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Ungleichheit

Kara Tepe auf Lesbos: “Wenn es bei diesem Zustand bleibt, werden wir bald Tote sehen”

Christoph Riedl ist Menschenrechtsexperte der Diakonie Österreich. Im Dezember war er im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos. Sein Bericht ist alarmierend.

 
Die Zustände im Flüchtlingslager Kara Tepe sind unerträglich. In einem provisorischen Lager leben dort rund 7500 Menschen. Sie sind nach dem Brand des bekannten Lagers „Moria“ dorthin übersiedelt. Christoph Riedl ist Menschenrechtsexperte der Diakonie Österreich. Letzte Woche war er gemeinsam mit anderen ÖsterreicherInnen auf Lesbos. Seine Eindrucke aus dem Lager sind alarmierend: Wenn es nicht bald evakuiert werde, würde es Tote geben.

Christoph Riedl unterstützt die Initiative “Courage – Mut zur Menschlichkeit”, die im September entstand. Menschen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft schufen in Kooperation mit Hilfsorganisationen, Gemeinden, Städten und Einzelpersonen in ganz Österreich sichere Plätze. Sie wollen Menschen aus den Lagern in Griechenland aufzunehmen. Mindestens 3000 Plätze für Geflüchtete hat die Initiative bereits gefunden.

Wie er die Situation vor Ort einschätzt, erzählt er im Gespräch mit MOMENT.

MOMENT: Sie waren vor Ort in Kara Tepe auf Lesbos. Was haben Sie dort gesehen?

Riedl: Menschen wurden in eine für sie ausweglose Situation gebracht, ohne das es notwendig gewesen wäre. Es ist ein absichtlich herbeigeführter, extrem menschenrechtswidriger Zustand. Um das zu verdeutlichen: Es gibt drei Monate nach der Errichtung des Camps für 7300 Menschen nur 18 Duschen. Alle anderen müssen sich in provisorischen Zelten waschen. Da gibt es eine Plane und einen Kübel Wasser, den man sich über den Kopf leeren kann – im Winter.

Das Camp steht an der windigsten Stelle der Insel, dort gibt es Winterstürme. Selbst wenn es nicht regnet, ist alles feucht. Die Stürme pfeifen durch die Zelte. Es funktioniert nicht, diese Zelte winterfest zu machen. Man hat es mit Holzböden versucht, aber auch die sind jetzt nass. Und wenn das Zelt zusammenstürzt, hilft ein Holzboden auch nichts. Es gibt keine Stromversorgung, also auch kein Licht. Frauen und Kinder erzählen, dass sie nach Mittag nichts mehr trinken. So würden sie nicht mehr aufs Klo müssen, wenn es dunkel ist. So sehr fürchten sie sich.

Es ist ein menschenunwürdiger Zustand. Die Kinder haben keine Struktur, keine Schule und keinen Platz zu spielen. Sie sind teilweise schwer traumatisiert und haben auch Selbstmordgedanken. Es ist die Hölle auf Erden. Man kann sich das nicht vorstellen.

MOMENT: Waren Sie das erste Mal in einem Flüchtlingslager in Griechenland?

Riedl: Nein, ich kenne die Situation schon ein bisschen. 2016 und 2018 war ich ebenfalls in Griechenland.

MOMENT: Haben Sie die Situation dort so erwartet, wie sie dann war?

Riedl: Das Erstaunlichste ist, dass man offensichtlich in voller Absicht, Menschen in diese Situation bringt. Man hätte das provisorische Lager auch an eine Stelle bauen können, wo es bereits Infrastruktur wie einen Strom und Wasseranschluss gibt.

MOMENT: Wer ist dafür politisch verantwortlich?

Riedl: Griechenland ist zwar dafür verantwortlich, wird aber auch alleine gelassen mit der Situation. Das Land ist Opfer und Täter zugleich in einer verfehlten europäischen Asylpolitik. Das alles passiert auf dem Gebiet der Europäischen Union. Eine Flüchtlingsunterkunft in Griechenland darf nicht anders ausschauen als eine Unterkunft in Österreich oder in Deutschland. Es gibt klare Gesetze in der EU. Daran muss sich auch Griechenland halten.

MOMENT: Wieso gibt es keine Fotos von dem Elend in Kara Tepe?

Riedl: Man darf nicht hinein. Auch wir wurden nur mit Informationen und Bildmaterial von Menschen versorgt, die noch hinein durften. Die Organisationen, die dort arbeiten, werden massiv bedroht. Es gibt hohe Strafen, wenn sie über die Zustände im Lager berichten. Das gilt auch für JournalistInnen. Wir haben mit vielen Menschen im Lager geredet und mit NGOs, die drinnen arbeiten. Einmal die Woche dürfen die Geflüchteten das Lager verlassen.

MOMENT: Was fordert ihr genau von Österreich und der Regierung?

Riedl: Die Evakuierung des Lagers. Österreich muss einen Beitrag dazu leisten. Wenn man vor Ort war und die Zustände gesehen hat, dann ist klar: Dieses Lager kann nicht auf ein menschenwürdiges Level gebracht werden. Wenn es bei diesem Zustand bleibt, werden wir bald Tote sehen. Ich bin mir ganz sicher. Und das während Hotels in ganz Griechenland leer stehen.

MOMENT: Was kann man trotz Widerstand der Regierung als Zivilgesellschaft tun?

Riedl: Es ist ein natürlicher Impuls, Menschen in Not zu helfen. Und es kann nicht sein, dass die Regierung das Helfen unterbindet. Das sollte man den politischen Verantwortlichen mitteilen.

Sinnlos ist es momentan auch, in Infrastruktur zu investieren. Es gibt genug Geld und Güter vor Ort, es wird nur nicht richtig eingesetzt. Die Regierung hat zum Beispiel strombetriebene Heizgeräte nach Lesbos gebracht. Das Problem: Es gibt im Großteil des Lagers überhaupt keine Stromleitungen. Es ist sinnvoller mit warmen Essen und Kleidung zu helfen.

MOMENT: Die Initiative “Courage – Mut zur Menschlichkeit” ist bereits im September entstanden. Was hat sich seitdem verändert?

Riedl: Die Initiative ist nach dem Brand in Moria entstanden. Wir wollten zeigen, dass es in Österreich genügend Menschen gibt, die bereit sind, zu helfen. Das haben wir. Die Bundesregierung müsste uns nur lassen.

 

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