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Kapitalismus

Geld zurück für ausgefallene Flüge? Bitte warten!

Verfallene Flugtickets im Wert von Hunderten Millionen Euro müssen die Airlines ihren KundInnen rückerstatten. Doch die verzögern und vertrösten wo es nur geht. „Da ist Gesetzlosigkeit ausgebrochen“, sagen VerbraucherschützerInnen und vermuten System dahinter. Wir zeigen, wie Du den Fluglinien Druck machen kannst.
Bei Austrian Airlines ist die Musik vom Band in der Warteschleife ein Klassiker: Wer bei der Service-Line anruft, dem klingt Johann Strauss‘ „An der schönen blauen Donau“ entgegen, die wohl bekannteste Wiener-Walzer-Melodie. Derzeit kommen viele ÖsterreicherInnen in den Genuss des Musikstücks. Sie rufen an, weil sie wissen möchten, wo ihr Geld bleibt. Geld, das sie der AUA gezahlt haben für Flüge, die dann wegen des Lockdowns aufgrund der Coronavirus-Pandemie annulliert werden mussten.

In der Flugbranche ist die Gesetzlosigkeit ausgebrochen.
Peter Kolba, Verbraucherschützer, Ex-Nationalratsabgeordneter

Die Rechtslage ist eigentlich völlig klar: Den am Boden gebliebenen Fluggästen muss der Ticketpreis rückerstattet werden. Anstandslos und innerhalb von sieben Tagen. So sieht es die EU-Fluggästeverordnung vor. Aber die Fluglinien zahlen nicht. „In der Flugbranche, im Tourismus generell, ist seit einigen Monaten die Gesetzlosigkeit ausgebrochen“, sagt Peter Kolba zu MOMENT.

Der Verbraucherschützer und frühere Nationalratsabgeordnete der Liste Pilz schlägt sich derzeit viel mit renitenten Fluglinien herum. Sein Verbraucherschutzverein schickt im Namen betroffener KundInnen anwaltliche Mahnbriefe an die Fluglinien. Sie sollen zahlen, sonst werde geklagt. „Die Idee, dass man einen Flugpreis bei einem abgesagten Flug zurückzahlen muss, setzt sich erst langsam durch bei den Fluglinien“, sagt Kolba.

300 Millionen Euro Schulden bei den Fluggästen

Das beobachtet auch Maria Semrad vom Europäischen Verbraucherzentrum in Wien. „Die Linien wissen, dass sie zahlen müssen, aber sie zahlen nicht aus“, sagt sie. Dabei geht es nicht um ein paar Euro, sondern um richtig viel Geld. Laut Brancheninsidern schulden die Fluglinien ihren KundInnen in Österreich rund 300 Millionen Euro. Allein in die Lufthansa-Gruppe, zu der die AUA gehört, muss Tickets im Wert von 200 Millionen Euro zurückzahlen.

Die Rückerstattung zahlt sich der Steuerzahler ja quasi eh selbst.
Maria Semrad, Europäisches Verbraucherzentrum

Doch das stockt: Stattdessen werden „im großen Stil Gutscheine angeboten“, sagt Semrad. Bei ihr landen pro Tag bis zu 40 Anfragen allein die Lufthansa betreffend. „Die Fälle sind teils schon Monate alt“ so Semrad. „Bei Linien, die Staatshilfen bekommen haben, haben die Leute kein Verständnis mehr.“ Denn die Rückerstattung zahle sich „der Steuerzahler ja quasi eh selbst“, sagt sie – da könnte man zumindest erwarten, dass das Geld auch kommt.

Die Lufthansa habe bisher nur wenige Prozent der in Deutschland und Österreich verfallenen Tickets zurückbezahlt. Das zeigen Zahlen von Fairplane, einer der inzwischen zahlreiche Agenturen, mit deren Hilfe Fluggäste ihr Geld zurückerhalten können – gegen eine prozentuale Beteiligung versteht sich. In Österreich arbeitet Peter Kolba mit Fairplane zusammen. Seine Beobachtung: Seitdem die AUA gerettet ist, „gibt es eine Welle an Rückzahlungen“, sagt er. „Auch ich habe heute Geld zurückerhalten für einen ausgefallenen Flug.“

Laudamotion duckt sich weg

Derzeit würde wöchentlich „ein einstelliger Millionenbetrag“ zurückgezahlt, sagt AUA-Sprecherin Marleen Pirchner zu MOMENT. Leider habe man „nach wie vor einen Rückstau an zu bearbeitenden Anfragen“, sagt sie. „Wir können uns nur bei allen Passagieren entschuldigen.“ Die andere zumindest formal österreichische Linie Laudamotion reagierte bis zuletzt nicht auf eine Anfrage von MOMENT. Die Billiglinie duckt sich weg, auch gegenüber den KundInnen: „Laudamotion hat bisher gar nichts ausbezahlt“, sagt Peter Kolba.

Das geht in die Irreführung.
Peter Kolba

Bei der Ryanair-Tochter ist es ein wenig fad in der Warteschleife. Dort läuft generische Fahrstuhlmusik. Immerhin informiert die Stimme vom Band, wie lange AnruferInnen ausharren müssen, bis sie vielleicht einen echten Menschen an den Hörer bekommen: „mehr als 20 Minuten“. Eine Zeitangabe, die nach oben offen ist und nicht gerade dazu motiviert dranzubleiben.

Der andere Weg, sein Recht einzufordern geht übers Internet. Laudamotion beziehungsweise Ryanair, die im Mai ihre österreichischen MitarbeiterInnen zwingen wollte, Dumpinggehälter zu akzeptieren oder sie sind ihren Job los, ist da besonders perfide: Sie tut so, als ob es nur Gutscheine für spätere Flüge gebe. Wer tatsächlich sein Geld zurückhaben möchte, bekommt überhaupt keine Informationen, wie das geht. Laut Kolba gehen die Art und Weise, wie Fluglinien hier ihre KundInnen behandlen „in die Irreführung“.

KundInnen geben Airlines praktisch Mikrokredite

„Die Fluglinien versuchen KundInnen massiv diese Gutscheine aufs Auge zu drücken“, sagt Semrad. VerbraucherschützerInnen raten ab darauf einzugehen. Denn geht die Fluglinie, wie zuletzt Level, in der Zwischenzeit pleite, schauen sie erst recht durch die Finger. Und wer seinen Flug auf einen späteren Termin umbuche, könne auch nicht wissen, ob der dann nicht erneut abgesagt werden muss, weil es wegen des Coronavirus wieder Reisebeschränkungen gibt.

Kein Unternehmen gibt gern Geld zurück, besonders nicht Fluglinien in diesen Tagen. Die Branche hängt in den Seilen. Indem sie Tickets nicht zurückerstatten, „versuchen die teilweise nicht in Konkurs zu schlittern“, sagt Semrad. „Es geht wohl darum Liquidität zu bunkern“, sagt auch Kolba. Übersetzt heißt das: Die KundInnen haben den Airlines praktisch zinsfreie Mikrokredite gegeben, mit denen die jetzt ihren Betrieb aufrecht erhalten können. Und sie machen es ihren GläuberInnen verdammt schwer, das Geld zurückzuerhalten.

Airlines haben die automatische Rückerstattung einfach ausgeschaltet.
Rainer Klee, Tickethändler AER

Dabei könnte das ganze praktisch automatisch abgewickelt werden. Schließlich sind die Tickets elektronisch gebucht, Zahlungsdaten hinterlegt, die Rechtslage klar. Doch: „165 von 180 Airlines haben die üblicherweise automatische Rückerstattung zu Beginn der Coronakrise einfach ausgeschaltet“, berichtete Rainer Klee vom Tickethändler AER dem Handelsblatt. „In den vergangenen Wochen war es sicher so, dass diese Systeme abgeschaltet wurden“, sagt Kolba.

Auf die Frage von MOMENT, ob auch Austrian Airlines so vorgegangen ist, geht die Konzernsprecherin nicht direkt ein. „Die Anträge auf Rückerstattung unserer Passagiere werden von unseren Mitarbeitern bearbeitet“, sagt Marleen Pirchner. Und die seien jetzt wegen der vielen Anfragen und weil der Betrieb erst langsam wieder hochgefahren werde etwas hinten nach. Kolba ist skeptisch: „Ich halte das für eine glatte Ausrede.“

Rat: Kreditkartenzahlung stornieren

Er empfiehlt „sich nicht hinhalten zu lassen mit irgendwelchen Formularen, die online ausgefüllt werden müssen“. Am einfachsten sei es, möglichst rasch einen eingeschriebenen Brief abzuschicken und darin den Betrag unter Angabe von Flugnummer und Kontodaten einzufordern. Dafür gibt es Vorlagen im Internet. Und natürlich könne man sich auch an Kolbas Verbraucherschutzverein wenden.

Die wohl bekannteste Anlaufstelle für sich geprellt fühlende VerbraucherInnen, der Verband für Konsumenteninformation (VKI), sammelt bis Ende des Monats Beschwerden von FlugkundInnen und will die dann gegen die Linien einbringen. Rund 5.000 Beschwerden seien bereits eingegangen, so Maria Semrad vom Europäischen Verbraucherzentrum, dem der VKI angehört. Ihr Rat falls sich eine Fluglinie langanhaltend querstellt: Wurde per Kreditkarte gebucht, „dann empfehlen wir, über die Kreditkarten-Firma ein sogenanntes charge back zu machen“ – also selbst die Zahlung zu stornieren.

Als Verbraucherschützer raten wir, grundsätzlich nicht über Vermittler zu buchen.
Maria Semrad

Kompliziert wird es, wenn KundInnen über eine der zahlreichen Vermittlungsplattformen ihren Flug gebucht hätten. „Da geht es erstmal so richtig los“, sagt Semrad. Die Vermittlerfirmen seien oft schwierig überhaupt zu erreichen und lehnten es dann erst recht ab zurückzuerstatten. „Sie verweisen einen an die Airline, die Airline wiederum an den Vermittler“, sagt Semrad. Sie betont: Auch wenn über Vermittler gebucht wurde, „Anspruchsgegner ist die Fluglinie“.

Sie empfiehlt trotzdem, sich erst an die Ticketagentur zu wenden und danach an die Linie. Und: „Als Verbraucherschützer raten wir, grundsätzlich nicht über Vermittler zu buchen“. Die ach so günstigen Flugtickets würden die Fluglinien oft auch für die anbieten, die direkt bei ihnen buchen.

74.500 Euro erstritten – da ist Luft nach oben

Fluggäste können auch bei der staatlichen Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf) um Hilfe bitten. „Wenn die Linien nach sechs Wochen nicht bezahlt haben, leiten wir ein Schlichtungsverfahren ein“, sagt Sabrina Köcher zu MOMENT. „Bis jetzt gab es nur einen Fall, wo sich eine Airline dann noch immer geweigert hat zu zahlen und nur einen Gutschein angeboten hat“, berichtet sie. Bis jetzt wurden 347 solcher Verfahren im Zuge der Corona-Krise eröffnet und die Hälfte davon abgeschlossen. Dabei wurden „bisher rund 74.500 Euro für Passagiere erwirkt“, so die apf. Da ist noch Luft nach oben.

Es ist davon auszugehen, dass viele Passagiere ihr Recht auf Erstattung gar nicht erst einfordern.
Laura Kauczynski, Air Help

Ein Problem: Viele KundInnen wissen gar nicht, dass sie auf dem Geld für das verfallene Flugticket bestehen können. Laut einer YouGov-Umfrage aus dem vergangenen Jahr kennen nur 17 Prozent der EU-BürgerInnen ihre gar nicht mal so wenigen Rechte als Fluggäste. „Es ist also davon auszugehen, dass viele Passagiere ihr Recht auf Erstattung gar nicht erst einfordern“, sagt Laura Kauczynski von Air Help, einer weiteren Agentur, die KundInnen gegen Gebühr verspricht, ihr Geld von den Linien zurück zu bekommen.

In der Umfrage gaben 6 von 10 KundInnen an, dass Fluggesellschaften ihre Forderungen zunächst abgelehnt hätten. Wer sein Geld von den Fluglinien zurückerhalten möchte, muss also vor allem vor allem hartnäckig sein – und ein geduldiger Hörer von Warteschleifenmusik

 

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