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Höhere Löhne schmecken den Wenigen nicht

Gelingt ein Abschluss mit ordentlicher Lohnsteigerung, wird er von den üblichen Verdächtigen sofort attackiert. Doch für die Beschäftigten ist eine reale, jährliche Lohnerhöhung notwendig. Nicht nur um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen. Sondern um jährlich einen Anteil am steigenden Wohlstand der Gesellschaft zu erkämpfen. Sonst droht wie in Amerika ein Verschwinden der Mittelschicht und eine Spaltung der Gesellschaft in Arm und Über-Reiche. 

Der erste Akt im „heißen Herbst“ geht zu Ende. Die Wirtschaftskammer und die Gewerkschaft haben sich auf die wichtigste jährliche Lohnerhöhung Österreichs geeinigt: Jene für die Beschäftigten in der Metallindustrie. 3,55% mehr für die Ist-Gehälter, also alle, die über dem kollektivvertraglichen Mindestgehalt liegen. Die Metaller geben  jedes Jahr den Takt für alle anderen Branchen vor, die nach ihnen abschließen. Gelingt ein guter Abschluss, ziehen andere Branchen meist nach. Dadurch wird der erwirtschaftete Wohlstand im Land breit verteilt, und verschwindet nicht allein in den Taschen der Aktionär:innen oder für Luxus-Konsum der Eigentümer:innen. 

Sind 3,55% hoch oder niedrig? Dem Abschluss liegt die Inflationsrate der Vergangenheit zugrunde. Es wird die Teuerung des letzten Jahres im Nachhinein ausgeglichen, aber nicht über die Zukunft im nächsten Jahr spekuliert. Die Teuerung lag im letzten Jahr (Durchschnittsinflation aus September bis August 2021) bei 1,9%. Der übrige Rest von 1,6% ist die reale Lohnsteigerung – ein Anstieg der Kaufkraft, mit der sich die Metall-Beschäftigten und ihre Familien mehr leisten können. Um knapp 1700 Euro steigt so für die durchschnittliche Metaller:in das Bruttogehalt im kommenden Jahr. Damit ist der Gewerkschaft ein reales Lohnplus für die Beschäftigten gelungen. Ein Plus, das im letzten Jahrzehnt wegen hoher Arbeitslosigkeit und teils schlechter wirtschaftlicher Entwicklung nur selten möglich war.  

Entwertet die aktuelle Inflation den Abschluss?

Dass die Situation für die Beschäftigten mit aktuell schon höheren Teuerungsraten seit dem Spätsommer/Herbst keine leichte ist, ist wahr. Die Preise für Tanken, Restaurants, Hotels, und einiges mehr haben angezogen. Die Beschäftigten erhalten also eine Lohnerhöhung, die – wenn die Teuerung noch ein paar Monate weitergeht – sich in ihrer Kaufkraft nicht so stärkt wie erhofft. Manch einer mag daher noch höhere Löhne gegen die Inflation fordern. Doch ein Teil dieser Entwicklung liegt in der Zukunft und ist ungewiss. Im Herbst 2021 sind die Preise zwar gestiegen, doch niemand weiß, was im ersten Halbjahr 2022 passieren wird. Es gibt gute Gründe, dass die monatlichen Teuerungsraten wieder zurückgehen, wenn die Sondereffekte bei Öl und Energie auslaufen. Sicher weiß man erst im September nächsten Jahres wie es sich entwickelt hat und dann wird wieder neu verhandelt um einen Inflationsausgleich.  

Dass wir die Entwicklung der Preise und Lebenskosten immer erst im Nachhinein abgelten, und nicht auf Basis einzelner Monatszahlen wild in die Zukunft spekulieren, ist von Vorteil. Es hat die österreichische Wirtschaft vor vorzeitigen unkontrollierten Inflationserwartungen beschützt, die eine Lohn-Preis-Spirale erst auslösen könnten.  

Jährliche Lohnerhöhung: Die erwartbare Kritik der üblichen Verdächtigen

Es dauerte keinen halben Tag, ehe der Abschluss stark kritisiert wurde. Trotz einer Einigung, die beide Seiten unterstützen, kritisierte der neue WIFO-Chef Gabriel Felbermayr den Abschluss als “eine Herausforderung für die Industrie”. Erst vor wenigen Wochen sprach er davon, dass es einen Dreier vor dem Komma geben werde. Nicht nur ORF-Journalisten wunderten sich darüber, denn die Fakten sprechen nicht für einen zu großzügigen Abschluss.  

Das Lohnplus befindet sich keineswegs außerhalb des Rahmens. 2021 wird die Arbeitsproduktivität in der Industrie wohl um 2,1% steigen. Um so viel produktiver werden die Arbeitnehmer:innen, um so viel mehr produziert jede/r einzelne von ihnen. Das nennt sich auch „neutraler Verteilungsspielraum“. Die Gewerkschaft hat sich zum Ziel gesetzt, jedenfalls einen Anteil an diesem neutralen Verteilungsspielraum zu erkämpfen. Von den 2,1% hat die Gewerkschaft 1,6% herausgeholt, rund drei Viertel. Ein Viertel geht immer noch an die Arbeitgeber. 

Die Arbeitnehmer erhalten also relativ viel des „neutralen Verteilungsspielraums“. Doch wenige wissen, dass die Unternehmer damit immer noch gut aussteigen. Wieso? Nur wenn die Arbeitnehmer 100% ihrer gestiegenen Arbeitsproduktivität auch tatsächlich bekommen, also den gesamten „neutralen Verteilungsspielraum“, dann bleibt ihr Anteil am gesamten Einkommen im Land konstant. Schließen die Sozialpartner darüber ab, verschieben sich die Einkommen hin zu den Arbeitnehmern. Schließen sie darunter ab – wie dieses Jahr – dann verschieben sich die Einkommen zu den Unternehmern. Tatsächlich dürften also die Unternehmen dieses Jahr ihren Anteil am gesamten Einkommen im Land minimal steigern können, wenn die Vorhersagen alle tatsächlich so eintreten.  

Weil nicht der gesamte Anstieg der Arbeitsproduktivität an die Arbeitnehmer weitergereicht wird, könnte man den Lohnabschluss also kritisieren. Doch erstens muss die Gewerkschaft das gegen die Arbeitgeber erst einmal durchsetzen. Noch immer gibt es über 300.000 Arbeitslose im Land, was die Verhandlungsposition schwächt. Und zweitens hat ein Abschluss leicht darunter auch den Vorteil, dass die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie gestärkt wird. 

Unbegründete Panikmache

Angesichts dessen klingt Felbermayrs „Warnung“ einer Lohn-Preis-Spirale eher wie unbegründete Panikmache. Mit diesem Lohnabschluss im Rahmen des Möglichen ist es sehr unwahrscheinlich, dass ausgerechnet die Lohnsteigerungen die Preise kommendes Jahr hinauftreiben können. Mit 1,9% lag die den Verhandlungen zugrunde liegende Inflation auch knapp unter der Zielinflation der Europäischen Zentralbank von 2%. Punktgenauer geht es eigentlich nicht. 

Heißt das, dass eine Lohn-Preis-Spirale in den nächsten Jahren völlig ausgeschlossen werden kann? Nein, nächstes Jahr wird man die Situation neu bewerten müssen. Wie der Ökonom Helmut Hofer vom IHS richtig sagt, um eine Lohn-Preis-Spirale zu erkennen, muss man zunächst die Abschlüsse mehrerer Jahre abwarten. Marktliberale Ökonomen werfen Nebelgranaten, damit kritisch in den Zeitungen über hohe Löhne berichtet wird. Arbeitgeber-Vertreter beziehen sich dann darauf und können so mehr öffentlichen Druck auf die Gewerkschaft in den noch offenen Lohnrunden der anderen Branchen aufbauen. Weder ist die österreichische Industrie, noch die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. Beiden geht es ausgezeichnet. Am Spiel steht  die Verteilung des Erwirtschafteten. Wie so oft geht es letztlich ums Geld.

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