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Ungleichheit

Gewalt an Frauen: Mit diesen Fehlern lassen Medien die Opfer immer wieder im Stich

Beim Thema Gewalt an Frauen machen Medien immer wieder schwerwiegende Fehler. Eine neue Studie zeigt, wie groß das Problem ist.

 
Eine neue Studie zeigt, wie Medien über Gewalt an Frauen berichten – und welche Fehler sie dabei immer wieder machen.

Ein “Familienstreit” ist eskaliert, ein “Beziehungsdrama” hat seinen Lauf genommen. Solche Überschriften kennst du bestimmt. Was dahinter steckt? Meistens ein Mann, der eine Frau umgebracht hat. Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen mehr Frauen als Männer gewaltsam sterben. Im vergangenen Jahr wurden 39 Frauen getötet, die meisten Täter sind aus dem nahen Umfeld.

Medien haben Einfluss darauf, wie Themen wahrgenommen werden. Bei Gewalt an Frauen haben sie noch einiges an Nachholbedarf, wie eine neue Studie zeigt. Die Agentur für Medienanalyse Media Affairs hat dafür jeden einzelnen Artikel in den gedruckten Ausgaben von Krone, Österreich, Heute, Kurier, Standard und Presse zum Thema Gewalt an Frauen im Jahr 2019 analysiert.

Die wichtigsten Ergebnisse und gröbsten Fehler haben wir für dich zusammengefasst:

#1 Gewalt als Einzelfall darstellen

Der verrückte Psycho-Killer, der eifersüchtige Freund, der normale Typ, der plötzlich ausgerastet ist – es gibt verschiedene Schablonen, in die Täter gepresst werden können. Nur eine Komponente fehlt auffällig oft: der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang der Taten.

„Wenn Medien auf Einzelfälle fokussieren, machen sie Gewalttaten zu einem individuellen Problem. Das sind sie aber nicht“, sagt Studienleiterin Maria Pernegger von Media Affairs. „Eine von fünf Frauen erlebt im Laufe des Lebens Gewalt. Das ist so eine hohe Zahl, dass wir von einem gesellschaftlichen Problem sprechen müssen.“ Konkreter heißt das Problem Männergewalt. 93 Prozent der TäterInnen, die in den Medien vorkommen, sind männlich, nur 2 Prozent sind weiblich.

Vor allem die Boulevard-Zeitungen Krone, Österreich und Heute reduzieren Gewalttaten auf Einzelfälle, aber auch im Kurier macht diese Art von Berichterstattung den Großteil aus.

 

Damit wird verschleiert, dass ein Mord meist das Ende einer langen Gewaltspirale ist. Die meisten TäterInnen kommen aus dem Umfeld des Opfers, sie sind oft (Ex-)Partner. Gegen den Mann etwa, der Anfang 2019 seine Ehefrau ermordete, wurde in der Vergangenheit eine Wegweisung ausgesprochen. In diesem Fall haben offensichtlich die Instrumente der Polizei versagt. Doch oft wird nicht danach gefragt, wie das überhaupt passieren konnte – in der Kronen Zeitung wird lieber gerätselt, was „den Vater zur Tat trieb“.

 
Auf dem Bild zu sehen ist ein Ausschnitt des Krone Artikels - der Artikel strotzt vor verharmlosender Sprache, die Gewalt gegen Frauen als Familiendrama darstellt.

Die Krone rätselt am 22. Jänner 2019, was „den Vater zu der Tat trieb“. Er hat seine Partnerin auf einem Parkplatz getötet.

Nur in sieben Prozent der Medienberichte kommen politische EntscheidungsträgerInnen zu Wort. Aber wenn wir es nicht schaffen, Menschen vor amtsbekannten Gewalttätern zu schützen, ist das ein politisches Versagen und verlangt nach politischen Konsequenzen. „Es wäre, zu hinterfragen, ob es politische Versäumnisse gab, so wie es beispielsweise beim Anschlag in Wien getan wird“, sagt Pernegger. Im Zusammenspiel zwischen Medien und Politik kritisiert sie die Themensetzung. „2018 gab es mit 41 toten Frauen einen traurigen Rekord. Trotzdem wurde im Laufe des Jahres zehnmal intensiver über das Kopftuch diskutiert. Auch das zeigen unsere Analysen.“

#2 Eine Erklärung suchen, auch beim Opfer

Wenn solche Taten Einzelfälle sind, dann liegt nahe, eine individuelle Erklärung zu suchen, manchmal sogar beim Opfer.

So erklärte die Boulevard-Zeitung Österreich zumindest, wieso ein Mann aus Wien zwei Menschen in Budapest umbrachte. Nicht nur das: In dem Artikel ist von einem „mutmaßlichen Escort-Girl“ die Rede. Dann darf ein „Insider“ mutmaßen: „Wie in Wien gemunkelt wird, wurde der Mann […] ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.“ Damit werden plötzlich die Opfer zu TäterInnen.

 
Auf dem Bild zu sehen ist der oben erwähnte Artikel von "Österreich". Der Täter war laut dem <span class=Boulevard Bericht aus einem "Rachefeldzug" - ein weiters Beispiel für verharmlosende Sprache." width="480" height="336" />

In der „Österreich“ wird das Opfer selbst zu Täterin – sie habe den Gewalttäter mit ihrer „Sippe ausgenommen“.

„Wenn Gründe gesucht werden, kann das bis zu einem gewissen Grad einer Rechtfertigung gleichkommen“, sagt Maria Pernegger. „Das passiert sogar bei dem Extremfall Mord. Dieses Wegerklären von Gewalt betrifft aber vor allem die Vorstufen. Zum Beispiel die Ohrfeige, die das Opfer angeblich provoziert hat.“ Sie befürchtet, dass Opfer sich dadurch weniger oft trauen, Hilfe zu suchen und die Erklärung für die Gewalt selbst in ihrem eigenen Verhalten suchen könnten.

#3 Erst beim Mord wird es interessant

Eine große Schwäche der Berichterstattung in österreichischen Medien ist, dass das Thema erst in den Fokus rückt, wenn ein Mann eine Frau gewaltsam umbrachte. Dabei ist Gewalt in Österreich weit verbreitet, viele Frauen erleben körperliche, sexualisierte oder psychische Gewalt in ihrem Leben. Der Mord ist oft „nur“ das Ende einer langen Gewaltspirale.

Die Studie ergab, dass die Boulevard-Zeitung Österreich mit Abstand am meisten über Gewalt an Frauen berichtete. Der Fokus lag allerdings auf brutalen Morden und spektakulären Kriminalfällen. Österreich ist ein Paradebeispiel für Berichterstattung, die an den großen Zusammenhängen vorbeigeht.

 

#4 Um den heißen Brei reden

Wenn ein Mann eine Frau tötet lesen wir oft von einer „Eifersuchtsszene“ oder einem „Familienstreit“, der „eskaliert“. In einem Viertel aller Beiträge war nicht auf den ersten Blick klar, um welche Tat es geht. Sie wurde meist verharmlosend umschrieben.

Ein besonders krasses Beispiel dafür findet sich in der Gratiszeitung Heute. „Eine lesbische Liebe brachte am Ende Hiebe“, steht dort über einer kurzen Meldung. Tatsächlich brach eine Frau ihrer Partnerin einen Wirbel.

 
Auf dem Bild zu sehen ist die Meldung "Eine lesbische Liebe brachte am Ende Hiebe" der Zeitung "Heute" .

In der Heute vom 22.3.2019 ist Gewalt einer Frau an ihrer Partnerin Anlass für ein Wortspiel.

#5 Aus einer Gewalttat eine Seifenoper machen

Besonders die Boulevard-Zeitungen Österreich und Krone begleiten Mordfälle teilweise tagelang mit Cover-Storys. Dabei beschreiben sie den Tathergang wie in einem Krimi, schreiben über den Mord, als wären sie selbst dabei gewesen und machen aus der Tat eine Sensation.

 
Auf dem Bild zu sehen ist ein Artikel von "Österreich"

Die „Österreich“ beschreibt einen Mord am 18.7.2019 so anschaulich, dass man fast glauben könnte, sie wäre vor Ort gewesen.

Nur in zwei Prozent der untersuchten Berichte kommen Betroffene selbst zu Wort. Kein Wunder, oft sind sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie für Medien interessant wären, tot. Wenn etwa die Heute schreibt, ein Opfer hätte „zwei Liebhaber“ gehabt, hat das keinen unmittelbaren Informationswert für LeserInnen. Man taucht aber tief in das Leben eines Opfers ein, das sich selbst nicht verteidigen kann.

 
Screenshot der Online Ausgabe der Zeitung "Heute" welcher der Toten zwei Liebhaber unterstellt und ihr damit Schuld an ihrer eigenen Ermordung gibt.

Die „Heute“ macht auf ihrer Website das Privatleben eines Opfers öffentlich, einfach so.

Wieso berichten Zeitungen überhaupt so ausführlich und reißerisch über Gewalttaten? „Wahrscheinlich, weil es funktioniert. Wir Menschen sind fasziniert vom Bösen und durch solche Berichte werden menschliche Abgründe sichtbar“, sagt Maria Pernegger. Doch nicht alles, was gekauft oder geklickt wird, sollte man auch bringen.

#6 Und so geht es richtig

Vor allem die Presse und der Standard verzichten in ihren Berichten über Gewalt an Frauen auf sensationsgeile Aufmachung. Die Hintergründe und gesellschaftlichen Zusammenhänge werden oft beleuchtet und auch ehemals Betroffene kommen zu Wort.

Maria Pernegger rät als drei wichtigste Punkte zur Berichterstattung:

  1. Über Gewalt berichten, sie sichtbar machen – und zwar nicht nur, wenn eine Frau ermordet wird. Die psychische, körperliche und sexualisiert Gewalt, die sich hinter der Fassade abspielt, nicht ignorieren.
  2. Einzelne Fälle in einen größeren Zusammenhang setzen und recherchieren, welche Angebote es für Opfer, aber auch für GewalttäterInnen gibt und wie Taten in Zukunft verhindert werden können.
  3. Respektvoll mit den Opfern und ihren Angehörigen umgehen. Keine privaten Details preisgeben, die keinen Informationswert haben. Sich dabei fragen: Wie kommt es bei dem Umfeld des Opfers an, wenn ich das schreibe?

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) hat außerdem gemeinsam mit dem Presserat einen ausführlichen Leitfaden veröffentlicht.

Mehr zum Thema:

Übrigens, in unserer Kategorie „Gegengelesen“ korrigieren wir unter anderem unsensible und reißerische Berichterstattung über Gewalt. Mehr findest du auf unseren Social-Media-Kanälen auf Facebook, Twitter und Instagram.

 
 

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