Demokratie

1,4 Milliarden Euro für Forschungsprämie: Enorm viel Geld, sehr wenig Kontrolle

Die Forschungsprämie kostete Österreich alleine 2024 1,4 Milliarden Euro, doch die Kontrolle ist lückenhaft. Unternehmen können so mit minimalem Aufwand enorme Steuervorteile erlangen. Während Sozial- und Bildungsbereich sparen müssen, profitieren große Firmen von einem System, das kreative Steueroptimierung begünstigt und unzureichend überprüft wird.

In Forschung und Entwicklung in Österreich zu investieren, das hört sich eigentlich gut an. Standort stärken, Wissen und Kompetenz im Land aufbauen. Und tatsächlich gehört die Forschungsprämie zu den teuersten steuerlichen Förderinstrumenten, die Österreich hat.  Sie soll Innovation stärken und dafür sorgen, dass High-Tech-Arbeitsplätze in Österreich entstehen. Die Höhe ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen.

Etwa 1,4 Milliarden Euro Forschungsprämie wurden allein im Jahr 2024 an Unternehmen ausbezahlt, die in Forschung und Entwicklung investieren - oder zumindest behaupten, das zu tun. Doch wie die Mittel tatsächlich verwendet und geprüft werden, ist selbst für Expert:innen oft nicht ganz nachvollziehbar. 

Wo viel Geld fließt, aber wenig Kontrolle existiert, öffnen sich Graubereiche, die manche Firmen offenbar gezielt zu nutzen wissen. 

Ein:e Informant:in aus dem Förderwesen hat mit Moment.at über die Probleme der Prämie gesprochen: „So wie die Forschungsprämie heute funktioniert, ist sie eine einzige Einladung zum Mitnahmeeffekt.“ Das bedeutet, dass über ein Gesetz finanzielle Anreize, zum Beispiel Prämien oder Förderungen auch von Gruppen oder Unternehmen in Anspruch genommen werden, die sie eigentlich gar nicht benötigen. 


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Komplexe Forschung auf einer halben A4-Seite

Um zu verstehen, warum die Forschungsprämie problematisch ist, lohnt sich ein Blick auf den Unterschied zwischen “klassischen Förderanträgen” und der “Forschungsprämie” selbst. Für einen Förderantrag bei der Forschungsförderungsgesellschaft FFG werden normalerweise umfangreiche Projektunterlagen gefordert, detaillierte Beschreibungen des technischen Ansatzes, klare Abgrenzungen zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion sowie nachvollziehbare Kostenaufstellungen. Die Unterlagen werden von Fachleuten geprüft, die notfalls nachfragen, einzelne Arbeitspakete hinterfragen oder zusätzliche Nachweise verlangen. Auch Kosten müssen im Detail beschrieben und erklärt werden. Viele Unternehmen, vor allem kleine, stöhnen über diese Anforderungen, aber sie sorgen dafür, dass tatsächlich nur das gefördert wird, was auch Forschung im engeren Sinn ist. 

Die Forschungsprämie funktioniert jedoch völlig anders. Für sie reicht eine kurze Projektbeschreibung von rund 3.000 Zeichen, also etwa einer halben A4-Seite. Zwar gibt es auch die Möglichkeit einer ausführlicheren Darstellung, doch die werde oft gar nicht eingefordert und selten kritisch gelesen. Die FFG prüft nur, ob ein Projekt grundsätzlich als Forschung gilt und nicht, wie detailliert die Tätigkeiten waren, welche Arbeit tatsächlich geleistet wurde, oder ob die angegebenen Arbeitsstunden plausibel sind. 

Die eigentliche finanzielle Prüfung liegt beim Finanzamt, das jedoch weder die technische Expertise noch die Ressourcen hat, um inhaltlich zu beurteilen, ob eine Tätigkeit wirklich Forschung oder nur Produktentwicklung war. Die beiden Stellen arbeiten nicht verzahnt, sie prüfen getrennt voneinander und fokussieren sich auf vollkommen unterschiedliche Aspekte. Das Ergebnis ist ein System, das die Grundidee der Kontrolle zwar formal erfüllt, aber inhaltlich weitgehend leer ist. 

Unsere Quelle bringt es so auf den Punkt: „Das Finanzamt kann gar nicht beurteilen, ob eine Forschungsleistung echte Forschung ist. Und die FFG prüft die Kosten überhaupt nicht.“

Steuergeld für Forschung in Osteuropa?

Hierzu kommt ein Problem, das bisher kaum diskutiert wurde: Die Forschungsprämie unterscheidet gesetzlich zwischen Auftragsforschung (also an meist universitäre Forschungseinrichtungen ausgelagerte) und eigenbetrieblicher Forschung. Für Auftragsforschung gilt eine Höchstbemessungsgrundlage von einer Million Euro pro Jahr, auch im Ausland. Für eigenbetriebliche Forschung gibt es diese Obergrenze nicht. Laut Gesetz muss eigenbetriebliche F&E zwar im Inland erbracht werden, allerdings bestätigt weder FFG noch Finanzverwaltung, systematisch zu prüfen, ob das tatsächlich der Fall war. Da die Kontrollmechanismen den Ort, wo Kosten anfallen, nicht verlässlich erfassen, besteht in der Praxis die Möglichkeit, auch ausgelagerte Tätigkeiten im Ausland als eigenbetriebliche Forschung geltend zu machen.

Das bedeutet in der Praxis: Wenn ein österreichisches Unternehmen seine Entwicklungsarbeiten nach Polen, Rumänien oder Bulgarien verlagert, kann es 14 Prozent dieser Kosten trotzdem in Österreich geltend machen - und zwar in theoretisch ungebrenzter Höhe. Während also hierzulande Arbeitsplätze verschwinden und Lohnsteuern verloren gehen, profitieren Unternehmen gleichzeitig von einer Steuerbegünstigung für Tätigkeiten, die gar nicht mehr in Österreich stattfinden.

Genau hier ortet unser:e Informant:in ein generelles Problem. Deren Einschätzung nach haben immer mehr Unternehmen erkannt, wie attraktiv es ist, Tätigkeiten ins billigere EU-Ausland zu verlagern und gleichzeitig weiterhin österreichische Fördermittel zu nutzen. Damit entsteht ein doppelt negativer Effekt: Zum einen spart das Unternehmen beim Faktor Arbeit, zum anderen mindert es seine Steuerlast im Inland. Für den Staat entsteht jedoch ein erheblicher Verlust. Denn mit jedem ausgelagerten Job verliert Österreich nicht nur qualifizierte Fachkräfte, sondern auch Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge und lokale Wertschöpfung. Gleichzeitig verringert das Unternehmen seine Körperschaftsteuer. Und am Ende zahlt die Republik sogar noch die Forschungsprämie für Tätigkeiten, die sie weder sieht noch prüft.

Die Behörden berufen sich zwar auf das Gesetz, doch Fakt ist: Der Stand der F&E Beschäftigten steigt seit Jahren weniger stark an als die für F&E gemeldeten und abgerechneten Kosten im selben Zeitraum. Das nährt den Verdacht, dass ein Teil des gemeldeten F&E-Volumens weniger mit zusätzlichen Forscher:innen als mit steuerlicher Optimierung zu tun hat.

Die heute zuständige Struktur schafft also eine Situation, in der die FFG zwar ein Etikett „Forschung ja oder nein“ vergibt, aber keinerlei Einsicht in Budgets, Rechnungen oder tatsächliche Arbeitsinhalte hat. Das Finanzamt hingegen prüft nur die Zahlen, nicht aber die Substanz. Der:die Informant:in sagt: „So etwas darf nicht getrennt geprüft werden. Wir würden bei einer echten fachlichen Prüfung sofort sehen, was Forschung ist und was bloß Entwicklungsarbeit oder sogar Routineproduktion.“ Doch genau das findet heute nicht statt.

Parlamentarische Anfrage und Evaluierung bestätigen Schwachpunkte

Mehrere Evaluierungsberichte, wie zuletzt jener des Finanzministeriums 2017, kritisieren diese Schwachstellen im System: Mitnahmeeffekte seien real, die Datenerhebung zu ungenau, und die Trennung von technischer & steuerlicher Prüfung führe zu Kontrolllücken. Auch internationale Vergleiche (zum Beispiel mit den Niederlanden) zeigen, dass andere Länder strengere Dokumentationspflichten und klarere Abgrenzungen zwischen Forschung und Entwicklung vorsehen.

Zusätzlich zeigt eine parlamentarische Anfragebeantwortung des BMF aus 2025: Es gibt keine Erhebung darüber, wie viel der geltend gemachten Leistungen im Ausland erbracht wurde, keine Aufschlüsselung der eingereichten Kosten (Löhne, Investitionen, Gemeinkosten etc.) und vor 2026 ist keine vollständige technische Verknüpfung der Prüfdaten möglich.

Von rund 9.000 Anträgen pro Jahr wurden zwischen 2019 und 2024 lediglich 270 bis 340 Im Rahmen von Betriebsüberprüfungen tatsächlich geprüft, das entspricht nur 3 Prozent.

Eine Rechnung, die nicht aufgeht

Unsere Quelle hat dazu eine einfache, aber aufschlussreiche Verdeutlichung: Unternehmen müssen für eine FFG-Basisförderung von insgesamt rund 330 Millionen Euro jährlich rund 30 Seiten Antrag schreiben, jeden Euro nach Vorschrift abrechnen und am Ende noch Projektberichte liefern.Im Rahmen der Forschungsprämie fließen über viermal so viele Mittel - mit deutlich weniger Kontrolle. Für einen Teil der  1,4 Milliarden reicht meist eine Kurzbeschreibung von wenigen Absätzen. „Man könnte meinen, der Staat vertraut bei der kleinen Summe nicht, aber bei der großen einfach blind“, so ihre Einschätzung. 

Das gesamte EU-Rahmenprogramm Horizon Europe verfügt über ein Jahresbudget von rund 14 Milliarden Euro für alle Mitgliedsstaaten, inklusive komplexer Projektprüfungen, internationaler Gemeinschaftsprojekte und externer Überprüfungen. Und Österreichs Wirtschaft gibt allein bei den geförderten Anträgen zur Forschungsprämie an, sie zahle jährlich etwa zehn Milliarden Euro aus eigener Tasche in Forschung und Entwicklung? „Das klingt eher nach kreativer Steueroptimierung als nach realer Forschungstätigkeit“, meint unsere Quelle dazu.

Großzügige Praxis in Zeiten von Sparzwang

Die Dimension macht sie mit einem Vergleich greifbarer: Das AIT (Österreichs größte Forschungseinrichtung) verfügt über rund 1.500 Forschende und ein mehrere hundert Millionen Euro schweres Jahresbudget. Wenn österreichische Unternehmen jährlich rund zehn Milliarden Euro F&E-Kosten geltend machen, wäre das rechnerisch das Vielfache dieser Größenordnung. Das wäre ein Ausmaß, das angesichts der tatsächlichen Forschungslandschaft in Österreich zumindest Fragen aufwirft. 

Das ist zwar kein Beweis, aber ein Hinweis darauf, wie groß die steuerlich geltend gemachte Forschungsleistung sein müsste, wenn sie real in dieser Größenordnung stattfindet. Ob diese angegebenen Ausgaben wirklich Forschung darstellen, wird jedoch kaum geprüft. „Beratungsfirmen werben mittlerweile gezielt damit, Tätigkeiten prämienfreundlich zu verpacken“, sagt der:die Informant:in. „Das System lädt dazu ein.“

Gerade in diesen Zeiten ist das Thema von besonderem Interesse. Während im Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich gespart wird, während Beratungsstellen schließen müssen, während Kinder- und Jugendhilfe sowie Präventionseinrichtungen alarmierende Kürzungen von Geldern hinnehmen, fließen gleichzeitig enorme Summen in ein System, dessen Nutzen kaum überprüft wird. Die Frage, warum ausgerechnet hier die vielen Millionen recht intransparent durchrutschen, ist daher nicht nur technisch, sondern zutiefst politisch. Es geht um die Prioritäten eines Staates, der sich angesichts wachsender Budgetlöcher bemüht, an allen Ecken und Enden zu sparen. Nur dort großzügig bleibt, wo große Unternehmen profitieren.

Der:die Informant:in fordert deshalb eine grundlegende Reform. Ihrer Ansicht nach sollte die Forschungsprämie vollständig der FFG übertragen werden, wo fachliche Expertise und finanzielle Prüfung in einer Hand liegen. Sie verlangt klare Vorgaben, welche Unterlagen Unternehmen aufbewahren müssen, damit nachvollziehbar wird, welche Leistungen wann, wo und durch wen erbracht wurden. Vor allem aber fordert sie Transparenz darüber, wohin die 1,4 Milliarden Euro jährlich tatsächlich fließen und ob die geförderten Tätigkeiten überhaupt Forschung sind. 

Nun wurde für 2026 eine Reform der Prämie angekündigt.Inwieweit sie für mehr Transparenz und Verbesserung der Kritikpunkte sorgen wird, bleibt abzuwarten.

„Innovation ist wichtig“, sagt unser:e Informant:in, „aber es ist absurd, dass der Staat für Forschung zahlt, ohne zu prüfen, ob diese Forschung überhaupt stattgefunden hat und ob sie am Ende Österreich zu Gute kommt“.

 

 

Das sagen die betroffenen Behörden zu den Vorwürfen:

Die FFG weist jede Verantwortung für die inhaltliche Kontrolle der Forschungsprämie zurück – und bestätigt damit das strukturelle Problem. Sie sieht weder Unterlagen, noch Rechnungen, noch Projektbudgets. Sie beurteilt lediglich, ob ein Vorhaben formal als Forschung eingestuft werden kann. Ob die behaupteten Tätigkeiten durchgeführt wurden, ob sie in Österreich stattgefunden haben oder ob Kosten plausibel sind, könne sie nicht beurteilen. Dafür sei das Finanzamt zuständig, das wiederum keine fachliche Beurteilung vornimmt. Die Folge ist ein System, in dem jede Behörde nur ihren engen Zuständigkeitsbereich sieht und niemand den Gesamtzusammenhang prüft. 

 

Das Bundesministerium für Finanzen (BMF): Moment.at stellte dem Finanzministerium zehn konkrete Fragen zur Forschungsprämie, unter anderem zur Prüfstruktur, zur fehlenden Obergrenze bei ausgelagerter Forschung, zu Auslandstätigkeiten, zur mangelnden Datenerfassung, zur geringen Prüftiefe sowie zu möglichen Reformen. 

Die Antwort fiel knapp aus: Man prüfe „auf Basis der geltenden Standards“ und die „derzeitige Ausgestaltung habe sachliche Gründe“. Auf Nachfrage, warum keine Detailangaben vorgelegt wurden, teilte das Ministerium zusätzlich mit, man könne derzeit „nur allgemein antworten“, weshalb es auch keine Antworten gäbe.


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