgeschlechtliche Ehe wird abgeschafft, LGBTQ-Rechte stark eingeschränkt. Und sogar Verhütungsmittel sollen verbannt werden. All das wurde durch das Kippen von “Roe v. Wade” denkbar.
Die weitreichendste Entscheidung für das demokratische System der USA steht jedoch im Herbst an. Dann wird der Supreme Court den Fall “Moore v. Harper” behandeln. Einfach gesagt geht es dabei darum, dass die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten über zentrale Wahlrechtsbestimmungen entscheiden könnten – ohne, dass Gerichte oder Gouverneure etwas dagegen machen könnten. Einschränkungen beim “Gerrymandering” könnten dann fallen, diskriminierende Regeln bei Wahlen nicht beeinsprucht werden.
Speziell einige “Swing States” haben zwar demokratische Gouverneure, in Parlamenten haben aber Republikaner:innen die Mehrheit. Sie könnten in Zukunft darüber entscheiden, wie Wahlen ablaufen. Noch ist nicht klar, wie der Supreme Court entscheiden wird. Der Ausgang wird aber wohl an einem oder einer der Richter:innen hängen – die von Trump eingesetzt wurde.
Bereits 2024 könnte das dann den Weg für einen republikanischen Präsident ebnen. Dass Trump dabei antritt, ist fast sicher. Nur die aktuellen Untersuchungen zum 6. Jänner könnten das noch gefährden. Denn die Erkenntnisse daraus sind mittlerweile so schwerwiegend, dass Trump eine Anklage droht. Die Entscheidung darüber liegt beim demokratischen Justizminister.
Auch ohne Trump in den Faschismus
Doch auch wenn Trump nicht antritt, ist die Gefahr deswegen nicht abgewandt: “Die faschistische Bewegung innerhalb der Republikaner gibt es seit mindestens 20 Jahren, sie ist in den letzten Jahren noch viel mächtiger geworden. Jetzt ist es schwierig zu leugnen, dass das nicht die Republikanische Partei ist”, sagt Stanley.
Republikaner:innen äußern das auch ganz offen. “Wir sollten eine Partei des christlichen Nationalismus sein”, hat etwa die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene in einem Interview gesagt. Wer auch immer statt Trump antritt, vertritt dann wohl auch diese Ideologie.
Steht die USA also vor dem Abgrund? “Ich bin optimistisch, was bestimmte Entwicklungen betrifft”, sagt Hermsmeier. In einigen Regionen werde es mehr linke Kräfte in den Parlamenten geben, die Organisierung der Arbeiter:innenbewegung werde mit Sicherheit weiter fortschreiten. Für das große Ganze sehe es aber düster aus, nicht zuletzt wegen der Besetzung am Supreme Court.
Bei allem, was aktuell passiert, muss man dennoch bedenken: Die Mehrheit der US-Amerikaner:innen ist gegen den Rückbau der Bürgerrechte. Ob sie in Zukunft noch Chancen hat, ihre Vorstellungen in der Politik zu vertreten, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Denn eine numerische Mehrheit alleine reicht nicht aus.
“Man kann die Hoffnung aber nicht einfach aufgeben”, so Jason Stanley. Denn wenn die Bevölkerung in den USA in einer Sache Erfahrung hat, dann im Kampf für die Rechte ihrer Bürger:innen.