Mariya ist gehörlos: „Ich kann alles, nur Hören kann ich nicht“
An die Kommunikation damals mit ihren Eltern kann Mariya Menner sich kaum erinnern. Ihre Mutter und ihr Vater sind nach Österreich geflüchtet und konnten kein Deutsch, sie waren nicht nur mit der Situation überfordert, sich in einem neuen Land zurechtzufinden, sondern sie konnten auch keine Gebärdensprache.
Erst im Kindergarten, als Mariya zwei Kleinkinder in Gebärdensprache, um eine Puppe streiten sah, verstand sie sofort die Gesten. Für sie war es der Moment, wo sie erkannte:
„Gebärdensprache ist meine erste Sprache.“
Heute rät sie Eltern von gehörlosen Kindern, schon von klein auf mit ihrem Baby Gebärdensprache zu üben und zu lernen. Nur so könne man Talente fördern und auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen.
Wie sind die Bildungschancen für gehörlose Menschen in Österreich?
In Österreich leben ungefähr 456.000 Menschen mit einer dauerhaften Hörbeeinträchtigung – davon sind ca. 10.000 vollständig gehörlos. Im Österreichischen Bildungssystem fehlt es oft an der nötigen Unterstützung, die Gehörlose wirklich bräuchten. Von Dolmetscher:innen angefangen – es gibt nicht genügend, oft sind sie ausgebucht – bis zur fehlenden Frühförderung, sowie Unterstützung an Schulen.
Meine Kollegin Helena Brandtweiner hat zu diesem Thema einen ausführlichen Artikel dazu verfasst – den solltest du unbedingt lesen.
Warum ist Gebärdensprache nicht schon längst fest im Bildungssystem verankert?
Beim Weltkongress für die Bildung gehörloser Menschen in Mailand 1880 wurde die Gebärdensprache für den Bildungsbereich abgeschafft – hörende Pädagog:innen entschieden sich dazu, die mündliche Methode (Oralismus) vorzuziehen.
Die Gebärdensprache wurde verboten und es durfte nur noch in der Lautsprache unterrichtet werden – Sprich: Anstatt Gebärdensprache zu lernen, sollten Gehörlose Sprache und Sprechen lernen – etwa durch Lippenlesen und durch Lautsprachentwicklung.
Dieser Beschluss hat sich bis heute ausgewirkt – erst 2005 kam es zur Anerkennung der Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in Österreich. Diese ist in der Bundesverfassung als eigenständige, einheimische Minderheitensprache anerkannt.
Das Recht auf Gebärdensprache – Ein Menschenrecht.
Die Gebärdensprache ist die Muttersprache vieler gehörloser Menschen – sie ist ein Menschenrecht, weil sie für gehörlose und schwerhörige Menschen eine grundlegende Möglichkeit zur Kommunikation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben darstellt.
Sie ist wichtig für die Selbstbestimmung.
Das Bildungssystem versucht noch immer, die Gehörlosen an das bestehende System anzupassen (Integration), statt das System auch für sie passend zu gestalten (Inklusion).
Bis heute gibt es kein Gesetz, das die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) als Amts- und Unterrichtssprache verankert.
„Man sieht wirklich, wie begabt die Kinder sind, wenn sie Gebärdensprache bekommen.“
Mariya wünscht sich, dass Gehörlose auf Augenhöhe behandelt werden, davon würden alle profitieren. In Bildungseinrichtungen merkt man schnell, wenn sie gefördert werden: „Man sieht wirklich, wie begabt die Kinder sind, wenn sie Gebärdensprache bekommen.“
Am Ende unseres Interviews wendet sich Mariya Menner nochmal zur Kamera und betont stolz: „Ich kann alles! Nur Hören kann ich nicht. Und wenn man Gehörlose kennenlernt, sollte man sich wirklich die Zeit nehmen, sie kennenzulernen. Das sind oft ganz großartige Menschen mit vielen Talenten.“