Jason Stanley: "Dann kann man in den USA nicht mehr von einer Demokratie sprechen"
MOMENT.at: 58 Prozent aller US-Amerikaner:innen glauben nicht, dass das System der Demokratie hält. Der Supreme Court höhlt mittlerweile Bürgerrechte aus, in zwei Jahren könnte Donald Trump wieder Präsident werden. Erleben wir die letzte Phase der Demokratie in den USA?
Jason Stanley: Was man über die USA erstmal verstehen muss ist, dass unser politisches System nie vollständig demokratisch war.
Wir haben einen Supreme Court, der im Vergleich zu anderen demokratischen Ländern eine ungeheure Macht hat. Auch die Struktur unseres Senates ist undemokratisch. Wir sind weit weg von „one person, one vote“ und wir entfernen uns immer weiter davon.
Das “Gerrymandering” in den Bundesstaaten hat wahnsinnig undemokratische Konsequenzen.
Diese undemokratischen Systeme sind in den Südstaaten besonders stark. In Mississippi liegt der Anteil der Schwarzen Bevölkerung zum Beispiel bei 38 Prozent. Politische Macht haben sie jedoch keine. In Staaten wie North Carolina wählt etwa die Hälfte der Bevölkerung demokratisch. Aber die Abgeordneten sind fast immer Republikaner. 2024 werden es vermutlich 12 Republikaner und zwei Demokraten sein.
Man muss sich die USA ähnlich wie Europa vorstellen – nur eben mit viel mehr Ungarn und Polen. Viktor Orbán hat ja auch das Ziel, die EU von Innen zu erobern. Genau das ist auch das Ziel von vielen Republikanern. Sie wähnen sich immer noch im Bürgerkrieg und wollen ihn nach 160 Jahren jetzt endlich gewinnen.
MOMENT.at: Donald Trump hat wohl nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass die Partei diesem Ziel näherkommt. Hat Sie sein Sieg eigentlich überrascht?
Stanley: Nicht wirklich. Im Gegensatz zu Trump. Der hat die Wahl ja ursprünglich nur als Vorwand verwendet, um seine Geschäfte voranzutreiben. Aber dann hat er gesehen, welche Möglichkeiten sich durch faschistische Politik auftun.
MOMENT.at: Kann man Trump denn als Faschisten bezeichnen? Verfolgt er überhaupt eine Ideologie?
Stanley: Trump hat selber keine Ideologie, er ist kein Hitler. Seine eigene Ideologie ist Macht. Er hat gesehen, wie mächtig faschistische Politik ist und wie effektiv ihre Methoden sind.
Wir haben in den USA nach dem Erfolg der Bürgerrechtsbewegung gewisse Normen entwickelt. Etwa, nicht offen Rassismus zu betreiben. Trump hat sehr stark mit diesen Normen gebrochen. Er hat gesehen, dass seine rassistischen und patriarchalen Äußerungen ankommen. Dass dieses offene Äußern kontroverser Ideen unglaublich effektiv ist.
MOMENT.at: Warum war und ist das denn so effektiv?
Stanley: Für viele Leute ist Trump einfach authentisch. Die meisten denken, dass Politiker nur Dinge sagen, weil sie dafür bezahlt werden. Trump hat bei ihnen den Eindruck erweckt, dass er anders ist.
Alles, was Trump macht, macht er in der Öffentlichkeit. Er hat immer offen gesagt, wie er denkt und was er vorhat. Aber kaum jemand hat ihm geglaubt. Aber jetzt sieht man, wie effektiv das war. Auch die Republikaner machen das immer mehr. Sie sagen: „Wir sind keine Demokratie, wir sind eine Republik.“ Niemand weiß, was genau das heißt. Es heißt aber zumindest: Wir sind keine Demokratie.
Das ist die offene Ideologie einer Partei, die keine demokratische Partei mehr ist. In anderen Ländern würden sie als Partei nicht einmal existieren dürfen. Aber leider haben wir solche Gesetze nicht.
MOMENT.at: Ist die Republikanische Partei demnach faschistisch?
Stanley: Es gibt eine Ansammlung verschiedener faschistischer Gruppen, die sich in der Partei gefunden haben. Dort tummeln sich rechtsnationale Christen, Rassisten, Antifeministen und Antisemiten.
Es gibt aber auch viele reiche Menschen, die nur finanzielle Interessen haben. Sie benutzen Rassismus und christlichen Nationalismus für ihre eigenen Ziele. Das ist ähnlich wie das, was wir im Nationalsozialismus gesehen haben. Die Geschäftsleute wollten die Werkstätten zerstören, Hitler hat sie dabei unterstützt. Sie dachten, sie können ihn danach kontrollieren. Wie das ausging, wissen wir ja.
Wir sehen bei den Republikanern im Grunde ein Bündnis zwischen Faschisten und Rechtskonservativen. Es ist aber nicht klar, wer dabei gewinnen wird. Trump hat erreicht, was Rechtskonservative wollten. Er hat für sie etwa die Steuern gesenkt und dafür gesorgt, dass Abtreibung verboten wird. Ich glaube ja, dass sie ihn mittlerweile gerne rausschmeißen würden. Nur: Die anderen, die jetzt nachkommen – etwa Floridas Gouverneur Ron DeSantis – sind genauso schlimm.
MOMENT.at: Trump hat also gezeigt, dass faschistische Politik funktioniert. Wohin wird diese Politik führen?
Stanley: Es wird das kommen, was es in vielen Bundesstaaten jetzt schon gibt: ein 1-Parteien-System. Es wird unmöglich für Demokraten, Wahlen zu gewinnen. Wenn nichts passiert, werden wir ab 2024 nur mehr republikanische Präsidenten haben. Es ist aber nicht klar, ob dieses System einen einzigen Anführer haben wird, wie etwa in Russland.
MOMENT.at: Was ist das Spezifische an diesem US-amerikanischen Faschismus?
Stanley: Er erinnert an die Ideologie vom Ku-Klux-Klan. Es ist nicht unbedingt ein völkermordender Hass wie im Nationalsozialismus. Zentral ist, dass weiße, christliche Männer an der Macht bleiben oder sie erobern.
Das System wird dann wohl ähnlich wie in Ungarn werden. Es wird viel öffentlichen Druck auf Journalisten geben, wie wir unter Trump bereits gesehen haben. Genauso auf linke Professoren und Künstler. Bereits jetzt verlangen einige Republikaner, dass linke Professoren wie ich ihre Stellung verlieren sollten. Das alles erinnert stark an die McCarthy-Ära.
In diesem System wird dann Treue das wichtigste sein. Treue zur Partei und zum Anführer. Das sieht man schon jetzt an der Republikanischen Partei. Diese Treue wird Freiheit ersetzen. Die bleibt einem im Privaten übrig – wenn man nicht politisch ist.
MOMENT.at: Die McCarthy-Ära liegt nun schon 70 Jahre zurück. Warum passiert das jetzt alles nochmal – und warum passiert es scheinbar so schnell?
Stanley: Diese Entwicklung zieht sich schon länger. Besonders nach 9/11 ist bei den Republikanern eine faschistische Bewegung erstarkt. Und diese Elemente sind jetzt nach vorne gekommen. Sie sind viel mächtiger geworden. Mittlerweile ist es schwierig zu leugnen, dass sie nicht die republikanische Partei ausmachen.
Und es passiert alles so schnell, weil Trump mit seiner Politik ganz einfach erfolgreich war. Er konnte drei antidemokratische Richter für den Supreme Court benennen. Das hat Konsequenzen. Der Supreme Court hat die Entscheidung getroffen, im Herbst den Fall “Moore v. Harper” zu hören. Dann wird über die “Independent State Legislature” (eine Doktrin, laut der es den Staaten ganz alleine zusteht, über Wahlrechtsbestimmungen zu entscheiden, Anm.) entschieden. Wenn der Supreme Court dafür stimmt, kann man nicht mehr von einer Demokratie in den USA sprechen. Das ist dann fast so, als würde man Nordkorea als Demokratie bezeichnen.
So etwas wie vernünftige Republikaner gibt es mittlerweile kaum noch. Dort muss man aktuell zeigen, dass man treues Mitglied des Teams und ein “richtiger” Rechtsradikaler ist. Dabei sind die Leute, die das am stärksten heraushängen lassen – etwa Ted Cruz – ziemlich elitär. Sie sehen das aber als Möglichkeit, um an die Macht zu kommen.
MOMENT.at: Die faschistische Ideologie ist also wieder eher Mittel als Zweck?
Stanley: Für die Leute, die davon profitieren schon. Es gibt aber natürlich viele Menschen, die daran glauben. Besonders der Glaube an die Ideologie vom „Großen Austausch“ ist sehr mächtig geworden. Christen, Weiße und Frauen fürchten, dass sie ersetzt werden.
MOMENT.at: Das beschränkt sich aber nicht nur auf die USA.
Stanley: Nein, das ist eine zentrale Strategie des globalen Faschismus. Es wird gesagt: “Ihr werdet ersetzt. Nur wir können euch gegen diese Bedrohung verteidigen.” Man produziert moralische Panik und bringt die Leute dazu, zu denken, dass die Demokratie der Grund für den “Großen Austausch” ist.
MOMENT.at: Diese Strategie, Angst zu schüren, ist aktuell extrem erfolgreich. trans Menschen oder das Lehren der “Critical Race Theory” werden dämonisiert, diese Themen sind enorm präsent. Warum funktioniert das?
Stanley: Weil sie – wie beim “Großen Austausch” – Angst und Panik fabrizieren. “Critical Race Theory” ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die Verschwörungstheorie lautet: Die Linksradikalen haben Schwarze Amerikaner dazu gebracht, einen „Rassenkrieg“ zu fördern und mit Weißen Amerikanern um die Macht zu kämpfen. Danach werden die Kommunisten alles übernehmen.
Republikaner behaupten, dass dich deine Kinder wegen der “Critical Race Theory” hassen werden. Das ist enorm mächtig in den USA, weil viele Weiße Amerikaner sich ohnehin schuldig fühlen. Sie wollen, dass ihre Kinder unschuldig bleiben. Das ist ihnen enorm wichtig. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder wissen, wie sich ihre Vorfahren ihre großen Häuser leisten konnten und Vermögen ansammelten.
MOMENT.at: Sie und andere Beobachter:innen warnen schon länger vor dem Erstarken faschistischer Politik und dem Abbau des demokratischen Systems. Ist diese Sorge in den USA eigentlich präsent?
Stanley: Das ist ganz unterschiedlich. Aber vor allem Schwarze Amerikaner haben die USA ohnehin immer schon eher als autokratischen Staat betrachtet und nicht als Demokratie.
Und viele Republikaner sagen selbst ganz offen, dass wir keine Demokratie sind. In ihrem Denken wollten die Gründungsväter, dass Rechtsradikale die Gesetze machen und alle anderen folgen.
MOMENT.at: Kann man das alles eigentlich noch aufhalten?
Stanley: Man kann die Hoffnung nicht aufgeben. Wir sind eine sehr junge Demokratie. Im Gegensatz zu Europa haben wir eine noch lebende Bevölkerungsgruppe, die sehr viel Erfahrung im Kampf mit faschistischen Systemen hat.
Dieser Teil der Bevölkerung ist eine antifaschistische Brigade. Die wissen, wie man kämpft. So etwas gibt es in Österreich zum Beispiel nicht mehr. Das ist natürlich keine Garantie dafür, dass unsere Seite auch gewinnen wird. Aber das ist meine Hoffnung. Denn diese Kämpfe sind unsere Geschichte.