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Gesundheit
Ungleichheit

Kein Termin, keine Behandlung: Wie Frauen vom Gesundheitssystem im Stich gelassen werden

Alle Menschen müssen behandelt werden - sogar, wenn sie keine Krankenversicherung haben. Wie kommt es also, dass Frauen bei gynäkologischen Fällen im Stich gelassen werden?

 
Österreich brüstet sich mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt. Trotzdem erzählen drei Frauen MOMENT davon, wie sie bei einem gynäkologischen Notfall im Stich gelassen wurden. Wir haben uns angesehen, woran die Versorgung scheitert.

 

Martina hatte immer wieder medizinische Beschwerden. Teilweise fiel ihre Periode für ein halbes Jahr einfach aus. Mit 36 Jahren zeigten sich schon alle Anzeichen der Wechseljahre: Hitzewallungen, Schlafprobleme, Schweißausbrüche. „Mein damaliger Frauenarzt meinte bloß, solange ich keine Kinder möchte, brauchen wir uns darum nicht zu kümmern. In dem Moment war mir klar, dass ich mir eine neue Ärztin oder einen Arzt suchen werde“, sagt Martina, die eigentlich anders heißt.

Wenige Tage vor einer großen Flugreise, fing Martina an zu bluten. Zwei Tage lang musste sie stündlich ihre Menstruationstasse leeren, ein großer Fleck auf ihrer Matratze erinnert sie heute noch an diese Tage, in denen ihr Körper verrückt spielte und sie nicht wusste, was mit ihr passierte. „Auf Anraten meiner Mutter bin ich dann ins Krankenhaus gefahren. Ich wollte keinesfalls zu meinem alten Arzt.“

Im Notfall lieber privat

Die gute Nachricht: Sie wartete nur eine halbe Stunde, bis sie drangenommen wurde. Die schlechte: Die Ärztin erklärte ihr, dass sie Martina nicht untersuchen werde. Ihre starke Blutung sei ein normales gynäkologisches Problem und sollte daher von einer niedergelassenen Ärztin untersucht werden. Verzweifelt fragte Martina, ob sie ihr nicht ein Medikament verschreiben konnte gegen die Blutung. Nein, das konnte sie nicht.

Das Ganze ist mittlerweile rund zwei Jahre her. Geholfen hat Martina eine private Ärztin, die ihr noch am selben Tag ein Rezept ausstellte. Die Kosten dafür blieben damit an Martina hängen. Das österreichische Gesundheitssystem hat sie im Stich gelassen.

Blut im Bauch

Genauso ging es Teresa. Mit unheimlichen Schmerzen im Unterleib wachte sie auf, konnte erst nicht aufstehen, schaffte es dann doch zu ihrer praktischen Ärztin. Die riet ihr, ihren Frauenarzt aufzusuchen. Dieser hielt aber gerade an diesem Tag keine Ordination. Teresa suchte also die gynäkologische Ambulanz auf. „Dort meinte die Ärztin ziemlich harsch, dass Zwischenblutungen passieren könnten und das hier nicht der passende Ort für dieses Problem wäre. Mit diesen Worten wurde ich weggeschickt.“

Eine private Ärztin fand dann heraus, woher die Schmerzen kamen. Eine Zyste war geplatzt, das Blut hatte die Krämpfe verursacht. „Als Studentin mit geringem Einkommen hinterlässt die private Bezahlung natürlich ein Defizit im Monatsbudget“, sagt Teresa. „Aber zumindest wusste ich dann, was los war. Ich finde unsere Zwei-Klassen-Medizin schrecklich!“

 
Eine Frau liegt auf einem Bett oder Sofa. Ihr Gesicht ist von ihren Haaren bedeckt.

Krämpfe so schlimm, dass Aufstehen kaum möglich ist – und trotzdem keine Behandlung. Foto: Kinga Cichewicz für Unsplash

Zwei-Klassen-Medizin? Die sollte es in Österreich nicht geben. „Solche Geschichten höre ich ungern“, sagt Thomas Fiedler, Obmann der Bundesfachgruppe für Frauenheilkunde in der Ärztekammer. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass man akut betroffenen Frauen Hilfe verweigert.“ Fiedler spricht von einer flächendeckenden Versorgung, die Gynäkologie sei gut aufgestellt. „Ausnahmen bestätigen die Regel.“

Dennoch gibt es offensichtlich Lücken im System. Nicht zuletzt, weil die Bevölkerung wächst, die Anzahl der Kassenverträge allerdings gleich bleibt. Die Zahl der FachärztInnen, die eine Privatordination betreiben, ist hingegen in den letzten Jahren stark gestiegen.

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Auch im Fachbereich Gynäkologie hat der Großteil der Ordinationen keinen Kassenvertrag. Nur 404 Kassenverträge mit den Gebietskrankenkassen gab es 2018 in ganz Österreich – ein kleiner Teil der 1.346 GynäkologInnen mit Ordination. Im Burgenland gibt es überhaupt nur 12 GynäkologInnen mit Kassenvertrag. Das liegt nicht bloß daran, dass es zu wenige Kassenplätze gibt. Tatsächlich können in manchen Bundesländern die Stellen nicht nachbesetzt werden. Kein Wunder, dass manche Ordinationen monatelange Wartelisten für neue Patientinnen haben. Wer es sich leisten kann, sucht im Notfall dann lieber eine private Praxis auf und zahlt dafür.

Verloren im Gesundheitssystem

Aber was, wenn die hundert Euro nicht leistbar sind? Julie, die eigentlich anders heißt, wurde akut krank. Sie wusste auch, welches Medikament sie brauchte. Jetzt fehlte nur noch eine Ärztin oder ein Arzt, die ihr dieses auch verschreiben würde. Also telefonierte sie sich durch die Kassen-Ordinationen in Wien. Ohne Erfolg. „Jede Praxis hat mir dasselbe gesagt. Sie können mir keinen Termin geben, ich soll in die Ambulanz.“ Dort wartete Julie stundenlang, um am Ende zu hören, sie solle sich an eine niedergelassene Frauenärztin wenden.

„Ich hab mich selten so verloren gefühlt in einem System.“ Nach stundenlangem Durchtelefonieren dutzender Ordinationen landete Julie wieder in der Ambulanz. „Ich war so aufgelöst, habe richtig geweint, da hat mich die Ärztin doch behandelt.“ Im Gegensatz zu Martina und Teresa war eine private Ordination keine Lösung für sie: „Das kann ich mir einfach nicht leisten.“

Mehr über Problematik von WahlärztInnen und Kassenverträgen findest du hier.

„Das sollte es nicht geben“, sagt Gunda Pristauz-Telsnigg. Sie ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. KassenärztInnen sollten keine Versicherten mit Notfall ablehnen. Sie sieht das Problem woanders: „Kassenverträge sind finanziell nicht besonders attraktiv.“ Die Lösung? Kassenverträge besser bezahlen und weitere Anreize für ÄrztInnen schaffen, die ländlichen Gebiete zu versorgen.

Angebot und Nachfrage

Wie in einem ansich gut versorgten Bundesland wie Wien drei Frauen mit akuten Problemen von einer Stelle zur nächsten geschickt werden konnten, keine Hilfe trotz Krankheit und lähmenden Schmerzen bekamen – das kann sich Pristauz-Telsnigg genauso wenig erklären wie Fiedler. Laut seiner Einschätzung gibt es genügend GynäkologInnen, ebenso ausreichend viele Kassenverträge. Das Problem liege wohl eher darin, dass die Patientinnen und die Ordinationen mit freien Kapazitäten nicht zusammen kämen. In Oberösterreich gibt es dafür eine Clearingstelle, die Praxen und Patientinnen zusammenbringt. „Das funktioniert gut, die Stelle hat sich bewährt“, sagt Fiedler.

Falls weitere Bundesländer sich diese Stelle zum Vorbild nehmen würden, wäre wohl schon viel gewonnen. Bis dahin werden aber noch einige Frauen den Spießrutenlauf zwischen Kassa-Ordination und Ambulanz antreten müssen – um am Ende dann vielleicht doch in der privaten Praxis zu landen.

 

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