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Kapitalismus
Ungleichheit

Heike Buchter: „Superreiche schaden uns in unserem täglichen Leben“

Heike Buchter: „Superreiche schaden uns in unserem täglichen Leben“
Der Reichtum von Milliardär:innen ist unfassbar. Wie konnten Superreiche so viel Vermögen anhäufen? Welche Methoden nutzen sie aus? Heike Buchter, Autorin des Bestsellers "BlackRock", geht in ihrem Buch "Wer wird Milliardär? - vom großen globalen Abkassieren" diesen Fragen nach. Und sie zeigt auf, wie entfesselte Finanzmärkte und Überreiche wie Musk, Bezos und Trump uns allen schaden. "Da ist etwas schiefgelaufen. Für eine nachhaltigere Wirtschaft brauchen wir alles Geld, das wir haben. Stattdessen fließt es immer nur in die Taschen von wenigen", sagt sie im Interview mit MOMENT.at.

MOMENT.at: Der Reichtum von Milliardär:innen ist extrem schwer fassbar. Eine Milliarde sind 1.000 Millionen und schon eine Million Euro ist für viele ein utopischer Betrag. Wie lässt sich greifen, wie riesig dieser Unterschied an Vermögen ist?

Heike Buchter: Um sich das besser vorstellen zu können, vielleicht einmal so: Wenn man jeden Tag 100 US-Dollar zur Seite legt – was ja auch ein großer Betrag ist –, dann brauchen sie 27.397 Jahre, um auf eine Milliarde Dollar zu kommen. Wir wissen gar nicht, wie reich diese Leute eigentlich sind. Weil wir das nicht fassen können. Es ist abstrus, anzunehmen, dass diese Leute damit zu ihren Milliarden gekommen sind, was normale Menschen machen: nämlich arbeiten und sparen.
 
MOMENT.at: Ist diese Unfassbarkeit auch ein Grund, warum wir uns kaum dagegen wehren, dass exzessiver Reichtum in den Händen weniger liegt?

Buchter: Diese Zahlen sind abstrakt und surreal. Das hat mit unserer Welt kaum noch etwas zu tun. Deswegen versuchen wir auch gar nicht zu sagen: Moment mal, wie kommt es eigentlich, dass die so viel Reichtum haben? Und was ist die Bedingung dafür? Und was hat das mit meinem Leben zu tun? Aber diese Entwicklung hat Nachteile für viele Menschen. Es gibt Opfer, die dafür zahlen, dass andere so reich sind.
 
MOMENT.at: Diese enormen Reichtümer in den Händen weniger aufzuzählen und die Ungleichheit aufzuzeigen: Ist es das, was Sie in Ihrem Buch machen wollen?

Buchter: Nein. Es geht mir nicht darum zu zeigen, guckt mal hin, das ist so wahnsinnig ungleich! Ich wollte keine Art Baseballkarten-Sammelspiel aufstellen, nach dem Motto: Dieser Milliardär hat so und so viele Villen und dieser andere Milliardär so viel Geld. Ich will das nicht totreden. Aber wer ein bisschen aufgepasst hat in den vergangenen 20 Jahren, weiß das.

Ich wollte schauen: Wie wird jemand so wahnsinnig reich. Wie kann eine Person es sich leisten, den Norden Schottlands aufzukaufen? Was steckt dahinter? Diese Menschen haben bestimmte Methoden angewandt, um so reich zu werden. Und das hat nichts damit zu tun, dass sie besser wären, fleißiger, engagierter oder intelligenter.
 
MOMENT.at: Welche Methoden sind das?

Buchter: Das Einfachste ist Erben. Wollen Sie richtig reich werden? Dann erben Sie! Die nächste Stufe ist die Finanzindustrie. Wenn Sie schon ein bisschen was haben, ein Erbe oder ein kleines Unternehmen größer gemacht haben: Dann können Sie das gut ausbauen, indem sie sich die Finanzindustrie zunutze machen. Nicht nur einfach, indem Sie anlegen. Sondern mit diesen ganzen Spielarten und Winkelzügen, die es dort gibt.

Und später, wenn Sie wirklich reich sind, haben Sie ein ganzes Netz von Leuten, die weltweit dafür sorgen, dass sie nicht irgendwo Verluste machen. Die Finanzindustrie spielt eine tragende Rolle darin, reicher zu werden. Es ist nicht so: Fleißige Menschen erfinden ein Produkt und bauen ein Unternehmen auf und werden wahnsinnig reich. Wer will das schon kritisieren? Da kann man nicht meckern. Aber so richtig reich werden Sie davon nicht. Sie werden richtig reich durch Geld.
 
MOMENT.at: Also Vermögen, das aus Vermögen kommt. Wie funktioniert das?

Buchter: Ein Beispiel ist Private Equity. In den letzten Jahren war das mit dem billigen Geld, also niedrigen Kreditzinsen, eine Geldmachmaschine. Sie konnten leicht viel Geld bekommen, um etwa Unternehmen zu kaufen. Und dann wurde dieses Märchen erzählt: Wir kaufen Firmen, denen es nicht gut geht. Und mit unserem wahnsinnigen Intellekt und unseren wahnsinnig tollen Methoden und einem wahnsinnig tollen Management machen wir dieses Unternehmen fit und schlank. Dann werfen wir das wieder auf den Markt, dann ist alles besser. Das ist quasi win win win für alle: für das Unternehmen, die Arbeitnehmer:innen, die neuen Eigentümer:innen.

MOMENT.at: Was passiert wirklich?

Buchter: Inzwischen stimmt nichts mehr davon. Die Unternehmen werden übernommen. Man klopft sie ab und guckt: Wo kann man noch was zusammenhauen? Was kann noch weg? Was kann man zerschlagen und verkaufen? Und welche Pensionskassenansprüche der Mitarbeiter:innnen kann man irgendwie loswerden? Da gibt es Spezialist:innen, die sich nur darum kümmern.

Übernommene Unternehmen zahlen in der Regel eine Managementgebühr. Für diese Manager, die sie übernommen haben, zahlen sie teilweise Millionenbeträge. Und die Schulden, mit denen es übernommen worden ist, werden dem Unternehmen umgehängt – nicht den Leuten, die es übernommen haben. Wenn es schief geht, kann der Fonds sagen: Sorry, das ist nicht gut gelaufen. Für die Beschäftigten im Unternehmen ist das bitter. Es geht in den Konkurs oder das Unternehmen wird zerschlagen.

MOMENT.at: Im Buch beschreiben Sie, wie Sie durch schottische Landschaften fahren. Die gehören fast ausschließlich dem dänischen Unternehmer und Multimilliardär Anders Povlsen. Sie vergleichen diese Besitzverhältnisse mit den Zeiten der Feudalherrschaft.

Buchter: Schottland ist sehr anschaulich. Es ist ein richtiges Problem für die Menschen dort. Der Grund, auf dem sie wohnen, gehört ihnen nicht. Wie das historisch gewachsen ist, erkläre ich im Buch. Heute verschärft es sich dadurch, dass sich ausländische Milliardäre dort niederlassen und das zu ihren Gunsten ausnutzen – und damit auch politischen Einfluss haben. Und das mitten in Europa, in einer entwickelten Demokratie. An vielen anderen Orten haben wir das auch: Vermögen und Fortschrittsgewinne sind ungleich verteilt.
 
MOMENT.at: Während der COVID-19-Pandemie wurden die Superrreichen noch reicher. Während Ärmere sich ihre Behandlung nicht leisten konnten, stapelten sich bei den Werften die Bestellungen für riesige Jachten. Warum hat die Pandemie die Ungleichheit so verstärkt?

Buchter: Das hängt wieder mit dem Finanzmarkt zusammen. Alles andere war vielleicht schwierig. Was richtig gut funktioniert hat, war die Rettung der Finanzmärkte. 2020 standen wir kurz vor einer der ganz großen Finanzkrisen. Das wäre der GAU gewesen. Dass in dieser Situation, wo die Märkte in Panik versunken sind, reagiert wurde, kann ich nachvollziehen. Die US-Notenbank FED hat gemacht, was sie immer macht. Sie haben innerhalb von 14 Tagen mehr Geld in die Finanzmärkte gepumpt – mehr noch als zur Finanzkrise 2008 und 2009.
Und wo fließt das ganze billige Geld hin? In die Aktienmärkte. Die sind gestiegen. Wer Aktien hält oder große Teile von Unternehmen wie zum Beispiel Elon Musk, für die schoss das durch die Decke. In der Pandemie konnte man sehr schön sehen, dass viel Geld, noch viel, viel mehr Geld produziert und dieses Geld in immer weniger Händen landet.
 
MOMENT.at: Superreiche wie Elon Musk, Jeff Bezos, Donald Trump werden gefeiert für Ihren Reichtum. Sie gelten für viele gar als Helden. Warum werden Superreiche so verehrt?

Buchter: Einer der Punkte ist: Man hofft, dass es sich bei ihnen um besonders intelligente, besonders engagierte, besonders brillante Menschen handeln muss – sonst wären sie nicht so reich. Man schließt von ihrem Vermögen auf die intellektuellen Kapazitäten dieser Menschen.

Wir leben in einer Welt, in der wir sehr viele massive Probleme haben, die man gerne nicht mehr hätte. Bei Elon Musk hoffen wohl viele, dass er uns die Zukunft einfach macht. Dass er irgendetwas findet, was uns den beschwerlichen Weg einfach abnimmt, unsere Welt in eine andere zu überführen. In New York gibt es den Spruch: Throw money at the problem. Nimm einfach wahnsinnig viel Geld, schmeiß es auf das Problem und das Problem ist weg. Das ist glaube ich, was ein bisschen hinter dieser Heldenverehrung steckt: Wir hoffen, diese neuzeitlichen Heroen des Geldes werden in einer Art helfen, dass wir die Arbeit nicht machen müssen.
 
MOMENT.at: Superreiche verstecken ihr Vermögen gerne in Steuersümpfen oder Stiftungen vor dem Zugriff des Staates. Warum wehren sich die Staaten nicht stärker dagegen, dass so viel Geld abfließt, aus denen Steuereinnahmen kommen könnten?

Buchter: Wir haben zu viel Angst, dass diese Leute ihr Geld nehmen und gehen. Aber die gehen sowieso schon. Sie bringen viel Vermögen in eine der vielen steuerfreundlichen Oasen dieser Welt. Dazu kommt: Es ist sehr unübersichtlich. Der Aufwand ist immens, zu schauen, wo dieses Geld hingekommen ist. Dahinter steckt eine ganze Branche. Heerscharen von Leuten, die sich bemühen, dieses Geld unauffällig irgendwo unterzubringen und arbeiten zu lassen. Für eine Regierung ist das wahnsinnig schwierig nachzuvollziehen. Nur zu sagen, da brauchen wir mehr Steuern, löst das Problem nicht, wenn der Fiskus keinen Zugriff darauf hat.

Es gibt jetzt den Versuch, eine Art Mindeststeuer unter den reichen Staaten und Industrienationen einzuführen. Damit man sich da nicht gegenseitig unterbietet und aussticht. Das soll die Leute daran hindern, ihren Reichtum dem Fiskus zu entziehen. Was sich die Regierungsverantwortlichen überlegen sollten: Wo sollen die Superreichen denn hin? Kein reicher Mensch möchte irgendwo leben, wo es nicht sicher ist. Das sage ich auch immer zum Trost meiner Schweizer Kollegen. Die sorgen sich ab und zu, ob die Schweiz die noch halten kann. Aber schaut man das aus Klima-Aspekten und politischen Sicherheitsaspekten an, ist das Land ein guter Deal. Und das lassen sich die Leute auch was kosten.
 
MOMENT.at: Sie kritisieren auch die Wohltätigkeit von Superreichen. Was ist denn falsch daran, wenn sie etwas von ihrem Reichtum an die Allgemeinheit abgeben?

Buchter: Viele Regierungen setzen darauf, dass diese Leute freiwillig etwas geben. Dann freut man sich und man lobt sie. Im Buch beschreibe ich auch, wie Bill Gates ein Atomkraftwerk bauen will. Er glaubt an die Atomkraft und sagt, wir brauchen das. Also kündigt er an, zwei Milliarden Dollar von seinem eigenen Geld zu nehmen, um ein Kraftwerk zu bauen. Und der Staat ist gern bereit gewesen, die andere Hälfte zu zahlen. Ich finde es demokratisch fragwürdig, dass reiche Zausels sich überlegen: Ich möchte gerne dies oder jenes zur Rettung der Menschheit machen und gebe ein bisschen was von meinen Milliarden – und den Rest können dann die Steuerzahler:innen zahlen.

Da ist etwas schiefgelaufen in unserem System. Wir haben ein Finanzsystem, das außer Rand und Band ist. Es dient nicht mehr dem, was wir dringend brauchen. Wir brauchen das Finanzsystem jetzt mehr denn je, um unsere Transformation in eine nachhaltigere Wirtschaft zu schaffen. Da brauchen wir alles Geld, das wir haben. Stattdessen fließt es immer nur in die Taschen von wenigen, die dann eventuell mal ein grünes Projekt anschieben. Das kann nicht sein und das kann nicht funktionieren.
 
MOMENT.at: Zum Abschluss ihres Buches schreiben Sie: Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten. Warum können wir das nicht und wie schaden Sie uns?

Buchter: Schauen Sie sich den Wohnungsmarkt an. Große Investor:innen besitzen Wohnungen, die früher gemeinnützig waren. Die haben überhaupt kein Interesse mehr, günstige Wohnungen zu bauen. Warum sollten sie auch? Wenn ich quasi ein Monopol auf dem Wohnungsmarkt einer Stadt habe, warum würde ich dann 20 neue Wohnblöcke hinstellen und sagen: Hier bitte, das mache ich, damit die Mieten sinken, weil mehr Wohnraum da ist?

Das wäre aus Sicht von Investor:innen sehr dämlich. Oder zu sagen: Ich möchte, dass diese Wohnungen besonders hübsch sind, besonders gut versorgt, mehr Hausmeister:innen haben und mehr Leistungen bieten für die Mieter:innen. Nein, das will ich alles nicht als Investor:in. Ich will möglichst viel Gewinn machen. Diese von Superreichen geschaffenen Strukturen schaden uns in unserem täglichen Leben.

Man sieht das Buch von Heike Buchter - Wer wird Milliardär?

Campus Verlag

Zur Person: Heike Buchter berichtet seit 2001 von der New Yorker Börse. Sie ist Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit. Ihr neues Buch „Wer wird Milliardär? vom großen globalen Abkassieren“ erscheint am 11. Oktober 2023 im Campus Verlag. Im Buch „BlackRock – eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld“ schaute sie 2015 hinter die Kulissen des größten Vermögensverwalters der Welt. Im Jahr 2019 veröffentlichte sie „Ölbeben“ – und zeigte auf, wie problematisch es ist, von fossilen Rohstoffen abhängig zu sein.

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