Gewalt an Frauen: österreichische Medien machen aus strukturellem Problem tragische Einzelfälle
Erst kürzlich sorgte die Berichterstattung von Krone, Heute und oe24 über den Femizid an einer 31-jährigen Grazerin für eine Welle an Kritik. Der Boulevard verharmloste ihre Ermordung und inszenierte sie theatralisch. Der Täter und seine Perspektive bekamen eine große Bühne. „Täter sagt jetzt: Ich habe sie doch geliebt”, titelte etwa die Kronen Zeitung. Die Heute schrieb von „Weinkrämpfen in der Zelle” und davon, wie sehr der Täter seine Ex-Freundin vermisse.
Solche Berichte lassen Gewalttaten an Frauen wie tragische Einzelfälle wirken und führen zu ihrer Normalisierung. Das ist gefährlich, denn geschlechtsspezifische Gewalt ist alles andere als das: sie ist ein ernstzunehmendes strukturelles Problem. Jede dritte Frau in Österreich erlebt körperliche oder sexualisierte Gewalt, 2025 gab es bisher 15 Femizide.
Forschungslage: österreichische Gewaltberichterstattung
Zwei Studien haben die Gewaltberichterstattung in Österreich erforscht. Die erste ist aus dem Jahr 2020 und stammt vom Markforschungsinstitut Media Affairs. Die zweite veröffentlichte die FH St. Pölten im Jahr 2024. Während Media Affairs allgemein die Darstellung von Gewalt an Frauen in Österreich untersuchte, fokussiert sich die Studie der FH explizit auf die Femizid-Berichterstattung und bezieht auch Deutschland und die Schweiz ein.
Wie die Ergebnisse der Studien aussehen und wie verantwortungsvolle Gewaltberichterstattung funktioniert, liest du in diesem Artikel.
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Wenn Gewalt zum Einzelfall gemacht wird
Ein zentrales Problem in österreichischen Medien ist die Darstellung von geschlechtsspezifischer Gewalt als Abfolge vermeintlich isolierter Einzelfälle. Der Fokus der Berichterstattung liegt Großteils auf dem Tatgeschehen konkreter Fälle: Wer hat was getan, wann, warum, wie brutal? Strukturelle Ursachen geraten aus dem Blick.
Getrieben wird diese Einzelfalldarstellung vom Boulevard. Er produziert den Großteil der Berichterstattung und erzählt besonders brutale Fälle detailreich nach, oft über Tage hinweg. In der Media-Affairs-Studie hatte die Tageszeitung Österreich den größten Output an Texten, gefolgt von der Kronen Zeitung.
Warum eine strukturelle Perspektive nötig ist
Gewalttaten an Frauen sind alles andere als Einzelfälle. Sie sind ein strukturelles Problem, das auf gesellschaftlich hergestellten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern basiert. Die meisten Taten passieren in Beziehungen oder Familien, die Täter sind meist Männer aus dem nahen Umfeld wie Partner oder Ex-Partner. Die Gewalt findet also dort statt, wo sie für die Öffentlichkeit nicht sichtbar ist. Gerade deshalb kommt den Medien eine zentrale Rolle zu: Sie können zeigen, dass es sich um ein systemisches Problem handelt. Das kann auch Betroffene darin bestärken, sich Hilfe zu holen.
Laut Media Affairs fehlt diese strukturelle Einordnung in der Gesamtberichterstattung weitgehend. Qualitätsmedien stechen aber positiv hervor: Rund zwei Drittel der Beiträge im Standard und der Presse behandeln Gewalt an Frauen als gesellschaftliches Problem. Sie thematisieren etwa politische Verantwortung, rechtliche Rahmenbedingungen, Statistiken, Prävention oder Hilfsangebote.
In der Studie der FH St. Pölten zeigte sich kaum ein Unterschied zum Boulevard: Selbst Qualitätsmedien würden in fast 90 Prozent der Fälle aus einer Einzelfall-Perspektive über Femizide berichten, heißt es dort. Die Unterschiede können, wie bei anderen Ergebnissen auch, mit den unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten, Datengrundlagen, Definitionen, etc. zu tun haben. So wurde etwa die immer wieder für ihre Berichterstattung kritisierte Boulevard-Tageszeitung Österreich in der St. Pöltner Studie nicht untersucht. Die Media-Affairs-Studie hat wiederum keine deutschen und Schweizer Medien betrachtet.
Wenn Gewaltberichterstattung zum Thriller wird
Im Boulevard ist der Verbesserungsbedarf aber am größten. Dort verbindet sich die Einzelfallperspektive häufig mit einer reißerischen Erzählweise. Um Aufmerksamkeit zu generieren, kommen dramatische Aufmacher, übersteigerte Wortwahl, intime Details zu Opfer und Täter sowie schockierende Bilder zum Einsatz. In der Media-Affairs-Studie enthielten rund 95 Prozent der Beiträge in der Tageszeitung Österreich solche Elemente, in der Kronen Zeitung sind es ebenfalls über 90 Prozent.
Diese Skandalisierung verletzt die Privatsphäre von Betroffenen, kann retraumatisieren und prägt eine öffentliche Wahrnehmung, in der Gewalt individualisiert wird statt erklärt.
Ein Femizid ist kein „Beziehungsdrama“
Mit reißerischer Berichterstattung gehen auch verharmlosende Tatbezeichnungen einher. Das zeigt sich, wenn die Ermordung einer Frau als „Beziehungsdrama“ oder „Familientragödie“ bezeichnet wird. Solche Begriffe verschleiern, dass es sich um Männergewalt handelt, und legen nahe, alle Beteiligten würden Verantwortung tragen oder das Geschehen sei „schicksalhaft“ und „unvermeidbar“. Deshalb braucht es präzise Tatbezeichnungen.
Begriffe wie Femizid oder Feminizid benennen die strukturelle Dimension klar: Das Wort Femizid bezeichnet die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Der Begriff Feminizid verweist zusätzlich auf staatliches Versagen, wenn Gewalt an Frauen nicht verhindert oder nicht ausreichend verfolgt wird.
Die Studie der FH St. Pölten zeigt, dass deutschsprachige Medien nur selten korrekte Tatbezeichnungen verwenden, wenn sie über Femizide schreiben. Österreich schneidet dabei ambivalent ab. Korrekte Bezeichnungen wie „Femizid“ kommen hier etwas häufiger vor als in Deutschland oder der Schweiz, gleichzeitig aber ist Österreich klarer Spitzenreiter bei verharmlosenden Formulierungen. Wörter wie „Beziehungsdrama“ oder „Bluttat“ finden sich in rund 38 Prozent der Berichte über Femizide, in Deutschland „nur” in etwa 9 Prozent.
Der Täter steht zu sehr im Fokus
In vielen Beiträgen stehen nicht die gewaltbetroffenen Frauen, sondern die Täter im Mittelpunkt. Laut Media Affairs geschieht das besonders häufig in der Kronen Zeitung und in der Tageszeitung Österreich, wo etwa die Hälfte der ausgewerteten Artikel stark täterorientiert war. Dabei werden auch Details über den Täter verbreitet, die ihn verharmlosen oder sogar sympathisch wirken lassen. So wie vor kurzem in einem Bericht der Kronen Zeitung über einen Vergewaltigungsprozess, in dem der verurteilte Täter als groß, gutaussehend und sympathisch beschrieben wurde.
Problematisch ist es auch, wenn Medien ein Verständnis für Gewalttaten vermitteln. Das passiert, wenn äußere Faktoren als Erklärung für die Tat genannt werden – Media Affairs nennt etwa Eifersucht, Alkohol, Drogen, Stress oder Jobverlust. Ebenso kritisch ist es, wenn dem Opfer indirekt Verantwortung zugeschrieben wird: durch Hinweise auf Kleidung, eine Zurückweisung, eine Trennung oder darauf, dass eine Frau „nachts allein unterwegs“ war.
Solche „Begründungen“ sind gefährlich, denn sie verschleiern die tatsächlichen Gründe wie patriarchale Strukturen und männliche Besitzansprüche. Betroffenen kann dadurch auch der Mut genommen werden, sich Hilfe zu holen, weil der Eindruck entsteht, dass ihnen ohnehin niemand glauben wird.
Was hat das mit Migration zu tun?
In der Berichterstattung über Gewalt an Frauen betonen Medien häufig die Nationalität des Täters, wenn dieser nicht aus Österreich ist oder eine Migrationsbiografie hat. Das könne Vorurteile schüren, zitiert Media Affairs Sibel Öksüz vom Verein Orient Express, der migrantische Frauen in Fällen von Gewalt berät. Die eigentlichen Ursachen für Gewalt gegen Frauen sieht Öksüz in patriarchalen Strukturen und Machtverhältnissen – und die seien überall zu finden.
In der österreichischen Femizid-Berichterstattung wird die Migrationsbiografie von Tätern deutlich häufiger erwähnt als in Deutschland oder der Schweiz – das zeigt die Studie der FH St. Pölten. Wenn die Herkunft genannt wird, kommen auch öfter reißerische oder verharmlosende Tatbezeichnungen vor. Laut den Studienautor:innen fügt sich das in ein Muster deutschsprachiger Medien ein: geht es um Migrant:innen, kommen häufig rassistische Narrative und eine Darstellung als „die Anderen“ vor.
So geht es besser: Leitlinien
Bei der Gewaltberichterstattung österreichischer Medien besteht ein erheblicher Verbesserungsbedarf, vor allem im Boulevard – das haben die beiden Studien und aktuelle Beispiele gezeigt. Wie das geht, ist längst bekannt. Zum Abschluss deshalb noch einige wichtige Leitlinien zusammengefasst:
- Gewalttaten an Frauen als strukturelles Problem darstellen und nicht als „tragische Einzelfälle“.
- Die Ursachen der Gewalt wie patriarchale Strukturen und Besitzansprüche klar benennen.
- Einen respektvollen Ton wahren und nicht reißerisch und sensationalistisch berichten.
- Femizide als solche benennen, anstatt verharmlosende Tatbezeichnungen wie „Beziehungsdrama“ zu verwenden.
- Keine vermeintlichen „Begründungen“ nennen, die den Täter entschuldigen oder zu einer Täter-Opfer-Umkehr führen (z. B. Trennung, Streit, Alkohol).
- Auf Hilfsangebote für Betroffene und Täter verweisen.
- Deutlich machen, dass Gewalt an Frauen in allen Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten vorkommt.
- Die Verantwortung der Politik in Bezug auf die Prävention von und den Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt thematisieren.
- Betroffene selbst zu Wort kommen lassen, den Täter weniger in den Mittelpunkt stellen.
- Expert:innen zu Wort kommen lassen, die einen strukturellen Blickwinkel liefern.
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