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Warum wir Reichtum eine Grenze setzen sollten: „Niemand verdient es, superreich zu sein“

Warum wir Reichtum eine Grenze setzen sollten: „Niemand verdient es, superreich zu sein“
Soll es eine Obergrenze für Reichtum geben? Diese Frage beschäftigt Ingrid Robeyns in ihrem viel beachteten Buch “Limitarismus: Warum Reichtum begrenzt werden muss”. Das erscheint jetzt auch auf Deutsch. Im Gespräch mit MOMENT.at spricht Robeyns über Superreiche und Limitarismus in Theorie und Praxis.

MOMENT.at: Was genau ist Limitarismus?

Ingrid Robeyns: Limitarismus vertritt die Position, dass es eine Obergrenze für den persönlichen Reichtum geben sollte. Niemand sollte arm sein. Niemand sollte zu reich sein. Das sind die zwei Teile der Idee.

MOMENT.at: Warum soll man Reichtum beschränken?

Robeyns: Überreichtum schädigt die Gesellschaft: Er untergräbt politische Gleichheit und andere demokratische Werte. Außerdem ist er unvereinbar mit ökologischer Nachhaltigkeit. Superreiche stoßen überproportional viele Treibhausgase aus. 

Darüber hinaus ist Überreichtum verschwenderisch. Das Geld, das Superreiche für Luxusgüter ausgeben, könnte besser für gesellschaftliche Probleme ausgegeben werden. Für den Klimaschutz, oder für jene, die dringende Bedürfnisse zu befriedigen haben. Ein weiterer Punkt ist, dass Überreichtum für Superreiche selbst nicht gut ist. Er funktioniert wie eine Sucht, man will immer mehr Geld haben, und er entfernt einen von der Gesellschaft. 

Der letzte, fundamentalste Punkt ist: Niemand verdient es, superreich zu sein. 

MOMENT.at: Wie reich darf eine Person denn sein?

Robeyns: Die korrekte Antwort sollte aus einem demokratischen Prozess entstehen: Wir müssen Schäden aus Überreichtum dagegen aufwiegen, dass Menschen dadurch motiviert werden, mehr Geld verdienen zu wollen. Wir sollten Menschen Raum geben, Geld zu verdienen und reich zu werden – aber nicht zu reich. Ich gebe eine ungefähre Zahl von 10 000 000 Euro an. Ich kenne keine Studien, die versucht haben, eine genaue Zahl zu bestimmen.

Ich denke aber, dass niemand 10 000 000 Euro braucht. Ich gebe einen zweiten, freiwilligen Schwellenwert von 1 000 000 Euro an. Dieser ergibt sich als Antwort auf die Frage: was brauche ich, um ein gutes Leben zu führen? Ich persönlich halte 1 000 000 Euro noch immer für sehr viel. Ich bin keine Millionärin und habe das Gefühl, alles zu haben, was ich brauche.

MOMENT.at: Wer bekommt das Geld dann?

Robeyns: Es geht nicht nur darum, dass wir das Geld nehmen und den Armen geben oder für den Klimaschutz ausgeben. Es geht vielmehr auch um die Frage, wie wir Wirtschaft gestalten wollen. Es geht um die Frage, wie man sie organisiert, sodass wir ökologische Grenzen einhalten. Und es gilt, Gewinne aus ökonomischer Zusammenarbeit gleicher zu verteilen. Wir brauchen einen Staat, der mehr Steuern einnehmen kann, um den Wohlfahrtsstaat zu stärken. Dieser wurde über Jahrzehnte hinweg geschwächt.

Neoliberale haben den Glauben etabliert, dass Politiker:innen nicht vertraut werden kann.

MOMENT.at: Wieso sollte man dem Staat das Geld anvertrauen?

Robeyns: Ich glaube, es gibt keine Alternative zum Staat. Ich stimme zu, dass viele Regierungen problematisch sind. Neoliberale haben den Glauben etabliert, dass Politiker:innen immer nur eigennützig handeln und dass ihnen nicht vertraut werden kann. Das Ergebnis ist, dass viele Leute daran glauben. Außerdem ist der Einfluss von Firmen und Superreichen auf Regierungen tatsächlich größer geworden.

Der Staat kann aber das Recht etablieren, dass Grundbedürfnisse von Menschen befriedigt werden. Wenn wir das den privaten Händen überlassen würden, würde es reine Wohltätigkeit bleiben. Das halte ich für ungerechtfertigt, auch weil die Vermögenskonzentration bei Superreichen nicht verdient ist. Die Lösung ist: für bessere Regierungen kämpfen.

MOMENT.at: Unabhängig davon: Ist es nicht ungerecht, Menschen ihr Geld wegzunehmen?

Robeyns: Ich verstehe die Idee. Sie fußtaber auf einem falschen Verständnis davon, woher das Geld kommt. Superreiche haben das Geld nicht einfach selbst verdient.

Wenn sie denken, dass wir ihnen Geld wegnehmen, übersehen sie einiges: beispielsweise die riesige Rolle von Glück, die die Frage nach Verteilung rechtfertigt. Die andere ergibt sich aus dem Fakt, dass wir zusammenleben und nur aufgrund von Zusammenarbeit Geld verdienen können. Wir sind nicht einfach Individuen, die etwas tun und dann nehmen, was wir schaffen. Die Frage über Verteilung ist unausweichlich. Es gibt keine natürliche Verteilung von Geld. Sie ergibt sich aus den Regeln, über die wir kollektiv entscheiden: wie wir Märkte strukturieren, wie wir Profite zwischen beispielsweise Unternehmer:innen und Arbeiter:innen aufteilen, etc.. 

Die Regeln sollten so sein, dass niemand arm ist und dass niemand superreich ist. Ich denke, dass im Zwischenraum eine gewisse Ungleichheit gerechtfertigt sein kann. 

MOMENT.at: Gibt es konkrete Beispiele, wie Limitarismus gelebt wird?

Robeyns: Ja, die gibt es. Die sind aber mehr im Bereich von Löhnen, nicht im Bereich von Reichtum. Mir haben Leute Firmenrichtlinien ihrer Arbeitgeber:innen geschickt, in denen es ein Limit im Verhältnis zwischen dem niedrigsten und höchsten Lohn gibt. Außerdem haben öffentlich Bedienstete festgelegte Löhne. 

Die große Ungleichheit ist aber hauptsächlich im Bereich von Reichtum angesiedelt. Hier kenne ich keine konkreten Beispiele für Limitarismus in der Praxis. Aber es gibt zum Beispiel immer konkretere Gespräche über Reichensteuern.

MOMENT.at: Wie können Einzelpersonen zum Erfolg von Limitarismus beitragen?

Robeyns: Ich denke, wir müssen unsere Rolle als Bürger:innen wahrnehmen. Wir sollten nicht nur Konsument:innen sein. Was Menschen konkret tun können, hängt von ihrer Position ab. Wir haben aber alle die Möglichkeit, Politik in einem weiten Sinne zu beeinflussen. Wir sollten Fragen über Verdienst, unsere Beziehung zum Globalen Süden, und andere wichtige Themen stellen und über sie mit unseren Mitmenschen sprechen. Dann sollten wir Aktivitäten finden, die Interessen, Fähigkeiten, und Netzwerken entsprechen. Wenn wir alle etwas tun, können wir Veränderung bewirken. 

Zur Person: Ingrid Robeyns (1972) ist eine belgische Philosophin und Wirtschaftswissenschafterin, die sich mit Ungleichheit auseinandersetzt. Sie ist an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Ihr Buch “Limitarismus: Warum Reichtum begrenzt werden muss” erscheint am 24.4. auf Deutsch.

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